Süddeutsche Zeitung

Neue Mobilitätsanbieter:Voller statt leerer

Fahrdienst-Vermittler wie Uber oder Lyft wollten für weniger Autos auf den Straßen sorgen. Doch das klappt nicht, wie nun Studien aus den USA zeigen.

Von Gabriele Chwallek/AP

Weniger Verkehr auf den Straßen durch Mitfahrangebote - das ist eine Verheißung, mit der Unternehmen wie Uber und Lyft gern für sich geworben haben. Aber Studien in den USA weisen auf das Gegenteil hin. Demnach machen Fahrdienst-Vermittler die Straßen in Städten nicht leerer, sondern holen Menschen aus Bussen, Bahnen, von Fahrrädern oder auch von ihren Füßen - und stecken sie in Autos. Und die Folgen würden immer klarer, meint Christo Wilson, ein Computerwissenschaftler an der Bostoner Northeastern University, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Er sieht einen wachsenden Konsens darüber, dass "Ride-Sharing" zur Verstopfung des Verkehrs beiträgt.

Eine Studie Ende 2017 im Bostoner Raum erfasste 944 Nutzer im Zeitraum von vier Wochen. Fast 60 Prozent gaben an, dass sie ohne Fahrvermittlerapps auf ihrem Handy öffentliche Verkehrsmittel oder ein Fahrrad benutzt hätten. Oder sie wären zu Fuß gegangen oder hätten ganz auf ihre Tour verzichtet. Die Studie ergab auch, dass viele Kunden die Dienste nicht nutzen, um zu einer Bahn- oder Bushaltestelle zu gelangen - sondern für die gesamte Wegstrecke, wie Alison Felix, eine Mitverfasserin der Studie, sagt. "Ride-Sharing ergänzt die öffentlichen Verkehrsmittel nicht, sondern schmälert sie."

Wegen der vielen Fahrzeuge fließt der Verkehr in Manhattan nun deutlich zäher als vorher

Das klingt anders als das, was Uber-Mitgründer Travis Kalanick 2015 verhieß. "Wir stellen uns eine Welt vor, in der es in fünf Jahren in Boston keinen Verkehr mehr gibt", sagte er damals. Tatsächlich ist nicht nur diese eine Metropole weit davon entfernt. So ergab eine Mitte Dezember veröffentlichte Studie, dass die große Zunahme von Taxis und Fahrgemeinschaft-Autos zur Verlangsamung des Verkehrs in Manhattans Hauptgeschäftsbezirk beiträgt. Zugleich wurden Maßnahmen empfohlen, um weiteren Zuwachs an "leeren Fahrzeugen" zu verhindern, "die nur von Fahrern am Steuer besetzt sind, die auf ihren nächsten Fahrauftrag warten".

Bei einer Untersuchung im vergangenen Juni in San Francisco stellte sich heraus, dass die Fahrer, die per App angefordert werden können, an einem typischen Wochentag ungefähr zwölf mal so viele Fahrten absolvieren wie die herkömmlicher Taxis. Und diese Fahrten sind meist auf die ohnehin schon verstopften verkehrsreichsten Stadtteile konzentriert. Ähnlich wie in Boston gaben auch bei einer Befragung in San Francisco, Los Angeles, Seattle, Chicago, New York und Washington zwischen 49 und 61 Prozent der Fahrgäste an, dass sie ohne Fahrvermittlungsapp zu Hause geblieben oder gelaufen, geradelt, per Bus oder Bahn gereist wären.

Die Studie in Boston ergab auch, dass es vor allem einen Grund für diese Wahl gibt: Der Service ist schneller, man kommt rascher ans Ziel. Und sogar jene mit einer Wochen- oder Monatsfahrkarte für öffentliche Verkehrsmittel nehmen vor diesem Hintergrund die höheren Preise für die vermittelten Fahrten in Kauf, wenn es ihnen auf Zeitersparnis ankommt. Sarah Wu, eine Studentin an der Boston University, benutzt Uber weniger als einmal pro Woche, aber häufiger, wenn sie Gäste hat. Sie lebt zwar in der Nähe einer U-Bahn-Station, aber wählt den Fahrdienst, wenn die Reise mit Bus oder Bahn ihr zu umständlich und unbequem erscheint. "Ich würde mich lieber von Uber direkt ans Ziel bringen lassen als mehrere Male umsteigen und an einer Bushaltestelle warten zu müssen", sagt Wu, die kein eigenes Auto besitzt.

Lyft-Sprecher Adrian Durbin betont dennoch, dass Dienste wie der seiner Firma die Zahl von Autos im Privatbesitz auf den Straßen verringern könnten. Lyft ziele darauf ab, "persönlichen Autobesitz optional zu machen, indem es mehr Leute zur Nutzung von Fahrgemeinschaften anspornt, in Partnerschaft mit öffentlichem Transport". Konkurrent Uber hofft, Leute zum Teil durch seinen Fahrgemeinschaftsservice aus ihren Autos locken zu können, wie Sprecherin Alix Anfang sagt: "Ubers Langzeit-Ziel ist es, die Abhängigkeit von persönlichen Fahrzeugen zu beenden und eine Mischung aus öffentlichem Transport und Diensten wie Uber zu ermöglichen." Express-Pool, ein neuer Service des Unternehmens, scheint indes eher mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu konkurrieren als sich mit ihnen zu verzahnen. Er verbindet Fahrgäste miteinander, deren jeweilige Ziele nahe beieinander liegen. Die Kunden gehen ein kurzes Stück zu Fuß, um dann an einem gemeinsamen Ort abgeholt und in der Nähe ihrer Ziele abgesetzt zu werden - praktisch so, wie Busse oder U-Bahnen funktionieren. Der Service wurde im November in San Francisco und Boston getestet und fand genügend Fahrgäste, um ihn 24 Stunden am Tag laufen zu lassen. Ein solches Rund-um-die Uhr-Angebot gibt es seit kurzem auch in Los Angeles, Philadelphia, Washington, Miami, San Diego und Denver. Weitere Städte sollen folgen.

Das könnte sich verkehrsentlastend auswirken, wenn die Autos jeweils gut mit mehreren Passagieren gefüllt seien, sagt Wilson, der Bostoner Computerwissenschaftler. "Aber auf der anderen Seite sind die Uber-Fahrgemeinschaften und, so nehme ich an, diese Express-Fahrten wirklich, wirklich billig, gerade mal ein paar Dollar, und so werden sie fast mit Sicherheit Menschen von den Optionen der öffentlichen Verkehrsmittel wegholen. Warum in einen Bus mit 50 Menschen steigen, wenn du in ein Auto gehen kannst und vielleicht, wenn du Glück hast, die einzige Person darin bist?"

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SZ vom 10.03.2018
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