Neue Flugzeugsitze:Drinnen sitzen stehend Leute

Wie viele Menschen passen in einen Flieger? Ein italienischer Hersteller präsentierte jetzt einen aufsehenerregenden Sitzentwurf für die Jets von morgen.

Andreas Spaeth

Eigentlich liebt Gaetano Perugini das Üppige. Im Mai präsentierte der Ingenieur auf der weltgrößten Messe für Flugzeug-Kabineneinrichtungen in Hamburg ausladende Business-Class-Sitze, deren knallrotes Kunststoff-Chassis nicht zufällig an Ferrari erinnerte.

'Stehplätze' fürs Flugzeug entwickelt

Halb sitzen, halb stehen: So sehen die Entwürfe für den Flugzeugsitz aus.

(Foto: picture alliance / dpa)

Jetzt sorgte der technische Direktor des italienischen Sitzherstellers Aviointeriors auf dem Herbstableger der Messe im kalifornischen Long Beach mit Minimalismus für deutlich mehr Aufsehen: Sechs schmale Sitze, auf eine Holzplatte montiert, lösten in Messehallen und Medien tagelange Diskussionen aus.

Dies also sollte der sagenumwobene Stehsitz sein, den Ryanair-Chef Michael O'Leary immer wieder gern ins Gespräch bringt, wenn es um Kostensenkungen bei dem irischen Billigflieger geht?

Bisher gab es allenfalls Zeichnungen und vage Projektstudien, die abwechselnd der Bestuhlung im Kino mit Klappsitzen ähnelte oder einer Art Steh-Wartebank für Bushaltestellen. Kein Wunder, dass niemand O'Learys Vorschlag ernst nahm, zumal er sich regelmäßig mit absurden Ideen zu produzieren weiß.

Doch nun gingen mit Perugini und seinen Leuten erstmals renommierte Sitzdesigner und -hersteller ans Werk. "Auch wenn der Abstand zwischen den Sitzen extrem eng ist", wie Perugini betont, "wir reden hier von einem Sitz, nicht über Passagiere, die stehen müssen. Sie sitzen auf einem speziellen Sitz, aber es ist ein Sitz."

Offiziell heißt das Modell Skyrider, "aber man könnte ihn auch John-Wayne-Sitz nennen", fügt Dominique Menoud hinzu, Direktor von Aviointeriors. Denn die Sitzfläche ähnelt einem Sattel, der hier allerdings so schmal wie auf einem Fahrrad ausfällt. "Für Flüge von einer bis vielleicht drei Stunden wäre dies ein komfortabler Sitz", findet Menoud, "Cowboys reiten ja auch acht Stunden am Tag und fühlen sich immer noch wohl im Sattel", doziert der Italiener.

In Long Beach zwängten sich viele Besucher in das ungewöhnliche Arrangement. "Ich habe schon viele Pferde geritten, aber das Gefühl im Skyrider ist absolut nicht wie im Sattel, das war eher wie mit verspannten Beinen auf einem Trimmfahrrad eingezwängt zu werden", findet ein Reporter der New York Times.

Stehsitz - ein Zukunftsentwurf?

"Das fühlt sich weniger komfortabel an als ich beim ersten Blick dachte", sagt auch Keith Rabin, Einkäufer einer amerikanischen Fluggesellschaft. Der Sitz weist nur gut 58 Zentimeter Abstand zum Vordermann auf, üblich sind heute 79 bis 81 Zentimeter. Trotzdem gibt es ein Tischchen zum Herunterklappen, das vielen Testpersonen fast vor der Brust hängt und nur ein Drittel so groß ist wie sonst. Der Bildschirm in der Rückenlehne leuchtet vielen irgendwo zwischen Hals und Kinnpartie entgegen.

Trotzdem preist der Hersteller das Sitzen in seinem Entwurf als "komfortable, dynamische, aufrechte und gesunde Position". Auf der Messe kamen sich viele darin eher vor wie festgeschnallt in einem Fahrgeschäft auf dem Oktoberfest. Wichtigster Pluspunkt ist das geringe Gewicht - "nur ein Drittel des heute üblichen", betont Menoud, "das senkt den Verbrauch, schafft damit niedrigere Flugpreise und ist ein Vorschlag an die Airline-Branche, wie sie wieder Geld verdienen kann."

O'Learys Idee war es, in rund 250 Flugzeugen jeweils die letzten zehn Reihen durch 15 Reihen Stehsitze zu ersetzen und die Beförderung in dieser neuen Klasse extrem preisgünstig anzubieten. Doch bis eines Tages tatsächlich Billigflugpassagiere derart spartanisch befördert werden könnten, hätte jeder radikale Entwurf viele Hürden zu nehmen.

"Nach unserem Wissen hat bisher keine Fluggesellschaft einen Antrag auf die Einführung von Stehsitzen gestellt", heißt es bei der zuständigen Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) in Köln. "Stehsitze sind ohne Beispiel und es wäre sehr unwahrscheinlich, dass so etwas in naher Zukunft zugelassen werden würde", so ein EASA-Sprecher.

So oder so müssten vor einer kommerziellen Verwendung vielfältige Nachweise erbracht werden - etwa das vorgeschriebene Überstehen eines Aufpralls mit bis zu 16g und vor allem die Evakuierungstauglichkeit. Dass derart eng zusammengepferchte Fluggäste ihre Sitze im Notfall schnell verlassen können erscheint zumindest zweifelhaft.

Auch die Gesamtzahl der Passagiere darf nicht über jene Zahl hinausgehen, für die das Flugzeug überhaupt zugelassen ist. Daher hat der Einbau derartiger Billigsitze nur Sinn, wenn im Gegenzug vorn breitere Sessel installiert werden. Eine Boeing 737-800, wie sie Ryanair fliegt, könnte dann etwa 16 Business-Class-Sitze, 66 in normaler Economy- und 98 in Skyrider-Bestuhlung aufweisen.

Oder ein Betreiber könnte Flugzeughersteller bewegen, zusätzliche Nottüren einzubauen, wie Easyjet beim Airbus A319. "Solche neuartigen Sitze würden die Änderung der Zulassungsvorschriften voraussetzen", sagt die EASA.

"Die würden wir beantragen, wenn sich eine Airline für den Skyrider entscheidet", kündigt Menoud an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: