Neue Erfindung im Bootsbau:Ein Schiff lernt fliegen

Sieht aus aus wie ein Wasserflugzeug, ist aber ein Boot, das fliegt: Mit dem "Bodeneffektfahrzeug Seafalcon" hofft ein Rostocker Unternehmen auf einen Exportschlager.

Arne Boecker

Am Ufer der Warnow, mitten im Rostocker Hafen, schwimmt ein etwas mehr als 14 Meter langer Zwitter. Er sieht aus wie ein Flugzeug, aber tief in seinem Inneren ist er ein Boot. Wenn die Meerestechnik Engineering GmbH (MTE) dieses, nun ja, ,,Ding'' testet, lässt sie es in geringer Höhe über den grauen Fluss fliegen. Aber: ,,Heißt es wirklich fliegen, Herr Puls?'' - der MTE-Geschäftsführer schüttelt den Kopf: ,,Wir nennen es flaren.'' Das ist wichtig, weil sich die Behörden entschlossen haben, den Seafalcon 08 als Boot einzustufen.

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Der Seafalcon: noch im Rostocker Hafen, bald aber in Indonesien im Einsatz

(Foto: Foto: oh)

Den Markt dafür müssen sie erst schaffen

Die Rostocker Meerestechnik Engineering GmbH ist eine von zwei mittelständischen Firmen in Deutschland, die sich derzeit bemühen, "Bodeneffektfahrzeuge" - kurz: BEF - auf einen Markt zu bringen, den sie eigentlich erst noch schaffen müssten. Immerhin haben es die Rostocker kürzlich geschafft, die Lizenz für den Bau dieses Bootes nach Indonesien zu verkaufen. Und Geschäftsführer Dieter Puls ist zuversichtlich, dass die Zeit reif ist für seinen Seefalken: ,,Das Interesse ist groß.''

Der Bodeneffekt ist im Fall des Seafalcon eigentlich ein Wassereffekt. Wenn er auf der Warnow beschleunigt, wächst unter seinen jeweils sechs Meter langen Flügeln ein Überdruck. Die zusammengepresste Luft wirkt wie ein Teppich, auf dem der Seafalcon dann fliegt - pardon: flart (sprich: flärt). Sobald sich das BEF mehr als zwei Meter von der Wasseroberfläche entfernt, verliert der Effekt an Kraft.

Keine Nussschale für Geringverdiener - aber eben günstiger als ein Flugzeug

Die Geschäftsidee: Weil Flugzeuge teuer und Boote langsam sind, will man - so Puls - ,,genau in diese Lücke stoßen''. Der Achtsitzer, den sein Unternehmen entwickelt hat, kostet 800.000 Euro, ist bis zu 180 km/h schnell und braucht die aufwendige Infrastruktur nicht, nach der Flugzeuge verlangen. ,,Wir können an jeder Kaikante anlegen'', sagt der MTE-Chef.

Und wer den Seafalcon flaren will, braucht nicht mehr als einen Bootsführerschein.

Komplizierter wird es erst, wenn mehr als zwölf Passagiere mitgenommen werden sollen: Dann wird aus dem Boot per behördlicher Definition ein Schiff, das man nur mit einem Kapitänspatent steuern darf.

Ein Schiff lernt fliegen

Dass der Seafalcon ein Zwitterwesen ist, hat den Entwicklern viel Kopfzerbrechen bereitet. Das Fahrzeug startet im Element Wasser, das eine 800-mal höhere Dichte besitzt als das Element Luft, in dem Flugzeuge starten.

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Die Propeller werden von Diesel-Motoren aus der Mercedes-A-Klasse angetrieben.

(Foto: Foto: dpa)

Dementsprechend viel Leistung ist nötig, um im Wasser auf Touren zu kommen - etwa fünfmal mehr im Vergleich zum Flaren. Denn hat der Seafalcon aber erst einmal bei etwa 85 Kilometer pro Stunde abgewassert, kann die Antriebsleistung reduziert werden - der Bodeneffekt macht's möglich.

Angetrieben von Mercedes-Motoren

Die Motorenlösung, der MTE vertraut, besteht aus zwei aufgemotzten Mercedes-Dieseln, wie sie auch unter der Motorhaube der A-Klasse stecken und jeweils 136 PS erzeugen. Der Verbrauch des Bodeneffektfahrzeugs, gebaut aus leichter Kohlefaser, liegt bei gerade mal neun Litern auf 100 Kilometer. Probleme aber hat Seafalcon, wenn die See allzu rau ist; Wellen beeinträchtigen das Abwassern. Dann bleibt nur, auf Schiffsbetrieb umzuschalten.

Der erste Kunde, den MTE für sein BEF gewonnen hat, zeigt die Richtung an, in die es gehen könnte. In dem 10.000-Insel-Reich Indonesien soll der Seafalcon 08 als Shuttle eingesetzt werden. Geschäftsführer Dieter Puls kann sich aber auch vorstellen, dass das Boot auch einmal über die Ostsee flart. ,,In den boomenden Wirtschaftsregionen wie Skandinavien oder dem Baltikum gibt es genügend Geschäftsleute geben, die ein bisschen mehr dafür bezahlen, schneller ans Ziel zu kommen.''

Eigentlich Zulieferer im Eisenbahnbau

Mit Bodeneffektfahrzeugen hat Dieter Puls schon lange zu tun. Zu DDR-Zeiten hatte er an der Rostocker Universität zunächst den Lehrstuhl für Hydro- und Aeromechanik, bevor man ihn an das dortige Schiffbau-Kombinat delegierte; nach dem Mauerfall gründete er MTE. Das Geld für die Entwicklung des Seafalcon verdient das Unternehmen als Zulieferer im Schiff- und Eisenbahnbau; so konstruiert und produziert der mittelständische Betrieb mit seinen 60 Angestellten unter anderem Aufbauten für Megayachten und Sanitärzellen für Züge.

Ursprünglich entwickelt wurde das Prinzip der Bodeneffektfahrzeuge schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von deutschen Ingenieuren. Besonders intensiv beschäftigten sich dann russische Militärs mit den BEF. Ende der achtziger Jahre schraubten sie den gigantischen Lun zusammen - immerhin stolze 75 Meter lang und 450 km/h schnell. Dieser Tage nun versucht sich nicht nur die MTE an dem Projekt Flugboot, sondern auch die Hanno-Fischer-Flugtechnik aus Willich in Nordrhein-Westfalen; dort will man einen 20- oder sogar 80-Sitzer bauen.

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