Frankfurt, Bahnhofsviertel. Nicht weit entfernt präsentieren die deutschen Autohersteller ihre Elektro-Strategien. Tenor der IAA-Ankündigungen: Vor 2020 muss Tesla kaum gleichwertige Gegner aus dem Geburtsland des Automobils fürchten. Rund 40 Milliarden Euro wird die deutsche Industrie bis 2020 für die Elektromobilität aufwenden. Mehr Aufwand geht kaum, um den Autostandort neu auszurichten. Weniger Aufwand aber sehr wohl.
Letzte Woche in Shanghai: Die Energiewende auf der Straße kann auch Spaß machen. Nicht nur auf Tesla-Partys wird ausgelassen gefeiert. Auch bei dem kleinen Start-up Future Mobility Corporation (FMC) ist die Freude über den nächsten erreichten Meilenstein groß. Die chinesischen Medien berichteten ausführlich über die Vorstellung der neuen FMC-Marke Byton. Der Name steht für "Bytes on wheels", was sich mit Daten auf Rädern übersetzen lässt.
China ist nicht gerade arm an neuen Autofirmen. Viele Analysten erwarten jedoch, dass FMC beste Chancen hat, zum neuen Tesla zu werden. Obwohl die frisch gegründete Firma nur aus 250 Experten und einem Kapitalgrundstock von 240 Millionen Euro besteht.
Während die deutschen Platzhirsche auf der IAA Hof halten, meldet sich ein Abtrünniger ganz in der Nähe zu Wort: "Wir kombinieren die Exzellenz der deutschen Premium-Autoindustrie mit der Innovationskraft des Silicon Valley und der günstigen Qualitätsfertigung in China", sagt ein zufriedener Carsten Breitfeld beim Gespräch im Frankfurter Bahnhofshotel.
Im FMC-Management versammeln sich einige Ex-BMW-Größen
Solche Ankündigungen könnte man schnell abhaken, wäre der ehemalige BMW-Top-Manager keine bekannte Größe in der Autoindustrie. Statt Spott sammelt er munter Likes und Investorengelder. In seinem Büro stapeln sich Bewerbungen von Ex-Kollegen aus München. Auch die weltweit führenden Zulieferer signalisieren Unterstützung für das Unternehmen, das Breitfeld vor knapp zwei Jahren mit Daniel Kirchert gegründet hat. Kirchert war China-Chef von BMW und kümmert sich nun um Finanzen und Vertrieb. Breitfeld leitet als früherer BMW-Antriebschef und Vater des i8 die Entwicklung.
Die Süddeutsche Zeitung zeigt weltweit erstmals die Silhouette des 4,80 Meter langen Elektro-SUV, das Anfang 2018 auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas Premiere feiert und 2019 in Serie gehen soll. "Wir werden 2021 mit dem zweiten Derivat kommen, einer Limousine. Ende 2022 wird das dritte Modell starten, ein Großraum-Van für mindestens sieben Personen", kündigt Breitfeld an.
FMC zielt direkt auf den Massenmarkt
Alle Byton-Modelle werden auf derselben Plattform stehen: "Das ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber Tesla", glaubt Breitfeld, "wir werden aufgrund unserer Plattformstrategie nur die halben Entwickelungskosten für die drei Modelle haben." Dank extrem niedriger Fixkosten soll sich das Geschäfte schon bei weniger als 200 000 produzierten Fahrzeugen pro Jahr rechnen. Bis 2022 will FMC profitabel sein und 300 000 Autos jährlich verkaufen. Tesla ist auch nach zehn Jahren noch weit von der Gewinnschwelle entfernt.
Anders als Tesla und Start-ups wie Faraday Future zielt FMC nicht ins hochpreisige Segment, sondern direkt auf den Volumenmarkt: Umgerechnet 35 000 Euro soll das Einstiegsmodell mit 57 Kilowattstunden Batteriekapazität kosten. "Das reicht für 350 Kilometer Reichweite", verspricht Breitfeld und kündigt eine Qualitätsanmutung auf dem Niveau deutscher Hersteller an. "Weil wir beim Einkauf in China gegenüber Europa 15 bis 20 Prozent der Kosten sparen, wird unser Elektroauto erschwinglich." Eine größere Batterie für über 500 Kilometer Reichweite und Allradantrieb seien optional erhältlich.
Am auffallendsten an jedem Byton ist der riesige Bildschirm, der sich über die gesamte Instrumententafel erstreckt. Damit werde das Auto zum ultimativen digitalen Endgerät, das jeden Tablet-Computer in den Schatten stellt, glauben die Gründer. Über ein kleines Tablet im Lenkrad lassen sich alle Innenraumfunktionen knopflos steuern. "Das Interieur-Design löst in China wirklich Begeisterung aus, das ist wie der Schritt vom Tastentelefon zum Smartphone", beschreibt Breitfeld die Resonanz.
Die digitale Generation sei komplett offen für eine neue Automarke, die eine innovative Mensch-Maschine-Schnittstelle mit einer intuitiven Funktionsbündelung biete. "Das ist nicht fancy, weil wir beschlossen haben, einen großen Screen zu machen, sondern das ist wirklich das, was die Kunden wollen", berichtet der 53-jährige Breitfeld. Der erfahrene Automanager steht nicht im Verdacht, Design-Trends aus der Unterhaltungselektronik nachzulaufen. Oder doch?
In München arbeiten 60 Kreative am Byton-Design
Traditionalisten glauben, dass die Großbildschirme im Auto ihren Zenit schon wieder überschritten hat. Daimler setzt aber weiterhin auf das Display-Stretching. Die IAA-Studie Smart Vision EQ hat zum Beispiel einen 24-Zoll-Monitor mit 58 Zentimeter Länge und 15 Zentimeter Höhe. Byton verdoppelt die Maße der Mattscheibe auf 1,20 Meter Breitwandformat und 25 Zentimeter Höhe. Ideal für hoch automatisiertes Fahren, bei dem sich der Fahrer vom Verkehrsgeschehen über längere Zeit abwenden kann. "Die Menschheit verbringt täglich 1,8 Milliarden Stunden im Auto. Aber der Fahrer darf das Smartphone nicht wirklich nutzen - das Auto ist also der letzte smart-freie Raum, den es heute noch gibt. Und das wollen wir ändern", kündigt Breitfeld an.
Der Firmenchef hat in den letzten sechs Monaten viel Zeit in München verbracht. 60 Kreative arbeiten hier unter Leitung des früheren BMW-i-Chefgestaltalters Benoit Jacob am Design der Modellfamilie. Und natürlich profitiert das chinesische Start-up vom alten Netzwerk rund um das BMW-Entwicklungszentrum. Im kalifornischen Santa Clara beginnt nun die Serienentwicklung des Byton SUV - in unmittelbarer Nähe zu den Tech-Tüftlern des Silicon Valley.
"Alle Hersteller von Unterhaltungselektronik, die versucht haben, ein Auto zu machen, sind bisher gescheitert. Und die Autohersteller, die sich an Smart Devices versucht haben, auch", sinniert Breitfeld. Zu groß seien die Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen. Auch bei FMC sind die konträren Denkschulen zu Anfang des Jahres aufeinander geprallt. In Workshops musste der Chef die Brüche zwischen den Kontinenten und Kulturen überbrücken. "Das haben wir geschafft. Jetzt liegt das Schwierigste wohl hinter uns."