Neue Vorwürfe gegen Autoclub:"Die ärmsten Schweine im ADAC"

ADAC-Abschleppwagen Mercedes Sprinter

Partnerunternehmen, die für den ADAC Abschleppfahrten übernehmen, klagen über zu geringe Bezahlung.

(Foto: ADAC)

Der Automobilclub versucht im großen Stil, eigene Leistungen auf andere Versicherungen abzuwälzen. Die schlecht bezahlten Partnerunternehmen bekommen aber so wenig fürs Abschleppen, dass viele ums Überleben kämpfen. Dabei versucht der ADAC doch gerade, sein Image zu polieren.

Von Bastian Obermayer, München

Der Mann im dreckigen Mechaniker-Overall lacht nur. "Wir sollen Partner sein? Wir sind die Billigarbeiter des ADAC, die man jederzeit herumkommandieren kann." Er stapft über den Hof seiner Abschleppfirma an der Peripherie einer mittelgroßen Stadt. In den Garagen parken große gelbe Abschleppwagen - "im Auftrag des ADAC" steht darauf. Dazwischen ein paar kleinere Pannenhilfeautos, manche gelb, manche anders lackiert. An der Einfahrt: Ein gelbes ADAC-Schild. Einer der rund 1000 Partner-Betriebe des ADAC, die für den Verein Pannenhilfe- und Abschleppdienste übernehmen. Etwa ein Drittel aller Einsätze werden von diesen Firmen gefahren, im Fachjargon Straßendienst-Partner, abgekürzt: SDI-Partner.

"Aber wir sind schon lange keine Partner mehr", sagt der Mann, der in dieser Geschichte Hans Müller heißen soll. Er will loswerden, warum er nach vielen Jahren beim ADAC und etlichen Jahren der stillen Wut jetzt auspackt. "Die Mitglieder sollen wissen, dass sie manchmal stundenlang warten müssen, damit der ADAC ein paar Euro spart." Dann nämlich, wenn der ADAC statt des SDI-Partners lieber einen festangestellten Pannenhelfer schickt, einen der "Gelben Engel" - obwohl der SDI-Partner wesentlich näher dran wäre und das liegen gebliebene Mitglied weniger lang warten müsste, wenn man ihn rufen würde. "Aber weil wir etwas kosten, auch wenn das nur ein paar Euro sind, werden die Pannenhelfer ausgelastet bis zum Gehtnichtmehr. So spart der ADAC, die Mitglieder warten sich einen Wolf, wir kriegen was übrig bleibt, und müssen dafür auch noch dankbar sein", sagt Müller.

"Die Pannenhelfer werden ausgelastet bis zum Geht-nicht-mehr."

Er durchquert seinen Hof zur Straße, und zeigt auf die nächste Kreuzung. "Mir ist schon passiert, dass dort jemand liegen geblieben ist. Der hat den ADAC angerufen, und als nach einer Stunde immer noch keiner da war, ist er wütend zu mir reingekommen: ,Junge, wo bleibst du denn?'" Aber Müller wusste von nichts . Die Zentrale hatte einen Gelben Engel beauftragt, der aber noch zu tun hatte. Es ist dieser ADAC wohlgemerkt, der Jahr für Jahr hohe Millionenbeträge auf die Seite legt, und so, laut eines internen Dokuments, über das der Spiegel berichtet, ein Vermögen von etwa 3,5 Milliarden Euro angehäuft hat.

Dieser ADAC hat sich am deutschen Pannenhilfemarkt eine extrem starke Position aufgebaut. Er kann daran nach eigenen Maßstäben teilhaben lassen oder ausschließen. Die Teilhabe sei mittlerweile für sie existenzgefährdend, sagen einige SDI-Partner, weil der ADAC so schlecht bezahle. Der Ausschluss aber wäre das Ende, sagt Hans Müller. Wie kommt das?

SDI-Partner erhalten vom ADAC Pauschalen zwischen etwa 60 Euro und 80 Euro fürs Abschleppen. Seit einiger Zeit werden aber teilweise noch geringere Beträge bezahlt, nur etwas über 30 Euro pro Einsatz. Der Trick: Der ADAC bündelt mehrere Aufträge mit nah beieinander liegenden Einsatzorten - und kürzt dafür aber die Bezahlung.

ADAC-Partner kämpfen um ihre Existenz

Glaubt man Müller, rechnen sich viele ADAC-Einsätze für ihn nicht mehr - auch wenn er seine Mitarbeiter zur Eile antreibt. Etliche andere Betriebe kämpfen um ihre Existenz, einige haben ihre ADAC-Verträge gekündigt. "Wenn ich nicht für den ADAC fahre, habe ich bei den großen Schleppern Stundensätze von 140 Euro", sagt Müller. Deutlich mehr also. Nur: Ohne ADAC hätte er kaum Aufträge.

Die Marktmacht des Vereins ist groß. "Drei Viertel meiner Aufträge habe ich vom ADAC", sagt Müller, "wenn das wegfällt, kann ich zusperren. Und das wissen die in München ganz genau. Die sagen: ,Wenn du es nicht mehr machen willst, ich hab fünf an der Hand, die dich ersetzen."

Das bestätigt einer, der genau dort arbeitet: In der Zentrale in München, in der Abteilung, die den Kontakt zu den SDI-Partnern hält. Auch er muss unerkannt bleiben, wenn er seinen Job behalten will. Aber er will, dass sich etwas ändert. Dass sein Team die Abschleppfirmen wieder wie Partner behandelt, denn "jetzt sind die wirklich die ärmsten Schweine im ADAC".

Dieser Mann, nennen wir ihn Ulrich Steiner, kennt all das, von dem Abschlepper Hans Müller erzählt, von der anderen, der ADAC-Seite. Einer seiner Vorgesetzten habe bei einer Veranstaltung vor SDI-Partnern gesagt, man bezahle ihnen nicht zu wenig. Im Gegenteil: Wenn man sich deren Privatwägen und die Einsatzautos so ansehe, müsse man überlegen, ob man ihnen nicht zu viel bezahle.

"Die Arroganz des großen ADAC"

Dieser Satz - den der ADAC nicht kommentieren möchte - hat schnell die Runde gemacht, er findet sich auch in einem neunseitigen Wutbrief, der unter den SDI-Partnern kursiert. Dieser Satz sorgt noch immer für Wut, weil er so unverblümt auf den Punkt bringt, was die Oberen in diesem System offenbar von den Unteren halten.

Ein kleines Beispiel: Es gibt für die SDI-Partner genaue Vorschriften, wie die Einsatzwägen zu beschriften sind, das fällt unter das Schlagwort "corporate identity". Bei Zuwiderhandlung drohen drastische Geldstrafen, sagt ein SDI-Mann. Das passiere nur höchst selten, hält der ADAC dagegen. Aber sieht so eine Partnerschaft aus?

"Natürlich kann man das anders regeln", sagt Ulrich Steiner, der Mann im ADAC, "aber das ist die Arroganz des großen ADAC gegenüber denen da draußen. Und die muss weg, wir brauchen eine neue Freundlichkeit im Umgang."

Aber allein von Freundlichkeit kann ein Abschleppunternehmer seine Angestellten nicht bezahlen oder den Fuhrpark instand halten. Er braucht Aufträge, die sich rentieren. Da der ADAC ihn so knapp hält, versucht Müller - in Absprache und mit der Unterstützung des ADAC - sich sein Geld anderswo zu holen. Und zwar: Bei der Konkurrenz des ADAC, den anderen Anbietern von Pannenversicherungen.

Eine Vielzahl deutscher Autofahrer ist gegen Pannen nämlich doppelt oder sogar dreifach versichert: Über die Mobilitätsgarantie eines Autoherstellers, den Schutzbrief der KFZ-Versicherung und eben über den ADAC. Das versucht der ADAC seit einiger Zeit für sich zu nutzen, indem er seine Straßendienstpartner anleitet sich von den Mitgliedern "Abtretungserklärungen" unterschreiben zu lassen - und dann bei den Versicherungen zu kassieren. Die SDI-Partner bekommen so weit mehr Geld, weil die Versicherungen nicht die niedrigen ADAC-Pauschalen anweisen dürfen. Und für den ADAC bedeutet es: Er muss für eine Leistung, die er seinen Mitgliedern und Kunden verspricht, nicht zahlen.

Viele deutsche Autofahrer sind doppelt oder sogar dreifach gegen Pannen versichert

Der ADAC bestreitet vehement, sich diese Abtretungserklärungen schreiben zu lassen. "Wirklich?" Hans Müller lacht. Dann geht er ins Büro und holt aus einem Schrank einen Karton, der voll ist mit "Abtretungserklärungen". Post vom ADAC. Auch wenn auf den Dokumenten nirgends ADAC steht. "Abtretungserklärungen sind eines der wenigen Dinge, die wir vom ADAC umsonst bekommen", sagt Müller.

Dann zieht er aus einem Ordner interne Anweisungen hervor, zum Beispiel einen Brief aus der juristischen Abteilung des ADAC. Darin steht ausdrücklich, dass der SDI-Partner zu klären hat, ob "für das havarierte Fahrzeug ein Dritter leistungspflichtig ist". In diesem Fall übernimmt der ADAC "nicht die anfallenden Kosten". Der Satz ist unterstrichen. Ein ADAC-Sprecher erklärt, davon wisse man nichts.

Inzwischen ist das Vorgehen des ADAC auch den anderen Versicherungen aufgefallen, viele wehren sich. Der ADAC rüstet seine SDI-Partner aber nicht nur mit Abtretungserklärungen aus, sondern auch mit Musterbriefen an zahlungsunwillige Versicherer. In diesem vorformulierten Schreiben findet sich der Hinweis, dass der ADAC seine Club-Leistungen "als subsidiär erklärt". Das bedeute: "andere mögliche Kostenträger müssen vorab in Anspruch genommen werden." Per Mail erhielt Müller sogar noch eine Reihe von Formulierungen, die er gegenüber Versicherern benutzen solle - etwa dass der ADAC "in diesen Fällen lediglich als Vermittler tätig" war. Der ADAC bestreitet solche Hilfestellung zu geben. Die Existenz derartiger Schreiben sei "nicht bekannt".

"ADAC Subsi-Meister"

Die Angelegenheit erinnert ein wenig an die Vorwürfe von ADAC-Mitarbeitern, in der Pannenhilfe seien Clubmitglieder "Kunden zweiter Klasse", wenn gleichzeitig Kunden von Autoherstellern, für die der ADAC Pannenhilfe anbietet, eine Panne melden.

Ulrich Steiner in der ADAC-Zentrale kann das alles nicht mehr hören. Seit Jahren forciere man die "Alternativ-Abrechnungen" der SDI-Partner. Er selbst habe schon SDI-ler angerufen und Druck gemacht, warum die Quoten so niedrig seien. "Warum sagen wir nicht, dass wir uns Abtretungserklärungen unterschreiben lassen, um ADAC-Geld zu sparen? Und dass wir das jetzt auf den Prüfstand stellen?"

Der Abschlepper Hans Müller packt seinen Kram zusammen. Sein geschäftliches Überleben hat er auch damit gesichert, dass er zum Teil Alternativ-Abrechnungs-Quoten von über 50 Prozent hatte. Heißt: Für jedes zweite ADAC-Mitglied, das er abgeschleppt hat, musste der Verein nicht zahlen. Aber es geht noch besser, er weiß von einem Kollegen, der vom ADAC dafür belobigt wurde, dass er die "Subsidiarität" der ADAC-Leistungen so gut einhält. Die Belohnung: Ein Zinnkrug, mit einer Gravur im Deckel: "ADAC Subsi-Meister".

Der ADAC lässt erklären, die Existenz von Belohnungen sei ihm nicht bekannt.

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