Designchef der Marke VW:Das VW-Design bekommt mehr Gefühl

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Vorher - nachher: Der T1 Bus (links) ist ein Kultauto. Die Studie I.D. Buzz strahlt eine erfrischende Modernität aus. (Foto: VW)

Unter Walter de Silva verkam das VW-Gesicht zu einer einheitlichen Maske. Nun darf VW-Chefdesigner Klaus Bischoff vieles anders machen - und jubelt über die Chance seines Lebens.

Von Joachim Becker

T wie Traumwagen. Der legendäre VW-Bus T1 gehört zu den begehrtesten Oldtimern. Gut erhaltene Exemplare werden für etwa 100 000 Euro gehandelt. Längst sind sie Design-Klassiker, charakterstark und unverwechselbar wie der Porsche 911. Wer sich an eine Neuauflage wagt, braucht Mut. Daran ist das Bulli-Revival regelmäßig gescheitert. Anläufe gab es genug - mit Plattformen von vier bis fünf Meter Länge: Nach dem Microbus auf T5-Basis (2001) kam der Space Up (2007), der Bulli mit Touran-Technik (2011), ein Mitglied der Beetle-Familie (2014) und schließlich der Budd-e (2016). In die Serie hat es keine der Studien geschafft - obwohl die Resonanz auf den Automessen meist gut war.

Den jüngsten Traumwagen stellte Herbert Diess auf der Auto-Show in Detroit vor: "Der I. D. Buzz steht für das neue Volkswagen: Ab 2020 bringen wir eine ganz neue Generation von voll vernetzten Elektroautos auf den Markt", verspricht der VW-Marken-Chef: "Die I. D.-Familie wird für Millionen Kunden erschwinglich sein, nicht nur für Millionäre."

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Emotional, zukunftsorientiert und auch noch erschwinglich: Die Wolfsburger wollen sich neu erfinden - und zugleich zu ihren Wurzeln zurückkehren. Dass ein Kultauto nicht teuer sein muss, hat der T1 gezeigt. Nach dem Krieg aus der Not geboren, wurde er einfach auf ein Käfer-Fahrwerk gesetzt. Nicht einmal 4,30 Meter lang, aber mit Platz für neun Personen. 1955 kostete der Samba-Bus mit Heckmotor 8475 D-Mark. Nach heutiger Kaufkraft wären das 20 900 Euro - ein Traum. Aber wird er auch wahr?

I. D. Buzz, das klingt in deutschen Ohren nach Bus, meint aber auch das Summen der E-Maschine. Die Bodenwanne der fast fünf Meter langen Studie bietet reichlich Platz für Batteriezellen. Mit einer Kapazität von bis zu 110 Kilowattstunden sollen maximal 600 Kilometer Reichweite drin sein. Damit wird der Buzz zum Reisewagen für die ganze Familie. Aber vielleicht ist mit dem Summen auch die Aufbruchstimmung im Bienenschwarm der 430 VW-Designern aus 29 Ländern gemeint. Denn der Elektroantrieb allein genügt nicht für einen Neustart. Volkswagen 2.0 steht und fällt mit dem Design.

"Manchmal trifft nicht gleich der erste Schuss"

Sympathieträger wie Bulli und Käfer sind gefragter denn: Sie stehen für eine scheinbar unbeschwerte Zeit vor dem Abgas-Skandal und vor all den kaltblütigen Einheitsautos. Das Käfer-Revival in Form des Beetle kam über die Retro-Nische allerdings nicht hinaus. Noch schwieriger ist die Wiederbelebung des T1. Das musste Herbert Diess schon einmal erfahren. Auf dem Höhepunkt der Dieselkrise warb er in Las Vegas um Vertrauen. Und was konnte besser ins Herz treffen als eine bewegte und bewegende Geschichte? Also zeigten die Wolfsburger am Vorabend der weltgrößten Elektronikmesse CES einen Film aus den 60er-Jahren: California Dreaming, Flower Power, Woodstock - und mittendrin der Samba-Bus. Doch die Begeisterung ebbte bald ab: Als der Budd-e auf die Bühne rollte, blieb der Applaus verhalten.

"Manchmal trifft nicht gleich der erste Schuss", sagt einer, der in Las Vegas 2016 dabei war: "Der Budd-e war eine Fingerübung, die sehr schnell entstanden ist", erinnert sich Klaus Bischoff. Der VW-Chefdesigner geriet mit seinem Team damals zwischen die Fronten. Die Studie war noch von Martin Winterkorn in Auftrag gegeben worden. Zu Zeiten der CES-Premiere war der frühere Konzernboss längst gestürzt. Kurz nach Winterkorn ging auch der oberste Designer des Konzerns. Walter de Silva hatte der Marke VW ein einheitliches Gesicht gegeben - das immer mehr zur Maske erstarrte. Übrig blieben emotionsarme Vernunftautos: "Als deutsche Marke kommen wir ja aus einer additiven Gestaltungshistorie", sagt Klaus Bischoff durchaus selbstkritisch: "Eine seitliche Planke mit zwei Sicken, dann die Radhäuser drauf und das Heck sowie Gesicht dran. Fertig. Das wirkte sehr technisch und hat ja im Verkauf funktioniert."

Zehn Jahre hat Bischoff als VW Design-Chef das Spiel mit den horizontalen Linien zur Perfektion getrieben. Doch die Proportionen konnte er nicht ändern: "Beim Budd-e hing das ganze Unternehmen noch am Thema Motorhaube. Wir haben es nicht geschafft, die Windschutzscheibe dahin zu bringen, wo sie hingehört: vor die Vorderräder." Das war die Krux bei einigen Bulli-Studien: Ihr Design stand im Widerspruch zur steil aufragenden Front des T1. Der kurze vordere Überhang sei schön, aber aufgrund anspruchsvoller Crash-Tests heute nicht mehr möglich, monierten die Techniker. Außerdem müsse ein modernder Elektrobus viel aerodynamischer sein als der T1. "Design heißt für mich, eine ästhetische Lösung für ein technisches Problem zu finden", hält Bischoff den Bedenkenträgern entgegen. Und dann platzt es aus ihm heraus: "Ich habe meine ganze Karriere in dieser Marke verbracht. Ich habe immer mit meinem Team dafür gekämpft, Design zu einem entscheidenden Faktor zu machen. Das war bisher in einer so ingenieursgetriebenen Firma extrem schwierig."

Jetzt soll alles anders werden. Die I. D.-Studien sind Meisterstücke aus dem Team von Bischoff. Der Buzz wirkt in seiner Formensprache so klar und reduziert wie ein Apple-Computer. Aus Transporter-Motiven wie den Schienen der Schiebetüren werden elegante Designelemente. Integriert sind sie in die umlaufende Linie zwischen dem hellen Glashaus und dem farblich abgesetzten Grundkörper, der alles andere als plump wirkt. Trotzdem ließe sich die Studie mit minimalen Änderungen in der Serie umsetzen: "Da ist die Crash-Länge drin, auch wenn es nicht so aussieht, denn der Fahrer sitzt hinter den Rädern."

"Das ist die Chance unseres Lebens"

Vor vier Monaten hat Volkswagen den ersten I. D auf dem Pariser Autosalon präsentiert: ein Hochdachauto im Golf-Format, das viel flacher aussieht, als es ist. Weder Motorhaube noch die üblichen Ecken und Kanten stören die fließenden, skulpturalen Formen. Das wirkt hochwertig und stilvoll, wenn man Premium mit einer neuen Gelassenheit, mit Souveränität verbindet. "Wir haben bei den Elektroautos alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen", sagt ein sichtlich erleichterter Kreativer: "Als wir den I. D. zum ersten Mal dem Vorstand gezeigt haben, war auf Anhieb klar: Das machen wir." Für ihn sei das jetzt die beste Zeit bei VW, erzählt Bischoff: "Ich habe Anfang 2016 das Team zusammengeholt und gesagt: Das ist die Chance unseres Lebens. Jetzt hält uns keiner mehr auf. Also seid so mutig, wie es nur irgend geht."

Das war nicht immer so. Sein früherer Chef Walter de Silva versuchte bis ins Detail durchzuregieren. Insidern zufolge ließ er den Marken wenig Spielraum und erstickte damit die Kreativität. Ständige Kundenbefragungen ("car clinics") reduzierten den Gestaltungsfreiraum weiter: Was den Testkäufern nicht gefiel, fiel durch. Das Ergebnis war ein mutlos-stagnierendes VW-Design nach dem Grundsatz: keine Experimente! "Das ist jetzt wie ein Paradigmenwechsel", erzählt Klaus Bischoff, die Elektrofahrzeuge sollen sich deutlich von den anderen Modellen abheben. "Einfaches logisches Design hatten wir ja schon vorher. Aber mit dem neuen Elektrobaukasten geht das jetzt in einer ganz anderen Dimension."

Man braucht den Mut, mal etwas wegzulassen

Das sei durchaus als Statement gegen den Trend zur Verkomplizierung zu verstehen. Also zur Überstilisierung mit Sicken und Kanten. Oder zu einem neureichen Stil, der Autos zu funkelnden Juwelen aufmotzt. "Es gibt entweder den Weg in die Opulenz oder in den Stil. Ich wolle immer schon in Richtung Stil." Der hochwertige Purismus von Apple-Geräten ist aber alles andere als einfach: "Das ist viel komplizierter umzusetzen als so eine modische Gestaltung. Ich muss die Proportionen von Anfang an richtig haben, die Verhältnisse der einzelnen Elemente müssen sitzen", so Bischoff. Designer und Techniker müssen also am selben Strang ziehen. Das erfordert auch den Mut, mal etwas wegzulassen.

Der Vorstand hat Unterstützung beim neuen Design signalisiert. Jetzt muss er auch den Mut zeigen, die Modellfamilie so umzusetzen: Vier bis fünf Modelle sollen entstehen: Der I.D., ein SUV, eine Limousine und womöglich der Buzz. Ein Traum.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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