Süddeutsche Zeitung

Neue Rennstrecke Bilster Berg:Auf Rundkurs mit dem Landadel

Marcus Graf von Oeynhausen besitzt ein Luxushotel, eine Golfanlage und vieles mehr. Zu seinem Glück fehlte nur noch eines: eine Rennstrecke. Jetzt eröffnet das Bilster Berg Drive Resort - und erfüllt so den Lebenstraum des Unternehmers. Ein Besuch in Ostwestfalen.

Von Katharina Nickel

"Wollen wir noch eine Runde?", fragt Marcus Graf von Oeynhausen-Sierstorpff. Im F-Type, dem neuen Sportwagen von Jaguar, jagt er am Clubhaus vorbei in die nächste Kurve. "Sehen Sie sich diesen Blick an - Grün, soweit das Auge reicht", sagt er und deutet mit einer ausladenden Handbewegung auf die Rasenflächen der Boxen. Auch von der Ostschleifenterrasse aus hat man einen guten Blick auf vorbeirauschende Sportwagen und den Naturpark Teutoburger Wald / Eggegebirge in Ostwestfalen-Lippe (OWL). Dort eröffnete am Samstag das Bilster Berg Drive Resort, eine Test- und Präsentationsstrecke, die vom Ambiente her an einen Country Club erinnert: Grünanlagen grenzen an den Asphalt, Mitarbeiter testen einen High-Tech-Rasenmäher, blonde Frauen in Steppjacken sitzen im verglasten Restaurant.

Autorennen wird es dort allerdings nicht geben. Bis Oktober 2013 ist die Strecke zwar bereits ausgebucht, allerdings zu Testzwecken. Neben Jaguar haben sich bereits Porsche, VW und Audi zur Prüfung neuer Modelle angemeldet. Privatpersonen steht das Gelände an sogenannten "Open House Days" zur Verfügung. Wer den Bilster Berg privat mieten will, muss dafür 20.000 Euro pro Tag einrechnen. Das könne man schon verlangen, meint von Oeynhausen, und Ruben Zeltner, Geschäftsführer des Sachsenrings, der mit Jaguar die Strecke besucht, bestätigt: "Höchstens auf der Nordschleife des Nürburgrings sind vergleichbare Bedingungen anzutreffen."

Von Oeynhausen gehört zum Landadel von OWL und passt ins Country-Club-Bild: Mit seinem blauen Hemd, den weißen Manschettenknöpfen, dunklen Lederschuhen, iPad und Sonnenbrille erfüllt der 52-Jährige auf den ersten Blick das adlige Klischee. So kurz vor der Eröffnung lässt er sich den Stress nicht anmerken. Er besitzt Anteile am Projekt Bilster Berg und war dessen Initiator. Die Idee entstand im Jahr 2006, als Johann Friedrich Freiherr von der Borch seinen Freund von Oeynhausen um einen Vorschlag zur Umgestaltung des Bilster Bergs bat. Da führte er bereits seit mehr als zehn Jahren die Unternehmensgruppe Graf von Oeynhausen-Sierstorpff. Jährlicher Umsatz: circa 80 Millionen Euro. Neben einem Luxushotel verwaltet er den Gräflichen Park, eine Golfanlage, eine Naturheilquelle und diverse Kurkliniken. Die Idee für eine Test- und Präsentationsstrecke entstand aus seiner Leidenschaft für den Motorsport: Regelmäßig fährt er moderne Langstrecken- und Oldtimerrennen. "Die Teststrecke treibt uns nicht in den Ruin", sagt von Oeynhausen. "Wir bauen alle fünf Jahre eine neue Kurklinik."

Das ehemalige Nato-Munitionsdepot auf dem Bilster Berg in OWL lag brach, nachdem die von der Borchs es in den neunziger Jahren von den Engländern zurückgekauft hatten. Gemeinsam besuchten die beiden Geschäftsfreunde den bekannten Streckenplaner Hermann Tilke. Von Oeynhausen erinnert sich: "Tilke zeigte uns einen Vogel und meinte: Das wird euch niemand genehmigen. Vergesst es!" Immerhin sollte es die erste Rundstrecke in den westlichen Bundesländern nach mehr als 80 Jahren werden. Doch die beiden Ostwestfalen bestanden auf ihrem Standort in der Provinz und konnten auch Tilke bei einer Besichtigung vor Ort überzeugen.

Die Strecke ist 4,2 km lang und zehn bis zwölf Meter breit. Ein Höhepunkt ist sicher die Mausefalle mit einem Gefälle von 26 Prozent und einer starke Steigung am Kurvenausgang von mehr als 20 Prozent. "Ist Ihnen schon schlecht?", fragt von Oeynhausen. Schlecht nicht. Der Streckenverlauf ist ungewohnt, aber spannend - und wegen der herausfordernden Topografie nicht Grand-Prix-geeignet. "Keine einzige Stelle ist ebenerdig", erklärt er. "Es gibt 44 Kuppen und Wannen und 19 Kurven mit insgesamt 70 Metern Höhenunterschied." Ein mehr als zwei Kilometer langer, bewaldeter Offroad-Parcours sowie eine Asphaltebene für Sicherheitstrainings ergänzen den Rundkurs. Damit brauche der Bilster Berg den Vergleich mit anderen Strecken nicht zu scheuen, sagt Zeltner.

Nach siebeneinhalb Jahren Planungs- und Bauzeit war das 34-Millionen-Euro-Projekt dann realisiert. Finanziert wurde es ausschließlich von 172 privaten Gesellschaftern, Freunde von Oeynhausens und Förderer der Region OWL, wie Gaby von Oppenheim aus der gleichnamigen Bankiersfamilie. Aber auch internationale Gesellschafter aus Österreich, der Schweiz und den USA sind darunter. Bis zur offiziellen Freigabe der Strecke am 11. April 2013 war ein aufwendiges Genehmigungsverfahren zu bewältigen. Fast 200 Einwände gingen gegen das Drive Resort bei der Kreisverwaltung ein.

Mit der Bürgerinitiative "Ruhe am Bilster Berg" wollten einige Anwohner den Bau verhindern. Ulrich Kros, der die "Interessengemeinschaft Ruhe am Bilster Berg" ins Leben rief, stellte anfangs noch klar: "Wir sind entschlossen, einen Weg zu finden, der dieses unsinnige und für Menschen und Natur inakzeptable Projekt verhindern kann." Auf einer Protestaktionen betrauerten Anwohner und Unterstützer der Initiative mit gereimten Parolen die Naturzerstörung: "Gerne wären wir noch auf dem Berg geblieben, doch der Graf hat uns vertrieben." Die Proteste waren jedoch kaum der Rede wert, erzählt hingegen von Oeynhausen. "Nur ein paar der Einwendungen waren wirklich von Belang. Dabei ging es um Lärmbelästigung und Umweltschutz - das Übliche."

Die gerodeten Waldflächen sind seinen Angaben zufolge wieder ausgeglichen worden. Außerdem überwachen die Mitarbeiter der Race Control, der Streckenleitzentrale, mit einem detaillierten akustischen System die Dezibel-Anzahl, die auf der Strecke gerade vorherrscht. "Das müssen Sie sich vorstellen wie ein Girokonto, von dem Beträge abgebucht werden", erklärt einer der Mitarbeiter. "Leise Fahrzeuge buchen kleine Beträge ab, laute Fahrzeuge große Beträge. Ist das Konto fast leer, ziehen wir notfalls den 'Bösewicht', also das lauteste Fahrzeug, aus dem Verkehr. Ansonsten wäre die Veranstaltung bei leerem Konto zuende." Schreckt das die Autohersteller nicht ab? "Das Kontingent überschreiten wir nie", ist seine Antwort.

Als schließlich alle Klagen der Anwohner vom Oberverwaltungsgericht Münster abgewiesen worden waren, sei der Protest verebbt. Von Oeynhausen jedenfalls glaubt, dass die Westfalen nun verstanden haben, dass "wir etwas Gutes für die Region tun". 20 interne Arbeitsplätze hat er bereits geschaffen und will "am liebsten noch eine Null dranhängen." Eine Bäckerei aus dem nahegelegenen Nieheim etwa beliefert eines der Restaurants des Drive Resorts. Schon in der Bauphase seien Aufträge von über 15 Millionen Euro an Unternehmen aus der Region vergeben worden. Inwiefern diese Unternehmen auch in Zukunft von der Teststrecke profitieren werden, bleibt abzuwarten. Eine Manufaktur soll es künftig geben, die den Herstellern die Möglichkeit bietet, die Autos, die sie testen, auch dort zu bauen. Dass dieses Ziel weitere Protestaktionen nach sich ziehen wird, ist zu erwarten.

Zurzeit profitieren vor allem die Gesellschafter, für die die umliegenden Hallen sowie acht Samstage und Sonntage im Jahr reserviert sind - und damit natürlich auch für von Oeynhausen, der sich mit dem Drive Resort auch einen Lebenstraum verwirklicht hat. "Jetzt ist er total verrückt geworden", hieß es zu Beginn des Projektes. Für die Rennstrecke in der Provinz wurde ein verrückter Graf jedenfalls erst einmal benötigt.

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