Neuer Bahn-Fahrplan:Wie der "Deutschland-Takt" die Bahn attraktiver machen soll

Deutsche Bahn - ICE

"Attraktive Reiseketten" möchte die Bahn schaffen. Aber die Umsetzung dauert.

(Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Schon seit Jahren arbeiten Fachleute an einem integrierten, deutschlandweit getakteten Fahrplan, kurz nur "Deutschland-Takt" genannt.
  • Noch in diesem Herbst soll ein Musterfahrplan präsentiert werden. Vor 2030 sei der "Deutschland-Takt" aber nicht umzusetzen.
  • Experten befürchten, dass der Güterverkehr benachteiligt werden könnte.

Von Marco Völklein

Im Bahnhof Biel im Schweizer Kanton Bern gibt es noch einen dieser Wartesäle, reichlich verziert mit Holzvertäfelung und Gemälden des Künstlers Philippe Robert an der Wand. Über den gläsernen Türen hängt eine große Uhr. Der Saal in dem neoklassizistischen Bahnhofsgebäude verströmte einst viel Prestige, heute ist er ein Anachronismus. Denn in der Schweiz nutzt in der Regel kaum noch jemand einen Wartesaal.

Das hängt vor allem mit dem landesweit einheitlich getakteten Fahrplan zusammen, den die Schweizer seit gut 30 Jahren kennen. Das Prinzip: Die Züge fahren zu jeder Stunde in jede Richtung zur selben Minute ab, an einigen Bahnhöfen auch alle 30 Minuten. Den klaren Takt kann sich jeder Kunde ganz einfach merken. An Umsteigebahnhöfen halten die Züge zudem gemeinsam für einige Minuten, die Passagiere können bequem von einem Zug in den anderen wechseln, das nervige Warten auf den Anschlusszug entfällt. Und auch die Abfahrtszeiten vieler Regionalbusse sind auf die Taktzeiten der Züge abgestimmt.

Was für die Schweizer mittlerweile Alltag ist, soll künftig auch in Deutschland gelten. Seit einiger Zeit schon arbeiten Fachleute unter Führung des Bundesverkehrsministeriums an einem integrierten, deutschlandweit getakteten Fahrplan, kurz nur "Deutschland-Takt" genannt. Verbände wie der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Fahrgastverband Pro Bahn sowie Fachleute aus der Verkehrsbranche werben seit Jahren für einen solchen Komplettumbau des Eisenbahnwesens. Lange sperrte sich die Politik, erst in jüngster Zeit geht es voran.

"Wir hangeln uns von Koalitionsvertrag zu Koalitionsvertrag", sagt Lukas Iffländer von Pro Bahn. Wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung die Idee zunächst einmal nur prüfen, so versprach die Nachfolgeregierung bereits, den D-Takt zumindest mal zu planen. Zu Beginn der aktuell laufenden Legislaturperiode vereinbarten Union und SPD dann, das Projekt tatsächlich umsetzen zu wollen. Bereits im Jahr 2015 hatte eine Machbarkeitsstudie gezeigt, das ein Deutschland-Takt je nach Szenario Reisezeitersparnisse zwischen acht und zwölf Millionen Stunden pro Jahr bringen würde. Durch eine bessere Verzahnung der Angebote entstünden "für umsteigende Fahrgäste attraktive Reiseketten", schrieben die Gutachter. Die Nachfrage ließe sich um neun bis zwölf Millionen Fahrten steigern.

Ein Paradigmenwechsel im deutschen Eisenbahnwesen?

Nun also stehen die nächsten Schritte an. Noch im Herbst soll ein "Musterfahrplan für die Bahn im ganzen Land" präsentiert werden, kündigte vor Kurzem Enak Ferlemann (CDU) an, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Branchenkenner erwarten, dass das CSU-geführte Verkehrsministerium das neue Fahrplanmodell noch vor der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober der Öffentlichkeit vorstellen könnte.

Damit würde ein Paradigmenwechsel im deutschen Eisenbahnwesen eingeleitet. Es wäre ein Beitrag hin zu "einer ökologischen Verkehrswende", hoffen die Initiatoren des Deutschland-Takts. Fortschritte beim Klimaschutz oder bei der Luftreinhaltung seien nur zu erreichen, wenn die Politik künftig verstärkt auf die Schiene setze. Diese Erkenntnis setze sich nun nach und nach durch, sagen viele aus der Bahn- und der Nahverkehrsbranche. Die Frage sei nur: Wie lange hält das an? Und was passiert, wenn die Steuereinnahmen irgendwann mal weniger üppig sprudeln?

Vor 2030 wird der Deutschland-Takt nicht eingeführt werden

Vor allem aber würden Schienenprojekte mit dem Deutschland-Takt künftig anders geplant. In der Vergangenheit wurde zunächst eine Neubaustrecke erst gebaut - und dann wurde überlegt, mit welchen Zügen man wie oft darauf fahren möchte. Künftig würde es anders laufen: Zunächst würde geschaut, welche Orte man wie oft miteinander verbindet und wo die Fahrgäste am besten umsteigen, um auch entlegene Halte zu erreichen. Und bestenfalls wird dieser Zielfahrplan so konstruiert, dass mehr Züge angeboten und mehr Menschen zum Umstieg von der Straße auf die Schiene bewegt werden. Und erst dann wird geprüft, welche Gleise, Weichen und Brücken zusätzlich gebaut werden, um all das fahren zu können. "Kostspielige Prestigeobjekte" wie der umstrittene Stuttgarter Hauptbahnhof gehörten so der Vergangenheit an, sagt Phillip Kosok vom VCD. Vielmehr müssten künftig kleinere Maßnahmen umgesetzt werden. Schon die würden helfen, mehr Züge durchs Land zu steuern.

Doch bis es soweit ist, wird es noch dauern. Vor dem Jahr 2030, so heißt es, wird der Deutschland-Takt nicht eingeführt werden. Und selbst dann, sagt Lukas Iffländer von Pro Bahn, wird man schrittweise vorgehen müssen. "Es wird keine Umstellung auf einen Schlag möglich sein." Denn um mehr Züge in einem engeren, aufeinander abgestimmten Takt fahren zu lassen, sind zahlreiche Investitionen nötig. So müssten etwa zusätzliche Gleise auf jetzt schon stark frequentierten Strecken gebaut werden. Iffländer würde unter anderem die Strecken zwischen Landshut und Plattling in Niederbayern zweigleisig ausbauen, um mehr Züge von München nach Passau schicken zu können. Ebenso müsste die für den Verkehr von Köln nach Hamburg wichtige Strecke zwischen Münster und Lünen ein zweites Gleis erhalten.

"Eine gigantische, milliardenteure Angelegenheit"

Auch an zahlreichen Knoten- und Umsteigebahnhöfen müssten wohl die Bautrupps anrücken. So zum Beispiel in Hamm in Nordrhein-Westfalen, wo laut Iffländer zusätzliche Gleisbrücken (Fachleute sprechen von "Überwerfungsbauwerken") errichtet werden müssten, damit sich dort die Züge beim Ein- und Ausfahren in einem relativ engen Zeitfenster nicht gegenseitig blockieren. Und damit die Fahrgäste in nur wenigen Minuten Umsteigezeit ihren Anschlusszug auch wirklich erreichen, ohne komplett aus der Puste zu kommen, wäre etwa in München eine zusätzliche Bahnsteigquerung am westlichen Ende des Hauptbahnhofs nötig. Bisher müssen die Fahrgäste in dem Kopfbahnhof erst auf dem einen Bahnsteig am gerade eingefahrenen Zug entlang ganz nach vorne laufen, um zu ihrem Anschlusszug auf einem anderen Gleis wechseln zu können. Der Deutschland-Takt sei deshalb auch "eine gigantische, milliardenteure Angelegenheit", urteilt Pro Bahn.

Zumal bislang noch überhaupt nichts beschlossen ist, sondern zunächst nur emsig geplant wird. Aktuell arbeiten Fachbüros an den Details. Unter anderem versuchen sie auf Regionalkonferenzen, die Taktfahrpläne für die Regionalzüge, die es bereits in einigen Bundesländern gibt (etwa in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) in den D-Takt zu integrieren. Erst wenn dieser Gesamtplan steht, kann man im nächsten Schritt abschätzen, welche Infrastruktur man dazu braucht. "Und erst dann wird man auch sehen, ob diesen Baumaßnahmen von der Politik die entsprechende Priorität eingeräumt wird", sagt Kozok. Voraussetzung sei zudem, dass die Deutsche Bahn (DB) pünktlicher werde, heißt es bei Fachleuten. Denn damit steht und fällt der Taktfahrplan. Zu viele unpünktliche Züge zögen "sofort eine Unmenge an Folgeverspätungen nach sich", sagt einer. Der gesamte Plan geriete aus dem Takt. Noch aber sind nur drei von vier DB-Fernzügen pünktlich - und pünktlich bedeutet nach der Definition des Konzerns ohnehin nur, dass ein Zug nicht mehr als sechs Minuten Verspätung hat.

Bislang zu wenig berücksichtigt bei den Planungen sei zudem der Schienengüterverkehr, kritisiert Peter Westenberger vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), einem Zusammenschluss diverser Güterverkehrsunternehmen. Zwar sieht der Deutschland-Takt grundsätzlich vor, dass zwischen den einzelnen Personenzügen genügend freie Zeit bleibt, damit auf den Strecken auch Güterzüge rollen können. Doch eine erste Prüfung einzelner Abschnitte habe gezeigt, dass nach den bisherigen Planungen Güterzüge immer wieder gestoppt würden, um die schnelleren Personenzüge vorbeiziehen zu lassen, sagt Westenberger. "Unterm Strich sinkt so die Durchschnittsgeschwindigkeit der Güterzüge weiter." Das aber benachteilige die Güterzugbetreiber im Wettbewerb mit dem Lkw. Wer künftig mehr Waren auf der Schiene befördern wolle, der müsse genügend Kapazitäten für Güterzüge vorsehen - beispielsweise in Städten wie Hannover oder Frankfurt, die als wichtige Durchgangsknoten für Güterzüge dienen.

Außerdem muss eine wichtige Frage geklärt werden: Wer befährt künftig Strecken, die nach dem Deutschland-Takt zwar bedient werden sollen, die sich aber wirtschaftlich nicht tragen, etwa weil sie in entlegene Ecken der Republik führen? Bislang läuft der DB-Fernverkehr komplett eigenwirtschaftlich, der Bund schießt nichts zu. Anders im Regionalverkehr: Dort sagen die Länder, wo die Züge wie oft fahren sollen, bestellen diese Leistungen bei der DB sowie bei deren Konkurrenten - und bezahlen diese dann dafür. Die Verfechter des Deutschland-Takts sagen: Künftig muss der Bund klare Vorgaben machen. Und sich notfalls etwas einfallen lassen, um auch defizitäre Strecken zu bedienen.

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