Für viele ist das "i" ein simpler Buchstabe. Doch die einst unbedeutende Computerfirma Apple hat es damit bis an die Weltspitze geschafft. Künftig setzt auch BMW mit Milliarden-Investitionen auf dieses Kürzel. Als erstes Modell einer neuen umweltfreundlichen Mobilität wird Ende des Jahres das Elektroauto i3 auf den Markt kommen - ein viertüriges Kompaktfahrzeug mit Aluminium-Chassis und Karbonkarosserie. "Das ist ein größerer Schritt als damals von der Kutsche zum Auto", sagt BMW Vorstandschef Norbert Reithofer.
Als bislang einziger Großserienhersteller baut BMW die Fahrgastzelle vollständig aus dem kohlenstofffaserverstärkten Verbundmaterial CFK. Das machen zwar auch einige Sportwagenbauer wie McLaren oder Lamborghini. Doch dort wird der exotische Werkstoff in langwieriger Handarbeit verlegt und stundenlang ausgehärtet. Der BMW i3 soll dagegen im Leipziger Werk mit der Taktgeschwindigkeit konventioneller Karosserien vom Band laufen. Ein gewaltiger Unterschied. Gelingt den Bayern der Sprung ins Karbonzeitalter, dürften Konkurrenten wie Audi, Volkswagen und Daimler auf Jahre hinaus das Nachsehen haben. Das Project i könnte sogar eine neue industrielle Epoche einläuten.
Bis dahin ist es ein langer Weg. Der Welt-Karbonfasermarkt ist sehr klein. Zum Vergleich: An Stahl werden 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr verarbeitet, von Aluminium sind es 40 Millionen Tonnen. Karbon nimmt sich dagegen geradezu lächerlich aus: nur 40 000 Tonnen. Mehr als 30 000 Tonnen wird BMW benötigen. Solch eine Menge in der maßgeschneiderten Qualität zu bekommen, überfordert die heutige Logistik der Lieferanten. "Das kriegt man nicht so einfach eingekauft", sagt Dennis Baumann, BMW Leiter Business Development. Daher ging der Autobauer einen anderen Weg: Eigenproduktion zusammen mit dem Spezialisten SGL Carbon.
Die neue Fabrik steht in den USA
Weil die Herstellung der Karbonfaser sehr viel Energie verschlingt und BMW beim Project i von Anfang an auf Nachhaltigkeit setzt, kam nur ein durchgehend klimaneutraler Produktionsprozess infrage. Schließlich will man später die i-Modelle glaubhaft als umweltfreundlich vermarkten. Fündig wurden BMW und SGL in den USA im Bundesstaat Washington. In Moses Lake, gut zweieinhalb Autostunden östlich von Seattle, entstand eine komplett neue Fabrik, gebaut und betrieben nach den nachhaltigsten Prinzipien. Ein Wasserkraftwerk versorgt die SGL Automotive Carbon Fibers mit "grünem" Strom.
Das Rohmaterial für die Karbonfaser kommt aus Japan. Es ist eine auf Erdöl basierende, kohlenstoffhaltige Acrylfaser, weiß, brenn- und schmelzbar. In Moses Lake laufen diese Fäden von Dutzenden Rollen zunächst durch vier hintereinander geschaltete, 300 Grad Celsius heiße Oxidationsöfen. Jeder von ihnen ist 15 Meter lang, neun Meter hoch und wiegt 80 Tonnen. "Hier wird alles herausgebrannt, was nicht Karbon ist", erläutert Dennis Baumann. Es folgen zwei weitere Hochtemperaturöfen mit 800 und 1300 Grad Celsius. Danach ist die Karbonfaser etwa 40 Mal so zugfest wie Stahl. An einem nur Schuhband dicken Strang könnte man ein Auto aufhängen.
Gewickelt auf großen Spulen treten die schwarzen Fasern ihre Reise nach Deutschland an. Genauer, in eine Art von Textilfabrik in der Oberpfalz. Hier betritt BMW ein weiteres Mal Neuland in der Automobilproduktion. Von 560 Spulen laufen "Haarstränge" zu rund vier Meter breiten Gelegen zusammen. Eine riesige Nähmaschine legt quer dazu weiße Zick-Zack-Nähte, um eine mattenartige Struktur zu erzeugen. Diese Gelegeteppiche wiegen je nach Schichtung nur 150 bis 600 Gramm pro Quadratmeter. Bei BMW-i-Modellen addiert sich die gesamte Gewichtsersparnis auf 300 Kilogramm. Dafür müssen die Gelegematten allerdings mit einem dünnflüssigen Kunstharz getränkt und gepresst werden. So entsteht ein extrem harter und hoch belastbarer Superwerkstoff, der sich seit vielen Jahren im Flugzeug- und Bootsbau, sowie im Autorennsport bewährt hat.
Auch die Konkurrenz von BMW beschäftigt sich natürlich mit dem ultraleichten schwarzen Baustoff, fertigt derzeit aber lediglich einzelne Fahrzeugteile aus Karbon, beispielsweise einen Kofferraumdeckel, ein Dach oder einen Spoiler. Deshalb gewährt BMW noch keinem Fremden Einblick in die neue Karosseriefertigung. Man möchte sein Geheimnis auf keinen Fall preisgeben. Nicht zeigen, wie man es schafft, die Faser-Fahrgastzelle zu vertretbaren Kosten herzustellen. Manche Experten zweifeln daran, dass dies wirklich gelingt.
"Schwarzer Wunderwerkstoff"
Aber auch an anderen Instituten wird unter Hochdruck geforscht - zu verlockend sind die Vorteile des "schwarzen Wunderwerkstoffs". Karbon wiegt bei vergleichbaren Bauteilen nur die Hälfte von Stahl und 30 Prozent weniger als Aluminium. Dank des geringeren Gewichts braucht ein E-Auto weniger Batterien für die gleiche Reichweite - was das Gewicht zusätzlich reduziert. Zudem sind Lithium-Ionen-Zellen extrem teuer. Das eingesparte Geld kompensiert zum Teil die aufwendigere Fertigung der Karosserie.
Aber nicht nur E-Mobile werden von dem neuen Werkstoff profitieren: "Für die Karosserie eines BMW X5 sind 800 Roboter im Einsatz, die 350 Bauteile zusammenschweißen. Dagegen besteht die Passagierzelle des i3 lediglich aus 30 Teilen, die in Leipzig miteinander verklebt werden", sagt Jörg Pohlmann. Er leitet die Faserfabrik in Moses Lake. Wenn Ende dieses Jahres der erste i3 vom Band rollt, wird dies ein riesiger Schritt für BMW sein. Bewährt sich die neue Fahrzeugarchitektur, steht ihr eine glänzende Zukunft bei herkömmlichen Modellen bevor. Das Karbonzeitalter dürfte die Branche dann ebenso radikal verändern wie die E-Mobilität.