Er ist mit dem Auto nach Ingolstadt gekommen. Nicht mit irgendeinem Audi oder VW, sondern mit dem lang erwarteten Hoffnungsträger. "Ich kam genau im richtigen Moment zu Audi, weil wir drei Tage nach meinem Arbeitsbeginn den neuen A8 entschieden haben", sagt Marc Lichte und grinst. Wenn es um Designfragen geht, schaut er immer ein bisschen drein wie ein Schulbub, der die Antwort schon weiß. Dann sagt er Sätze wie: "Da hab ich eine Idee dazu, ich freu mich schon, das zu erklären . . ."
Vor uns steht die verhüllte Studie für die Los Angeles Auto Show. Das soll der große Durchbruch werden. Kein Wunder, dass es den neuen Audi-Designchef vor Spannung kaum auf dem Stuhl hält. "Für alle Autos ab dem kommenden A8 gilt: Wir gehen einen Riesenschritt im Design. Wir reden über eine Erneuerung." Das sportliche Fünfmeterauto sei kein übertriebenes Showcar, sondern der konkrete Hinweis für das, was komme. "Alles, was sie hier sehen, finden sie auch im nächsten A8, A7 und A6. Seien es die Proportionen, sei es das Gesicht." Da ist es wieder, dieses spitzbübische Grinsen über einen seiner gelungenen Streiche.
Fast zwei Jahrzehnte in VW-Diensten
Marc Lichte kennt eigentlich jeder, seine Arbeit fährt überall herum. Nach seinem Einstieg als Diplomand bei Volkswagen hat er in fast zwanzig Jahren unter anderem die drei jüngsten Golf-Generationen fünf, sechs und sieben entworfen. Auch der neue Passat, der Touareg und der Phaeton stammen aus seiner Feder. Und der nächste Passat CC sowie die Touareg-Neuauflage (ab 2015) sind auch noch von ihm. Er hat fast alle internen Wettbewerbe bei VW gewonnen, 35 Mal wurden seine Entwürfe umgesetzt.
Der neue Audi-Designchef Marc Lichte soll die Formensprache der Marke weiterentwickeln.
(Foto: Audi AG)Bei Volkswagen lernte der quirlige Überflieger auch die strenge Disziplin der Markenführung. 2006 stieg er zum Leiter des VW Design Exterieur Studios auf. Doch eigentlich wollte der 45-Jährige schon während seines Transportation-Design-Studiums in Pforzheim immer zu Audi. Deshalb haben ihn hämische Bemerkungen über seinen Wechsel nach Ingolstadt verletzt. "Jetzt macht der Designer des langweiligen Golf auch noch Audi" - so etwas trifft ihn, weil er schon beim Golf so kreativ war, wie es die Rahmenbedingungen zugelassen haben."
Im Windschatten von Walter de'Silva
"Bei Herrn Lichte werden die Autos immer etwas dynamischer, als es eigentlich sein müsste", sagt ein alt gedienter VW-Designer, "das ist Teil seiner Persönlichkeit." Mit dem Zitat konfrontiert, sprudelt es aus dem langen Lulatsch mit den Ringellocken über der kahlen Stirn: "Ein neues Design entsteht dann, wenn das Vorgängermodell gerade im Markt erfolgreich ist. Deshalb ist die Verlockung groß, die Formensprache nur evolutionär weiterzuentwickeln."
Bestes Beispiel dafür ist die Marke mit den vier Ringen: Nicht zuletzt durch Walter de'Silvas Design-Innovationen angefangen mit der Nuvolari-Studie 2003 wurde Audi bekannter und erfolgreicher als jemals zuvor. CEO Martin Winterkorn, Entwicklungschef Ulrich Hackenberg und de'Silva gaben der Marke ein neues Gesicht und neues Selbstbewusstsein. Erfolgsmodelle wie der SUV Q7, der Supersportwagen R8 und das bildschöne A5-Coupé katapultierten Audi endgültig in die Oberliga von BMW und Mercedes.