Neuer Fahrradtyp:Gravel Bikes sind mehr als ein Marketing-Gag

Neuer Fahrradtyp: Gravel Bikes versprechen Fahrspaß auf nahezu jedem Untergrund.

Gravel Bikes versprechen Fahrspaß auf nahezu jedem Untergrund.

(Foto: Pressedienst Fahrrad)

Der neue Fahrradtyp sieht aus wie ein Rennrad, hat aber andere Reifen und Bremsen und ist geländegängig. Damit bereiten Gravel Bikes neues Glück auf zwei Rädern.

Von Sebastian Herrmann

Ein Samstag im Januar, ein Samstag im Matsch. Die Route verläuft über einen Pfad, der sich durch einen Kiefernwald windet. Wurzeln durchziehen den Weg und schütteln die Radler durch, als sie darüberrumpeln. Ihre Kleidung ist großzügig mit Schlammspritzern eingesaut, die Räder sind an manchen Stellen mit einer feuchten Panade überzogen. Das wechselhafte und vor allem nasse Winterwetter hat den Boden aufgeweicht und für zahlreiche Dreckslöcher im Wortsinn gesorgt, die ein zähflüssiger Matsch in Latte-Macchiato-Farbe ausfüllt.

Macht aber nichts, im Gegenteil, deswegen sind die drei Radler ja dorthin gefahren, ein bisschen im Dreck spielen. Nach Schlammpfaden setzt sich der Ausritt auf Schotterwegen fort, die Fichtenwälder zerteilen, führt über asphaltierte Nebenstraßen und Radwege - die Route bietet so gut wie jeden Untergrund, über den ein Rad nur rollen kann.

Die Radler sind auf Gravel Bikes unterwegs. Das sind Rennräder mit dicken Reifen und Scheibenbremsen, die gerade zum großen Ding des Fahrradwesens ausgerufen werden. Die meisten Hersteller haben mittlerweile solche Modelle im Angebot oder bereiten gerade ihre Varianten davon vor, die wie eine Kreuzung aus Cyclocross- und klassischem Rennrad aussehen. Manchmal sogar wie eine Mischung aus Reiserad und Mountainbike, an das jemand einen Rennlenker geschraubt hat. Die Vielfalt ist groß, die unter dem Begriff Gravel Bike angeboten wird. Vielleicht so groß, dass dieses Segment manchmal fast ein wenig beliebig wirkt.

Die Skepsis, die diese neue Fahrradkategorie bei manchen reflexhaft auslöst, findet ihren Ausdruck in Formulierungen wie dieser: "Das ist doch nur wieder ein künstlicher Marketingbegriff, um teure Räder zu verkaufen." Nach einer winterlichen Samstagsrunde durch Matsch, über Schotter und Asphalt verfliegen solche Zweifel: Mit so einem Geländerennrad eröffnen sich viele neue Möglichkeiten und Varianten im ansonsten abgegrasten persönlichen Rennradrevier, in dem jede Kurve eine alte Bekannte ist, der man im Vorbeirollen nur mehr müde zunickt.

So geländegängig wie ein Cyclocross, aber gemütlicher

Trotzdem: Was ist das nun genau, so ein Gravel Bike? "So richtig glasklar lässt sich das nicht definieren", sagt Peter Kinzel von Canyon Bicycles. Drücken wir es so aus: In diesen Rädern stecken jede Menge Zutaten und Eigenschaften anderer Radkategorien. Die Schotterräder sind so geländetauglich wie klassische Cyclocross-Renner, ohne die Fahrer in eine allzu sportliche Sitzposition zu zwängen. Cyclocross ist die Rennvariante, bei der schlammbesudelte Sportler über enge Kurse jagen und gelegentlich das Rad schultern, um steile, rutschige Anstiege hinaufzurennen. Dabei brauchen die Sportler ein sehr wendiges Rad und eine Sitzposition, die wenig Komfort, dafür aber vielleicht entscheidende Sekunden bringt.

In Abgrenzung zu diesen Rädern ist ein Gravel Bike die Komfortvariante eines Crossers: Es sitzt sich angenehmer darauf, es lenkt etwas gutmütiger und rollt stabiler dahin. Die Geländetauglichkeit ist also aus dem Crossbereich entlehnt, der Komfort von sogenannten Endurance-Rennrädern: Diese sind für Langstrecken optimiert und sollen helfen, dass sich manche Schmerzen später einstellen als auf Wettkampfrennern.

Scheibenbremsen geben mehr Freiraum für breite Reifen

Geboren wurde die Radkategorie durch die Etablierung von Scheibenbremsen am Cyclocrossrad. Dadurch ist es möglich, Rahmen mit der Freiheit für breite Reifen zu bauen. Die klassischen Felgenbremsen limitierten, wie ausladend die Reifen ausfallen konnten. Und wer schon einmal mit einem prall aufgepumpten 23 oder 25 Millimeter breiten Rennradreifen länger über eine Schotterpiste geholpert ist, weiß, wie wenig Spaß das macht. Die um die 42 Millimeter breiten Reifen am Gravelbike, die mit deutlich geringerem Druck gefahren werden als am Rennrad üblich, schlucken viel Stoßenergie. Dass es einen natürlich trotzdem durchschüttelt, wenn das Rad über Wurzeln holpert: selbstverständlich, aber halt nicht ganz so arg.

Scheibenbremsen, dickere Reifen und ein etwas robusterer, auf Komfort ausgelegter Rahmen - im Endeffekt sind das schon die Elemente, aus denen sich Gravel Bikes zusammenfügen. Das klingt nun nicht nach dem großen Wurf, macht aber einen großen Unterschied. "Rennräder gewinnen dadurch die Universalität zurück, die sie durch die Konzentration auf den Rennsport verloren haben", sagt Gunnar Fehlau, der den Candy-B.-Graveler organisiert, eine Langstreckentour von Frankfurt am Main nach Berlin auf der Route, über die einst die Rosinenbomber flogen, die Berlin während der Blockade aus der Luft versorgten. Die Teilnehmer fahren auf solchen Breitreifenrennrädern, schnallen Taschen an die Rahmen und haben ein Zelt dabei. Für solche Langstreckentouren mit Gepäck ist das Gravelbike unter sportlichen Hobbyradlern bereits erste Wahl.

Ein Gravelbike kann sinnvoller sein als ein Rennrad

Die breiten Reifen sind meist mit einem zurückhaltenden Noppenprofil ausgestattet, die in Kurven bei Nässe und schlechtem Untergrund ausreichend Halt bieten und zugleich einen wesentlich geringeren Rollwiderstand haben als die Stollenreifen an Cyclocrossern oder Mountainbikes. Auf der Straße fahren sich die Räder fast so dynamisch wie ein klassisches Rennrad, abseits bereiten sie auch auf Pisten Spaß, auf denen einem mit dem Mountainbike fad wäre. Auch mit frischen Schnee vertragen sich die Räder erfreulich gut.

Gravel Bikes taugen also als Rundum-Rennrad. Es muss keinesfalls das Dritt-, Viert- und Fünftrad für den solventen Carbonsammler sein. Es könnte auch das einzige Rennrad bleiben oder die Einstiegsdroge ins sportliche Radeln sein: "Ein Gravelbike ist für viele vielleicht sogar sinnvoller als ein Rennrad, weil es alltagstauglicher ist", sagt Stephan Geiß, der den Votec Gravel Fondo im Schwarzwald mitorganisiert, eine weitere Veranstaltung, die rund um dieses Segment entstanden ist.

Am Ende aber sind es nur Nuancen: Auch ein Rennrad mit breiten Reifen ist nur ein Fahrrad, und die Unterschiede zwischen den vielen Unterkategorien sind oft so gering, dass sie sich nur im Kontrast offenbaren, wenn man unmittelbar von einem aufs andere Rad wechselt. Eine Sache aber drängt sich auf: Mit einem Rennrad abseits der Straßen zu fahren, bereitet neues Glück auf zwei Rädern. Muss das sein? Natürlich nicht, macht aber Spaß. In diesem Sinne: Auf in den Matsch!

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