Neue Elektroauto-Plattform:Diese drei Männer wollen die Mobilität revolutionieren

Richard Kim Stefan Krause Ulrich Kranz Evelozcity

Das Gründertrio von Evelozcity: Designer Richard Kim, Chef Stefan Krause und der für die Technik zuständige Ulrich Kranz (von links).

(Foto: Evelozcity)
  • In El Segundo bei Los Angeles entsteht gerade ein neues Elektroauto-Start-up - unter Federführung eines ehemaligen Deutsche-Bank-Managers und eines Ex-BMW-Entwicklers.
  • Sie konstruieren eine Elektroauto-Plattform, auf die drei verschiedene Kabinenkonzepte gesetzt werden können.
  • Das Besondere: Die beiden Gründer sind mit einem anderen Elektroauto-Start-up schon einmal gescheitert.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Besonders, so nennt Stefan Krause diese Stadt an der Pazifikküste. Der Gründer des Elektroauto-Start-ups Evelozcity schlendert durch El Segundo, von einem winzigen Bürogebäude mit dem Namen "Coffee House" zu einem anderen Häuschen, das "Graffiti House" heißt. Krause findet diese Stadt im Südwesten von Los Angeles ganz besonders schön: Die Sonne scheint das ganze Jahr über, der Strand ist 700 Schritte entfernt, man kann mit dem Skateboard zu einigen der tollsten Restaurants in Kalifornien rollen. El Segundo ist aber auch eingepfercht zwischen dem ganz besonders lauten Flughafen LAX und der riesigen Raffinerie eines Energiekonzerns, die einige Leute für ganz besonders hässlich halten.

Krause hat sein Unternehmen hier angesiedelt. Vermutlich gibt es keinen größeren Unterschied, als zwischen dem Ambiente hier und den Türmen der Deutschen Bank in Frankfurt - dort ist Krause bis 2015 Finanzvorstand gewesen. Das "Graffiti House" etwa sieht aus, als hätten von 1968 bis vor drei Monaten Hippies darin gelebt, vor dem "Lucy Jane Building" ist im Gestrüpp eine Buddha-Figur versteckt, auf der Toilette im "Coffee House" kann man einige sehr peinliche und einige sehr kluge Sprüche an der Wand lesen.

Krause führt den Besucher vorbei an zwei Mitarbeitern auf einer Holzbank neben der Buddha-Figur, sie sehen aus wie Holzfäller-Hipster und zeigen sich gegenseitig Designentwürfe auf einem Tablet. Drinnen sägt einer, der überraschenderweise überhaupt nicht aussieht wie ein Holzfäller, an einem Holzmodell, das sich nur mit viel Fantasie als das Innere eines Fahrzeugs identifizieren lässt. Im nächsten Zimmer stülpt einem jemand eine Virtual-Reality-Brille über den Kopf. "Sie sind der erste außerhalb der Firma, der das sieht", sagt dieser Mitarbeiter und wirkt dabei so aufgeregt wie der schrullige Professor im Science-Fiction-Film "Independence Day", wenn er verkündet, dass es gleich Aliens zu sehen gibt.

Es fällt schwer, nicht total begeistert zu sein von dieser Atmosphäre. So stellt sich jemand das Silicon Valley vor, der noch nicht erlebt hat, wie zynisch und eiskalt dieses Techniktal in Wirklichkeit doch ist.

Bei Faraday Future galt Krause als "Retter"

Krause hat diese zynische Seite erlebt. Bis vor Kurzem hat er bei Faraday Future gearbeitet, jener kalifornisch-chinesischen Elektroautofirma, die ziemlich großspurig die Ankunft einer einzigartigen Spezies in der Autobranche verkündet hat, eines elektrischen Supersportautos mit großer Reichweite, mit dem Faraday Tesla Konkurrenz machen wollte. Mittlerweile gilt die Firma jedoch als einzigartige Spezies der Geldverbrennungsbranche.

Faraday hatte Krause Anfang 2017 nach Los Angeles gelockt, er sollte die Finanzen des Unternehmens ordnen. Wer sich jetzt mit Faraday-Mitarbeitern unterhält, der hört, dass man ihn in der Firma noch immer "Retter" nennt. Für den chinesischen Investor Jia Yueting, der mittlerweile auch Geschäftsführer ist, haben sie auch einen Spitznamen, der so ziemlich das Gegenteil von "Retter" ist.

Im Herbst vergangenen Jahres verließen einige Top-Manager Faraday, darunter Krause, Technikchef Ulrich (Uli) Kranz, der früher für BMW gearbeitet und dort das Projekt E-Auto in Schwung gebracht hatte, und Chefdesigner Richard Kim. "Wir saßen auf der Terrasse meines Hauses und haben darüber nachgedacht, was wir nun tun könnten", sagt Krause. Im Dezember gründeten sie gemeinsam das Elektroauto-Start-up Evelozcity, das von drei Investoren aus Taiwan, China und Deutschland gefördert wird und bereits 100 Mitarbeiter beschäftigt: "Wir haben uns überlegt: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus - und welche Autos braucht man dafür?"

Eine Faraday-Pleite wäre ein verheerendes Signal

Faraday fand diese neue Firma ganz besonders schrecklich, zunächst beschimpfte das Unternehmen die Abtrünnigen, später reichte es auch eine Klage ein. Unter anderem behauptet Faraday, dass Krause das neue Unternehmen gegründet habe, als er noch bei Faraday angestellt war - und dass er Mitarbeiter abgeworben und Betriebsgeheimnisse gestohlen habe.

Krause sieht das natürlich anders, auch die Details seines Abgangs stellt er anders dar. Offiziell aber will er sich derzeit nicht zu dem laufenden Verfahren äußern, was auch klug ist. Er sagt deshalb lediglich zu Faraday: "Es scheint nun einen Investor zu geben, sie dürften ein Auto produzieren. Ich wünsche dem Unternehmen nur das Beste."

Das sagt Krause nicht aus Altruismus. Eine Pleite von Faraday wäre nicht nur für das Unternehmen, sondern für die Branche insgesamt ein verheerendes Signal - auch für Krauses neues Projekt. Der nachhaltige Transport gilt als Zukunftsmodell, noch wird allerdings ordentlich Geld verbrannt. Aufsteigender Rauch ist da immer eine Warnung für Investoren.

Krause, Kranz und Kim wollen sich nicht ablenken lassen von diesem Faraday-Streit, und tatsächlich haben sie damals auf der Terrasse eine interessante Idee entwickelt. "Das Auto von heute unterscheidet sich von der Konzeption her kaum von einer Kutsche: vorne die Pferde, in der Mitte die Kabine und hinten der Stauraum fürs Gepäck", sagt Krause: "Die Architektur eines Elektroautos ermöglicht es jedoch, den Innenraum eines Fahrzeugs komplett zu überdenken."

"Wir streben einen Preis von weniger als 50 000 Dollar an"

Vereinfacht ausgedrückt wollen sie bei Evelozcity eine Plattform entwickeln, die sie derzeit "Skateboard" nennen, weil sie ein bisschen so aussieht wie das Sportgerät. Auf diese eine Plattform für sämtliche Fahrzeug-Varianten werden dann drei verschiedene Kabinenkonzepte gesetzt: eines für private Pendler, eines für Ride-Sharing-Angebote und eines für Transportfirmen. "Wir wollen nicht das Auto mit der größten Reichweite entwickeln", sagt Krause. Was er verwirklichen möchte, das ist das Versprechen, das auch Elon Musk mit seiner Firma Tesla abgegeben hat: ein Elektrofahrzeug für möglichst viele Menschen. "Wir streben einen Preis von weniger als 50 000 Dollar an", sagt Krause: "35 000 Dollar wären freilich das Einhorn, von dem alle träumen."

Wer die Virtual-Reality-Brille aufhat, der entdeckt ein schwarzes Fahrzeug, das ein bisschen an den legendären Kleinbus Bulli erinnert und von der Seite aussieht wie ein iPhone auf Rädern. "Sie dürfen nicht vergessen: Dieses Fahrzeug ist gerade mal so lang wie ein VW Golf", sagt Designer Kim. Es ist tatsächlich verblüffend, welche Sitzkombinationen auf dieser Fläche möglich sind, wenn es keinen Motor- und keinen Kofferraum mehr gibt, sondern nur noch eine Kabine. Man fühlt sich wie in einem dieser Taxis in London, es könnte aber auch ein gemütliches bayerisches Wirtshaus sein.

Bis zum Jahresende soll das Unternehmen auf 300 Mitarbeiter wachsen, Mitte 2021 sollen die ersten Fahrzeuge auf der Straße zu sehen sein. Bei der Produktion möchte Evelozcity mit Partnern in den USA und China arbeiten - es ist noch nicht gewiss, dass das Unternehmen dann noch so heißen wird. Evelozcity ist so, wie sich der deutsche Besucher ein Silicon-Valley-Start-up vorstellt: verrückt, aber verrückt genug, dass es tatsächlich klappen könnte. Es ist eine besondere Firma in einer besonderen Stadt.

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