Neue Modelle:BMW - Vom Vorreiter zum Nachzügler

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Ian Robertson, Marketingchef von BMW präsentiert in Paris den X2 concept. (Foto: AP)

Junge Automarken setzen konsequent auf Elektromobilität und autonomes Fahren - für BMW bleibt der Verbrennungsmotor ein wichtiges Standbein. Die Marke braucht dringend wieder einen Volltreffer.

Von Georg Kacher

An Ideen hat es den BMW-Oberen nie gemangelt. Doch immer öfter zeigen sie im 22. Stock des BMW-Vierzylinders Angst vor der eigenen Courage. Nach dem Vorpreschen mit dem Project i verpassten sie den Trend zu luxuriösen Elektroautos - wohl aus Aversion gegen 500 Kilogramm Batteriegewicht. Auch der Leichtbau mit Kohlefasern spielt künftig eine Nebenrolle, obwohl BMW in Leipzig und anderswo eigene Fabrikhallen für die gewebten und geklebten BMW-i-Karosserien errichten ließ. Was ist aus anderen revolutionären Denkansätzen geworden? Neue Bediensysteme wie iDrive haben längst Nachahmer gefunden. Genau wie die modulare Motorenstrategie vom Dreizylinder bis zum V8. Reicht die Innovationsstärke also, um neue Wettbewerber auf Distanz zu halten?

Während junge Automobilmarken konsequent auf Elektromobilität und autonomes Fahren setzen, steckt BMW mit je einem Fuß in der alten und der neuen Welt. Project i gilt nach wie vor als Verlustbringer, Mini hinkt dem Plansoll weit hinterher, 6er und 7er kämpfen gegen die S-Klasse auf verlorenem Posten, die Vierzylinder-Hybride sind knurrige Teilzeit-Dynamiker, die höchsten Zuwachsraten verbucht der 2er Active Tourer - ein bieder gestylter Van mit Frontantrieb, der zur Marke passt wie ein Ketchupfleck zum Hochzeitskleid. Auf der Sonnenseite der Bilanz glänzt die immer stärker nachgefragte X-Palette, die 2017 um einen coupéhaften X2 und einen bombastischen X7 erweitert wird. Der neue 5er, der im kommenden Jahr in Serie geht, und der nächste 3er, der 2018 folgt, müssen unbedingt Volltreffer werden und die Zukunft sichern. Keine leichte Aufgabe, denn das Design wirkt mutlos und die Technik ist evolutionär. Glanzlichter muss die markentypische Sportlichkeit setzen, während beim luxuriösen Verwöhnaroma noch Nachholbedarf besteht.

Elektroantrieb kommt mit Verspätung

Dort, wo Mercedes das große Geld verdient, ist BMW bestenfalls zweiter Sieger. Die S-Klasse mit ihren sechs Varianten dominiert die Konkurrenz. Von 2021 an kommt im oberen Preissegment auch noch ein Elektromobil-Quartett made in Sindelfingen hinzu. Der neue 7er mag ein gutes Auto sein, aber selbst im Schulterschluss mit der 8er-Reihe wird das nicht reichen, um den Stern vom Himmel zu holen. Der 8er ersetzt ab 2018 in drei Karosserievarianten (Coupé, Cabrio, GranCoupé) den 6er und soll den zweitürigen S-Klasse-Modellen Konkurrenz machen: Ohne E-Option, wohl aber als Sechszylinder mit Plug-in- oder 48-Volt-System. Nicht nur der hohe Aufwand und die kleinen Stückzahlen sorgen bei Kritikern für Stirnrunzeln. Sondern auch die Frage, ob dieses konservative Konzept überhaupt bis zum Ende der Laufzeit durchhält. Die Elektrifizierung der Topmodelle ist ein absolutes Muss, geht aber erst 2022 in Serie und kommt damit möglicherweise zu spät.

Was ist bloß aus dem revolutionären Project i geworden? Zum einen müssen i3 und i8 nach der Überarbeitung noch bis mindestens 2022 durchhalten, zum anderen kommt 2021 mit dem i20 ein drittes i-Fahrzeug auf den Markt. Dieser iNext beherrscht in der Endausbaustufe das vollautonome Fahren - hands off, eyes off, brain off. Der große Bruder des i3 im Format eines 5er mit langem Radstand lädt auf Wunsch induktiv und ist in Bezug auf Motorleistung und Energiedichte in drei Stufen skalierbar. Karosserie und Chassis entstehen in gewichtsoptimierter Mischbauweise - mit Bauteilen aus Kohlefaser-Recycling (Carbon 2.0), Aluminium und Stahl. Die Rede ist vom weiterentwickelten Life-Drive-Konzept des i3, bei dem der Spaceframe-Unterbau mit dem Batterieblock als tragendem Teil und der Aufbau getrennt voneinander vorgefertigt und montiert werden. Der i8-Nachfolger wird aus heutiger Sicht ein reiner Elektro-Sportwagen mit drei Motoren und einer Systemleistung von 550 bis 750PS.

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BMW hat kürzlich angekündigt, bis 2020 mindestens 200 000 E-Fahrzeuge bauen zu wollen. Mit dem bisherigen Portfolio an (Teilzeit-)Stromern ist das nicht zu schaffen. Diese Aufgabe müssen der Elektro-Mini (2019), der elektrifizierte X3 (2018, zunächst nur für China) und der modellgepflegte i3 (2017, dann auch als stärkerer i3S) übernehmen. Obwohl sich der E-Mini im Teileregal des i3 bedient, reicht der Platz nur für eine Reichweite von 140 Kilometern. Erst 2022 kommt ein Batterieauto im Format der 3er-Reihe. Die viertürige Limousine verbindet Elemente der bestehenden Plattform mit einem Flachspeicher-Mittelstück, in dem die Batterien untergebracht sind. Kolportiert werden zwei Varianten: ein Heckmotor-Modell mit 235 kW Leistung und eine über 300 kW starke Version mit zwei E-Maschinen.

Auch im Zeitalter der Elektromobilität und des hoch automatisierten Fahrens soll die Abgrenzung zur Konkurrenz über das Fahrerlebnis erfolgen. Antriebsmanagement, E-Motoren und Akkus müssen besser sein als bei den Wettbewerbern. BMW denkt über ein duales System mit zwei Batterietypen nach, die sich durch Extra-Power beim Boosten einerseits und große Reichweite andererseits ergänzen. Vor allem geht es aber darum, aus den Architekturen von Project-i- und BMW-Modellen ein großes Ganzes zu machen.

In Sachen Connectivity und Digitalisierung ist in München bereits Realität, was anderswo erst angekündigt wird: eine in der Cloud verankerte, kontinuierlich mit Kundendaten gefütterte Schnittstelle. So entsteht ein persönliches Profil, das ständig aktualisiert wird. Das Auto lernt vom Nutzer, kennt seinen Fahrstil, seine häufigsten Ziele, den Terminplan, seinen Musikgeschmack und den Lieblingsitaliener. Das Geschäftsmodell besteht für BMW darin, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Zum Beispiel durch das Freischalten einer vormontierten, aber beim Kauf nicht aktivierten Sitzheizung, einem zeitlich begrenzten Over-the-Air- Leistungszuwachs vor einer langen Autobahnfahrt oder einer abrufbaren Zusatzfunktion wie fahrerloses Einparken. Zumindest im Ankündigungswettlauf ist Elon Musk schon weiter: Ab dem nächsten Jahr soll jeder Tesla mit dem kompletten Sensor- und Rechner-Set für hoch automatisiertes Fahren ausgestattet werden. Die Freischaltung der Software soll 8000 US-Dollar kosten.

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BMW plant derweil ein Testzentrum für autonomes Fahren im Großraum München für 2000 Mitarbeiter mitsamt eigener Teststrecke. Die neuen aggressiven Wettbewerber wie Tesla werden zum Stresstest für die Branche. Alle traditionellen Autohersteller kämpfen mit Strukturen, die von Maschinenbauern geprägt sind. Die festen Glaubenssätze in den Unternehmen werden auch für BMW zum Problem. Vor nicht allzu langer Zeit haben viele in München den Allradantrieb als überflüssiges Kroppzeug für Amateure bezeichnet. Inzwischen ist xDrive ein wichtiger Renditebringer. Dominant, unkaputtbar und immer noch hoch emotional ist die Freude am Fahren. Dafür wird es mit jeder CO₂-Verschärfung schwieriger, die alternde Stammkundschaft bei der Stange zu halten und gleichzeitig die Kinder der Digitalisierung als Neukunden zu gewinnen.

Allianz mit Toyota

Solche Herausforderungen sollen künftig vermehrt im Schulterschluss mit Kooperationspartnern bewältigt werden. In Bezug auf den neuen 4,0-Liter-V8 ist beispielsweise eine Liefervereinbarung für Land Rover/Range Rover im Gespräch. In Sachen Supersportwagen mehren sich Informationen, die eine Zusammenarbeit mit McLaren bestätigen. Der für 2019 avisierte Nachfolger des britischen Mittelmotor-Zweisitzers soll gemeinsam mit BMW entwickelt werden - obwohl statt des klassischen Reihensechsers nur ein abgesägter V8 hineinpasst. Nach ähnlichem Coop-Muster entstehen der nächste Z4 und die neue Supra von Toyota. Der BMW startet 2018 als Roadster mit Stoffverdeck und Reihensechszylinder, der Toyota folgt ein Jahr später als Coupé mit V6. Die Projektnummern G29/J29 gelten als Probelauf für die immer wahrscheinlichere Allianz zwischen den Japanern und Mini. Dabei geht es um eine neue Frontantriebs-DNA, die klein genug ist für einen ultrakompakten Mini und groß genug für den Nachfolger von Active Tourer und Countryman.

Nicht zuletzt um ihr Gesicht zu wahren, haben beide Partner Arbeitsteilung vereinbart. BMW fehlt das Know-How für eine wirklich günstige, breit skalierbare und für alle technischen Eventualitäten gerüstete Kleinwagen-Matrix, Toyota braucht Nachhilfe in Sachen Antrieb und Chassis. Die für 2021 erwartete Neukonstruktion in Modulbauweise ist auch als reines Elektrofahrzeug darstellbar, wobei die Palette der möglichen Anwendungen vom City Cruiser bis zum Crossover nach Art des X1 reicht. Mit Schützenhilfe aus Fernost sollte es gelingen, die Produktion des Mini-Nachfolgers deutlich hochzufahren und das Angebot um den lange versprochenen fünften Superhelden zu erweitern. Wer hier auf einen knuffigen Mini Mini oder Mini Minor tippt, liegt vermutlich goldrichtig. Eine weitere Querverbindung zwischen München und Toyota City betrifft die Evolution der Brennstoffzelle, die bei BMW allerdings kaum vor 2025 kleinserienreif sein dürfte.

Schwierige Zeiten zwingen zu unkonventionellen Lösungen - aber nicht alles, was machbar ist, ergibt Sinn. Im Schwarzbuch der weiß-blauen Bedenkenträger findet sich der riesige SUV von Rolls-Royce, der in manchen Märkten problemlos eine Lkw-Zulassung bekäme. Ebenfalls kontrovers diskutiert werden der verquollene Mini Countryman II, der ohne Not zum Maxi mutiert; der neue 5er GT, der auf höhere Weisung 6er heißen soll; sowie die noch namenlosen Super-Ultra-Luxusversionen von X7, 8er und der langen 7er-Limousine. Leider findet sich in keiner Projektliste ein günstiger kompakter Hecktriebler nach Art des 2002, kein bezahlbarer Supersportwagen diesseits des McLaren-Abenteuers, kein wirklich neues Fahrzeugkonzept wie der zu schnell beerdigte ZX6 Crossover.

Vielleicht braucht es sogar noch radikalere Denkansätze wie eine flexible Kleinserienfertigung, die bestehende Architekturen neu einkleidet und damit selbst aus 500 bis 5000 Einheiten ein stimmiges Geschäftsmodell zimmert, das überdies in die Marke einzahlt. Die Hommage-Studien der letzten Jahre wären ein passender Denkanstoß für solch eine Synthese aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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