Süddeutsche Zeitung

Neuer Designchef bei Renault:Sinnliche Formen, wenig Kanten

Mit Designchef Laurens van den Acker soll für Renault eine neue Zeitrechnung beginnen. Der Clio wird 2012 das erste Serienauto mit der geänderten Formensprache.

Jörg Reichle

Chefdesigner sind heute die Superstars der Autobranche. Namen wie Walter de'Silva (Volkswagen), Adrian van Hooydonk (BMW) oder Gorden Wagener (Mercedes) sind mindestens so bekannt wie ihre jeweiligen Konzernchefs. Auch der Holländer Laurens van den Acker, 45, gehört inzwischen zu den Top-Leuten der Branche. Um so bemerkenswerter sein Auftritt: bescheiden und uneitel; seine Sprache: fließendes Deutsch, eher leise gesprochen; seine Kleidung: unauffällig, wenn man von den leuchtend bunten Turnschuhen absieht, die er offenbar über alles liebt.

Seit Mai 2009, nach Stationen bei Audi, Ford und Mazda, ist van den Acker oberster Gestalter bei Renault, oder: Senior Vice President Corporate Design, wie der Titel exakt lautet, und damit einer der zentralen Hoffnungsträger des französischen Autobauers. Vorgänger Patrick Le Quément, 22 Jahre lang an der Spitze des Renault-Designs, genoss zwar unter seinesgleichen einen Ruf wie Donnerhall, schließlich hinterließ er dem Konzern eine Reihe hoch interessanter Konzeptcars und Kultmodelle wie den originellen Ur-Twingo. Einige seiner eher polarisierend gestalteten Serienautos verfehlten aber die Gunst der Kunden deutlich und strandeten am Ende auf dem Friedhof der guten Ideen.

Designphilosophie folgt dem Lebenszyklus

Jetzt also van den Acker. Im Herbst 2012 wird er mit dem neuen Clio sein erstes Serienauto vorstellen - ein erster echter Prüfstein nach dem gerade bevorstehenden Facelift des Twingo. "Als ich angefangen habe", erinnert sich der Vorgesetzte von insgesamt 459 Mitarbeitern aus 27 Nationen, verteilt auf fünf Standorte von Paris bis Seoul, "gab es keinerlei Vorgaben des Konzerns, keine bestehende Design-Linie, kein Markenbild, gar nichts. Ich musste bei Null beginnen".

Inzwischen ist klar wie van den Acker die Marke versteht. Renault, sagt er, sei menschlich, nicht Produkt-zentriert wie viele deutsche Marken: "Unsere Designphilosophie folgt dem Lebenszyklus, die Designsprache ist sensuell und warm". Autos zum Leben also soll es bei Renault künftig geben - wieder geben, müsste man sagen, denn man erinnert sich an lebensnahe Modell-Legenden wie den unverwüstlichen R4 aus den 1960er-Jahren, oder den revolutionär-funktionellen R16 von 1965 mit Fließheck, großer Ladeklappe und umlegbarer Rücksitzbank. Auch der Espace (1984) zählt dazu, der seinerzeit die Ära der Großraumlimousinen begründete und nicht zuletzt der witzige Twingo von 1992 im One-Box-Design, der sich nicht nur in ein fahrendes Doppelbett verwandeln ließ, sondern auch die verschiebbare Rücksitzbank in den Automobilbau brachte.

Doch am Erscheinungsbild der Marke haperte es. "Früher hatte bei Renault jedes Modell sein eigenes Gesicht", erinnert van den Acker. Kein Wunder, denn jedes Marktsegment hatte auch sein eigenes Designteam, Kommunikation fand so gut wie gar nicht statt. "Inzwischen", assistiert Axel Breun, "gibt es nur noch ein Exterior- und ein Interior-Design".

Der Direktor Konzeptfahrzeuge hat van den Ackers Vorstellung von "betont sinnlichen Formen mit spannungsgeladenen Rundungen und nur sehr wenigen Kanten" bereits in vier konkrete Designstudien umgesetzt: den DeZir (September 2010), ein zweisitziger Sportwagen mit Elektroantrieb, den Captur (Februar 2011), einen bullig gezeichneten Crossover. Dem menschlichen Lebenszyklus folgend war danach das erste Familienauto an der Reihe. Der R-Space (März 2011) ist ein großzügiges Raum-Konzept im One-Box-Design, es verzichtet auf eine B-Säule und der Innenraum lässt sich mit gepolsterten Würfeln in eine Spiellandschaft für Kinder verwandeln. Das vorerst letzte Konzept-Car, genannt Frendzy (September 2011), ist ein eher sinnlich geformter Kastenwagen, der Beruf und Familie vereinen soll. Vorgesehen sind für 2012 und 2013 zwei weitere Designstudien.

Allen Modellen gemeinsam ist vor allem das neue Markengesicht, das demnächst schon am überarbeiteten Twingo zu sehen sein wird. Der vergrößerte Rhombus des Logos ist dabei zentraler Bestandteil einer grundsätzlich dunkel gehaltenen Kühlermaske, die auch die Scheinwerfer miteinander verbindet. Der Vorteil dieses wichtigen Design-Elements: "Einerseits schafft es eine starke Identität", sagt van Ackeren, "andererseits muss es für unterschiedliche Modelle flexibel genug sein. Eine Konsequenz wie bei Audi oder VW wollen wir nicht."

Mehr gestalterische Freiheit auf der Kehrseite

Während die Front der künftigen Renaults also stark von der Verbindung der einzelnen Elemente lebt, soll die Kehrseite mehr gestalterische Freiheit bieten. Van Ackeren: "Hinten gibt es keine Verbindung zwischen den Leuchten, stattdessen versuchen wir einen Schwung über dem - ebenfalls großen - Logo".

Dass am Markt eine geräumige Nische für die neue Formensprache von Renault existiert, davon ist der neue Frontmann überzeugt. "Wir sind nicht so geometrisch wie VW, nicht avantgardistisch-kühl wie Citroen, nicht kinetisch wie Ford. Viele Marken, wie Hyundai und Ford, fasst van Ackeren zusammen, "haben heute ein sehr skulpturelles Design, mit vielen Kanten und Ecken. Aber der Mensch ist nun mal nicht eckig".

Eine weitere Herausforderung begegnet dem Design-Chef freilich im eigenen Haus. "Wir müssen", sagt er, "eine komplementäre Strategie für Dacia entwickeln - eine starke Marke, die außerdem wächst". Er stelle sich vor, dass Renault formal eher lateinisch, emotional und sensuell werde, Dacia dagegen germanisch, rational und robust. Eines sei aber sicher: "Der innere Wettbewerb der beiden Marken tut gut."

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Quelle:
SZ vom 12.12.2011/dd
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