Neuer WLTP-Zyklus:Autos unter Hausarrest

FILE PHOTO: Volkswagen export cars are seen in the port of Emden

So wie im Hafen von Emden, wo VW-Autos für den Export geparkt sind, sieht es derzeit auch am Flughafen BER aus.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Der neue Prüfzyklus WLTP bringt die Autohersteller in Not: Weil die Freigabe fehlt, werden Neuwagen auf Halde produziert. Die Kunden müssen auf Wunschmodelle lange warten.

Von Joachim Becker

Nichts gehe mehr, sagt der Porsche-Verkäufer: "Wir können keine Autos bestellen. Ende des Jahres wird unsere Ausstellungshalle so leer sein wie nach der Weltwirtschaftskrise 2011." Damals hatten sich die Konjunkturaussichten unerwartet rasch aufgehellt. Die Nachfrage überstieg die Produktionskapazitäten deutlich. In ihrer Not kauften süddeutsche Händler die Schauräume in Österreich und Norditalien leer. Jetzt gibt es wieder einen Lieferengpass, doch das Problem ist in ganz Europa dasselbe.

Ab September gilt die neue europäische Abgasnorm 6d Temp, zudem ist der neue Prüfzyklus WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedure) jetzt für alle Neuwagen verbindlich. Der Normverbrauch wird endlich realitätsnäher: Er steige gegenüber dem bisherigen NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) um durchschnittlich 20 Prozent, kündigt der Autoverband VDA an. Was mehr Transparenz für die Kunden bringen soll, wird im Übergang vom alten zum neuen Zyklus zur Geduldsprobe.

Nach dem Bestellende für die bisherigen NEFZ-Modelle warten viele Kunden scheinbar endlos auf ihre neuen Wunschfahrzeuge. Audi und Porsche nennen überhaupt keine Liefertermine mehr, VW stellt vage Ende des Jahres in Aussicht. Sicher ist das nicht. Ein Konzern im Freigabestau: Allein VW will bis zu 250 000 Autos auf Halde produzieren und die Kunden warten lassen. "In den kommenden Quartalen liegen große Anstrengungen in Hinblick auf die WLTP-Umstellung vor uns", kündigte Herbert Diess bei der Präsentation der Halbjahreszahlen in dieser Woche an. Die angepeilte operative Rendite werde nur ohne die WLTP-Sonderbelastungen erreicht, so der Volkswagen-Konzernchef. VW habe sich "so frühzeitig wie möglich auf die sehr kurzfristige Umstellung vorbereitet", sagt er. Allerdings seien die Techniker im Konzern eben sehr stark gebunden gewesen durch die Aufarbeitung des Dieselskandals, recht viel mehr sei nicht möglich gewesen in den Prüfständen. Andere Autohersteller stünden vor derselben Herausforderung, heißt es bei VW.

Das stimmt - trotzdem läuft es anderswo zum Teil besser: Daimler prognostiziert wegen des WLTP eine Stagnation des Absatzes für das laufende Jahr und hat eine Gewinnwarnung herausgegeben. Andere allerdings, wie BMW, haben WLTP in den Griff bekommen. Nur bei drei Modellen brauche es noch eine neue Genehmigung, sagte BMW-Vorstandschef Harald Krüger in dieser Woche. Die Lieferzeiten lägen unverändert bei etwa drei Monaten. Das könne nun ein Wettbewerbsvorteil sein. Kunden in Kauflaune, doch Neuwagen sind rar. BMW und Mercedes haben zwar 190 beziehungsweise 163 Modelle nach der neuesten Abgasnorm zugelassen. Trotzdem laufen Varianten früher aus; der BMW 7er mit Ottomotor ist bis zur Modellüberarbeitung im nächsten Jahr in Europa nicht mehr bestellbar.

Weil Audi fast nur noch auf Halde produziert, werden die Parkplätze knapp: "Dazu akquirieren wir laufend Flächen in geeigneter Lage an diversen Standorten", teilt ein Sprecher mit: Im Volkswagen-Konzern müssten über alle Marken hinweg für mehr als 260 Motor-Getriebe-Varianten neue Werte ermittelt werden. Wie viele Modelle bereits abgearbeitet sind, wollen Audi und VW nicht preisgeben. Nach Zahlen des ADAC können sie bisher nur sechs beziehungsweise drei Modelle mit 6d Temp auf die Straße bringen. Schuld sind nicht so sehr dreckige Diesel, sondern ein Rußsieb für Benziner. Ottomotoren müssen ihre Partikelanzahl radikal reduzieren - nicht nur im Labor, sondern auch im Realbetrieb (Real Driving Emissions, RDE). Neben einem Ottopartikelfilter (OPF) ist auch eine neue Motorsteuerung nötig: Die Gefahr ist groß, dass mit dem Abgasgegendruck auch der Kraftstoffappetit um einige Prozent wächst. Alle Modelle müssen neu typgeprüft werden, entsprechend lang sind die Warteschlangen bei technischen Diensten wie TÜV oder Dekra sowie beim Kraftfahrtbundesamt. Der VDA rechnet damit, dass die deutschen Hersteller noch auf über 500 Genehmigungen warten.

Überraschend seien die Bestimmungen für Benziner im neuen Messzyklus verschärft worden, argumentiert der VDA: "Ursprünglich war die Einführung dieser Vorgaben für den 1. September 2019 vorgesehen. Durch das Vorziehen um ein ganzes Jahr kam es zu den Engpässen." Richtig ist, dass beim WLTP anders als beim bisherigen NEFZ verschiedene Ausstattungsstufen, Karosserievarianten und Reifen getestet werden. Dadurch vervielfacht sich der Aufwand. Richtig ist aber auch, dass die Autoverbände bis zuletzt Politik gegen den Ottopartikelfilter gemacht hatten. Direkt nach dem Auffliegen des Dieselabgas-Skandals zogen sie 2016 bei der EU-Kommission in Brüssel allerdings den Kürzeren.

Diesel und Benziner sollen endlich sauber werden

Diesel und Benziner sollen endlich sauber werden, die entsprechenden Grenzwerte sind seit 2011 bekannt. Von Straßentests war damals noch keine Rede, deshalb darf der Benziner im Realbetrieb um den Faktor 1,5 mehr Ruß ausstoßen. Dass neue Ottomotoren in diesem Sinne dreckiger sind als Diesel, ist schon länger bekannt. 2014 hat die Deutsche Umwelthilfe sieben Benzin-Direkteinspritzer als Rußschleudern entlarvt. Seitdem kritisiert der Umweltverband, dass die Industrie Übergangsregelungen ausnutze und ganz überwiegend schmutzige Neufahrzeuge ohne wirksame Partikelabgasminderung verkaufe.

Benziner und Diesel haben im Prinzip das gleiche Abgasproblem: Immer kleinere Motoren werden auf eine immer höhere spezifische Leistung getrimmt. Downsizing, Direkteinspritzung und Turboaufladung galten lange Zeit als Zauberformel, um den Spagat zwischen Kundenanforderungen und CO₂-Vorgaben zu erreichen. Anders als beim Diesel stören beim Benziner die mittigen Zündkerzen im Zylinderkopf. Früher wurde der Sprit im Ansaugtrakt vernebelt, jetzt wird er meist mit hohem Druck seitlich eingespritzt. Dabei bekommt auch die Zylinderwand ihren Teil ab. Weil einzelne Tröpfchen dort nicht vollständig verbrennen, entsteht Ruß. Die Partikelmasse ist beim Benziner gering, doch der Mikro-Feinstaub kann direkt in die Lunge gelangen und Krebs erzeugen.

Die Hersteller haben beim Abgaspoker verloren

Mit einem Partikelfilter lässt sich die Gefahr bannen, das zeigen neue Benziner im ADAC Ecotest. "Die Euro-6d-Temp-Systeme sind nicht auf Kante genäht, sondern haben ausreichend Reserven, um auch unter anspruchsvollen Bedingungen sauber zu bleiben", bestätigt Thomas Burkhardt, ADAC Vizepräsident für Technik. Das hätte man schon früher haben können, zumal die Filter nicht die Welt kosten. Die Autohersteller wollten das Rußproblem wieder einmal innermotorisch lösen. Weil große Motoren im Prüfzyklus kaum gefordert sind, so die Idee, müssten sie den Partikelgrenzwert auch ohne Filter einhalten.

Diesmal wurden die Autohersteller von der EU-Kommission ausgetrickst: Die spät veröffentlichten RDE-Anwendungsbestimmungen schreiben vor, dass der Partikelgrenzwert bei Straßentests mit jedem in der EU verfügbaren Kraftstoff eingehalten werden muss. Der Einsatz eines hochreinen Synthetiksprits sei nicht erlaubt. Mit anderen Worten: Auch mit zweifelhaften Kraftstoffqualitäten auf dem Balkan sollen die Benziner sauber sein. Späte Einsicht aller Hersteller: Ohne OPF ist das nicht zu schaffen. Audi, Porsche und VW haben beim Abgaspoker bis zuletzt auf die No-Filter-Strategie gesetzt - und verloren.

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