Neues Design:Audi sucht nach seiner Form

Konzeptstudie für die Los Angeles Auto Show 2014: Audi Prologue

Die Audi-Studie Prologue zeigt nicht nur ein etwaiges A9-Luxuscoupé, sondern gibt auch die künftige Formensprache vor.

(Foto: Abdruck fuer Pressezwecke honora)

Nach Jahren der Stagnation will Audi bei der Gestaltung seiner Autos neue Wege gehen. Alle Hoffnungen ruhen auf dem neuen Chefdesigner Marc Lichte. Mit der Studie des künftigen A9 präsentiert er eine erste gelungene Kostprobe.

Von Joachim Becker

Er ist mit dem Auto nach Ingolstadt gekommen. Nicht mit irgendeinem Audi oder VW, sondern mit dem lang erwarteten Hoffnungsträger. "Ich kam genau im richtigen Moment zu Audi, weil wir drei Tage nach meinem Arbeitsbeginn den neuen A8 entschieden haben", sagt Marc Lichte und grinst. Wenn es um Designfragen geht, schaut er immer ein bisschen drein wie ein Schulbub, der die Antwort schon weiß. Dann sagt er Sätze wie: "Da hab ich eine Idee dazu, ich freu mich schon, das zu erklären . . ."

Vor uns steht die verhüllte Studie für die Los Angeles Auto Show. Das soll der große Durchbruch werden. Kein Wunder, dass es den neuen Audi-Designchef vor Spannung kaum auf dem Stuhl hält. "Für alle Autos ab dem kommenden A8 gilt: Wir gehen einen Riesenschritt im Design. Wir reden über eine Erneuerung." Das sportliche Fünfmeterauto sei kein übertriebenes Showcar, sondern der konkrete Hinweis für das, was komme. "Alles, was sie hier sehen, finden sie auch im nächsten A8, A7 und A6. Seien es die Proportionen, sei es das Gesicht." Da ist es wieder, dieses spitzbübische Grinsen über einen seiner gelungenen Streiche.

Fast zwei Jahrzehnte in VW-Diensten

Marc Lichte kennt eigentlich jeder, seine Arbeit fährt überall herum. Nach seinem Einstieg als Diplomand bei Volkswagen hat er in fast zwanzig Jahren unter anderem die drei jüngsten Golf-Generationen fünf, sechs und sieben entworfen. Auch der neue Passat, der Touareg und der Phaeton stammen aus seiner Feder. Und der nächste Passat CC sowie die Touareg-Neuauflage (ab 2015) sind auch noch von ihm. Er hat fast alle internen Wettbewerbe bei VW gewonnen, 35 Mal wurden seine Entwürfe umgesetzt.

Der neue Audi-Designchef Marc Lichte.

Der neue Audi-Designchef Marc Lichte soll die Formensprache der Marke weiterentwickeln.

(Foto: Audi AG)

Bei Volkswagen lernte der quirlige Überflieger auch die strenge Disziplin der Markenführung. 2006 stieg er zum Leiter des VW Design Exterieur Studios auf. Doch eigentlich wollte der 45-Jährige schon während seines Transportation-Design-Studiums in Pforzheim immer zu Audi. Deshalb haben ihn hämische Bemerkungen über seinen Wechsel nach Ingolstadt verletzt. "Jetzt macht der Designer des langweiligen Golf auch noch Audi" - so etwas trifft ihn, weil er schon beim Golf so kreativ war, wie es die Rahmenbedingungen zugelassen haben."

Im Windschatten von Walter de'Silva

"Bei Herrn Lichte werden die Autos immer etwas dynamischer, als es eigentlich sein müsste", sagt ein alt gedienter VW-Designer, "das ist Teil seiner Persönlichkeit." Mit dem Zitat konfrontiert, sprudelt es aus dem langen Lulatsch mit den Ringellocken über der kahlen Stirn: "Ein neues Design entsteht dann, wenn das Vorgängermodell gerade im Markt erfolgreich ist. Deshalb ist die Verlockung groß, die Formensprache nur evolutionär weiterzuentwickeln."

Bestes Beispiel dafür ist die Marke mit den vier Ringen: Nicht zuletzt durch Walter de'Silvas Design-Innovationen angefangen mit der Nuvolari-Studie 2003 wurde Audi bekannter und erfolgreicher als jemals zuvor. CEO Martin Winterkorn, Entwicklungschef Ulrich Hackenberg und de'Silva gaben der Marke ein neues Gesicht und neues Selbstbewusstsein. Erfolgsmodelle wie der SUV Q7, der Supersportwagen R8 und das bildschöne A5-Coupé katapultierten Audi endgültig in die Oberliga von BMW und Mercedes.

Rück- statt Ausblicke

Audi TT Sportback Concept auf dem Pariser Autosalon 2014.

Wenig innovativ: Das TT Sportback Concept war die Audi-Studie für den Pariser Autosalon 2014.

(Foto: STG)

Es folgte der Fluch der großen Tat: Als das Audi-Führungstrio 2006 die Macht in Wolfsburg übernahm, versank das Ingolstädter Design allmählich im Dornröschenschlaf. Die Designstudien der vergangenen Jahre wirkten eher orientierungslos. Oft waren es eher tastende Rückblicke auf die Markengeschichte statt Ausblicke in die Zukunft.

Auch der gerade in Paris gezeigte TT-Viertürer kommt - trotz seiner formalen Stimmigkeit - nur unwesentlich über das Urmodell hinaus. "Einem erfolgreichen Trend zu widersprechen, dazu gehört Mut und Durchsetzungsvermögen", weiß Lichte aus Erfahrung: "Bei den internen Präsentationen konnte ich deshalb häufig mit einem Modell punkten, das einfach anders aussah", schmunzelt Lichte. So war es auch am 4. Februar dieses Jahres. Winterkorn, de'Silva und der gesamte Markenvorstand waren zugegen. Schließlich ging es um die Zukunft von Audi.

Konkurrenzkampf zwischen VW und Audi

Ring frei: Hinter den neuen Hochglanzfassaden in Ingolstadt wird seit Jahren ein Schauer- und Rührstück der besonderen Art gegeben. Es geht nicht nur um den Wettbewerb zwischen den deutschen Premiummarken, um die Volumenführerschaft und die Krone des Technologiekönigs. Und nicht zu vergessen: Um den Titel "Wer baut die schönsten Autos". Es geht auch um die Rivalität zwischen VW und Audi: In diesem Kopf-an-Kopf-Rennen kann es schon den Job kosten, wenn man sich zu ehrgeizig über den allmächtigen Konzernvorstand in Wolfsburg hinwegsetzt. Zum 1. Juli 2013 war prompt auch Audi-Entwicklungsvorstand Wolfgang Dürheimer seinen Vorstandsposten los. Kaum zurück in Ingolstadt ließ Ulrich Hackenberg weitere Köpfe rollen - zum Beispiel den des damaligen Designchefs Wolfgang Egger.

Es sei schon im vergangenen Spätsommer klar gewesen, dass er den Job als Top-kreativer bei Audi antreten würde, gesteht Lichte. Ende 2013 bekam er den Etat zur Entwicklung eines A8-Konzepts - alles zusätzlich zu seinen Aufgaben bei VW. Nach neun Wochen Tag- und Nachtarbeit brachte er einen fertigen 1:1-Prototyp mit an die Donau. Obwohl das Auto noch nicht perfekt gewesen sei, setzte sich sein Vorschlag gegen die Entwürfe der Münchner und Ingolstädter Designstudios durch.

Gespür für Tradition und Moderne

Was ihm half, war nicht nur Mut, sondern auch ein herausragendes Gespür für Tradition und Moderne: Lichte ist kein Revoluzzer, sondern der Meisterschüler Walter de'Silvas. "Audi steht für nachhaltiges Design. Ich bin also nicht der Neue von VW, der jetzt alles ganz anders gestaltet. Was wir tun, ist wirklich progressiv, aber wir stellen damit nicht die Vergangenheit in Frage. Das ist für mich und für Audi ganz wichtig."

Tradition und Moderne treffen in Ingolstadt mitunter hart aufeinander. Das zentrale Audi-Entwicklungszentrum wächst mit dem Tempo einer chinesischen Großstadt. Auch das neue Designcenter ist noch im Bau, deshalb steht das Allerheiligste in einem eher unscheinbaren grauen Pavillon. Was auf den ersten Blick wie eine ausrangierte Polizeistation aussieht, entpuppt sich als kleines, feines Fotostudio. Als weltweit erstes Medium durfte die SZ die schmale Tür passieren, um Lichtes Coupé-Studie zu sehen.

Drei Tage vor der Visite existierte der Zweitürer lediglich als Tonmodell. In Nachtschichten wurde ein Prototyp mit Silberlackierung aufgebaut - und sorgte prompt für Furore. Kaum war die Farbe trocken, rollte der neue Design-Botschafter ins Rampenlicht am Münchner Flughafen. Der potenzielle A9 war der Star einer Tagung mit mehr als tausend Audi Spitzenmanagern aus aller Welt.

Maximale Wirkung mit minimalen Mitteln

In nur acht Monaten hat Lichte mit seinem Team neben dem A8, A7 und A6 noch ein grundlegend neues Showcar entworfen, das als Leuchtturm für die künftige Designrichtung steht. Entsprechend hoch ist die Anspannung beim Chefdesigner. Er springt auf, zieht das Tuch von der Studie und fixiert abwechselnd das Auto und den Gast aus München. Konzentriertes Schweigen. Der erste Eindruck: Kräftiger Körper, hohe Schultern, relativ kleiner Aufbau (Greenhouse), das mittig zwischen den Rädern sitzt.

Die Proportionen erinnern weniger an BMW und Mercedes mit ihren langen Motorhauben als an den Ur-TT. Aber die Formensprache ist eine völlig andere: Horizontale Linien statt Halbkreise. Messerscharfe Blechfalze, breite Schultern und dicke Backen über den Rädern statt weiche Rundungen. Trotz des extrem breiten Singleframegrills wirkt die Studie nicht überzeichnet. Hier spielt niemand Jazz auf der Audi-Klaviatur - wie die zahllosen Computerretuschen suggerieren, die in den vergangenen Wochen durch die Fachmagazine geisterten. Im Gegenteil: Das Auto wirkt wie aus einem Guss, erreicht mit minimalen Mitteln eine maximale Wirkung. Ruhig, klar und aufgeräumt.

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