Neue CNG-Autos:Erdgas macht den Schritt zur Diesel-Alternative

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Im Heck des nächsten Golf TGI kommen drei Gasflaschen mit insgesamt 15 Kilogramm Volumen unter. (Foto: VW)
  • Entgegen anderslautender Prognosen profitieren die Hersteller von Erdgasautos stark von der derzeitigen Dieselkrise.
  • Deshalb kommen bald neue Modelle mit Erdgasantrieb auf den Markt. Vor allem der VW-Konzern und Ford treiben das Thema nach vorne.
  • Es scheint, als haben sie dem Konzept bei ihren neuen Motoren die Schwächen ausgetrieben.

Von Joachim Becker

Schluss mit halbgaren alternativen Antrieben. Mit schmächtigen Gasbrennern zum Beispiel, denen auf halber Strecke die Puste ausgeht. So ein Campingkocher unter der Motorhaube macht nur den wenigsten Kunden Spaß. Sie entscheiden sich lieber gleich für die günstigere Benziner-Variante - die traditionell auch noch leistungsstärker ist als ihr Erdgas-Pendant.

Weil der Platz für Drucktanks knapp ist, muss der Gasbrenner alle 350 Kilometer an die CNG-Tankstelle (Compressed Natural Gas). Entsprechend mies schneiden Gasantriebe in den "Autotrends 2018" ab: "Nur vier Prozent der potenziellen Käufer finden diese Kraftstoffe interessant", so die Studie im Auftrag der Creditplus Bank. Mehr als zehn Mal so viele Befragte votieren für E-Autos oder Hybride. Gasantriebe könnten von der Dieselkrise nicht profitieren, schlussfolgern die "Autotrends" aus der Umfrage Anfang des Jahres.

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So kann man sich irren. Laut Kraftfahrt-Bundesamt stiegen die Zulassungen von Erdgasautos im ersten Quartal 2018 gegenüber dem Vorjahr um 430 Prozent. Ausverkauft, heißt es derzeit auch beim VW Polo TGI und Golf TGI. Die Nachfrage liegt über den Erwartungen. Zur Jahresmitte 2018 wird der Volkswagenkonzern ähnlich viele Erdgasfahrzeuge verkauft haben wie im Gesamtjahr 2017. Das ist bei einer niedrigen Ausgangsbasis von 40 000 CNG-Autos im vergangenen Jahr zwar keine große Kunst. Doch die Perspektive stimmt, gerade mit Blick auf die kommenden Modelle: "Wir sind überaus zufrieden mit den aktuellen CNG-Verkaufszahlen, die wir mit dem Golf 1,5 TGI sicher noch steigern können", sagt Wolfgang Demmelbauer-Ebner, Leiter der VW-Ottomotoren-Entwicklung.

Schon sprechen die Wolfsburger von einem Boom, den der neue Motor ab Ende des Jahres auslösen soll. Was natürlich übertrieben ist, denn der 96 kW (130 PS) starke Erdgas-Golf fährt sich kein bisschen anders als der 1.5 TFSI Evo, von dem er abstammt. Genau darin liegt der Fortschritt. Der Erdgasantrieb kann von der Modernisierung des Benziners besonders profitieren: Das Miller-Brennverfahren (frühes Einlassschließen) kühlt den Brennraum. Zugleich wird das Gas-Luft-Gemisch im Zylinder stärker verdichtet: Beides rückt den Wirkungsgrad in die Nähe des Diesels.

Der Realverbrauch liegt nahe am Normwert

Trotzdem braucht der TGI keinen massiveren Motorblock. Selbstzündungen sind wegen der hohen Klopffestigkeit von Methan (rund 130 ROZ statt 95 ROZ bei Superkraftstoff) kein Thema. Auch bei zügiger Autobahnfahrt müssen die Zylinder nicht durch zusätzlich eingespritzten Kraftstoff gekühlt werden. Weil dieses sogenannte "Anfetten" entfällt, liegt der Realverbrauch des Erdgasantriebs (wie beim Diesel) näher am Normwert als beim Benziner. Der neue Golf TGI ist mit 3,5 Kilogramm CNG je 100 Kilometer nicht sparsamer als sein Vorgänger mit 81 kW (110 PS). Doch seine 20 Extra-PS sind beim Überholen auf der Landstraße deutlich zu spüren.

Ein Turbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) sorgt schon bei 1400 Umdrehungen für sattes Drehmoment: Der Gasbrenner beschleunigt beim Anfahren an der Ampel wesentlich spritziger als bisher. Außerdem ist er mit 490 Kilometer CNG-Reichweite selbst dann empfehlenswert, wenn die nächste Erdgas-Tankstelle nicht direkt um die Ecke liegt. "Unsere Kunden wollen vor allem mit Gas fahren, die 190 Extra-Kilometer durch automatisches Umschalten in den Benzinbetrieb werden nur im Ausnahmefall genutzt", ist sich Pierre Scheller sicher. Bei einer Probefahrt im Prototypen des neuen Golf TGI muss der VW-Motorenentwickler seine Stimme nicht erheben; der alternative Antrieb läuft so geräusch- und schwingungsarm wie ein Elektroauto.

Umweltfreundlich und leise soll die individuelle Mobilität den "Autotrends 2018" zufolge sein. In der Praxis können Elektroautos dieses Versprechen aber nur sehr eingeschränkt erfüllen. Selbst mit dem Nissan Leaf als dem meistverkauften Stromer kann man sein blaues Wunder erleben. Die reale Reichweite von 270 Kilometern macht auch die zweite Modellgeneration zur halbgaren Alternative. Der übergewichtige Kompakte poltert durch jedes Schlagloch und fährt sich auch sonst etwas störrisch. Im direkten Vergleich ist der Komfort des Golf TGI um Klassen besser. Man merkt die Reife des Marktführers in jedem Detail.

Von allen alternativen Antrieben in dieser Klasse kommt der Erdgas-Golf mit Abstand am weitesten. Was Wochenendtrips wesentlich entspannter macht. Elektro-Fans werden einwenden, dass Erdgasautos im Schnitt nur rund 20 Prozent CO₂ gegenüber konventionellen Benzinern sparen. Der große Charme von CNG-Fahrzeugen besteht aber darin, dass sie beliebig viel nachwachsende Rohstoffe oder regenerative Energie vertragen. Das lädt nicht nur zum Tanken von Bio-Erdgas ein, sondern öffnet auch die Tür für den schnellen Einsatz von synthetischen Kraftstoffen. Selbstzünder vertragen dagegen nur sieben Prozent Bio-Diesel, konventionelle Ottomotoren goutieren (wenn überhaupt) nur einen Ethanol-Anteil von 15 Prozent.

In Verbindung mit regenerativen Energiequellen (Biomasse, Wind, Solar, Wasserkraft) könnten Gasantriebe nahezu CO₂-neutral werden - und wären damit deutlich klimafreundlicher als der Strom für Elektroautos im deutschen Energiemix. Doch weder Audi noch andere Pilotanbieter bekommen CO₂-Gutschriften für die industrielle Produktion des nachhaltigen Kraftstoffs.

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Das Potenzial von Gas als Antriebsenergie wollen auch die Ford-Entwickler nutzen. Seit fünf Jahren versuchen sie, ihren hocheffizienten Dreizylindermotor mit CNG zu befeuern. "Zuerst haben wir einen eigenen Motortyp irgendwo zwischen Benziner und Diesel entwickelt, aber die Reibungsverluste waren zu hoch und der Wirkungsgrad deshalb nicht zufriedenstellend", gibt Carsten Weber zu.

Der Chef der Antriebsforschung und Vorentwicklung von Ford Europa hat mit der jüngsten Generation des 1,0L GTDI einen neuen Anlauf gestartet. Der Kraftzwerg mit einer Leistung von 110 kW (150 PS) verträgt sehr hohen Verbrennungsdruck und lässt sich mit einem neuen Zylinderkopf zum idealen Gasbrenner hochrüsten: "Direkteinblasung ist der wichtigste Schritt für ein kräftiges Drehmoment. Deshalb haben wir weder Kosten noch Mühen gescheut, um die Serientauglichkeit dieser neuen Technologie in mehreren Tausend Stunden im Dauerlauf auf dem Prüfstand zu beschleunigen", so der Ingenieur.

Neue Modelle, mehr Tankstellen

Prinzipiell sei der Mini-Motor mit seinen kleinen Dichtflächen gut für den Gasantrieb geeignet. Und die Direkteinblasung per Injektor direkt in den Zylinder löse ein grundlegendes Problem aller CNG-Antriebe: Der gasförmige Kraftstoff verdrängt die Frischluft im Einlasskanal. Folglich fehlt der Sauerstoff zur Verbrennung, was der Autofahrer am zähen Beschleunigen merkt. Ein großer, träger Turbolader hilft dabei nicht wirklich. VW gleicht den Nachteil durch die variable Turbinengeometrie des Laders aus - eine anspruchsvolle Technik, die bisher vor allem Porsche bei Hochleistungsbenzinern eingesetzt hat.

Wenn sich die Verkaufszahlen der neuen CNG-Modelle positiv entwickeln, werden auch VW und vor allem Audi ihre Bemühungen um die Direkteinblasung verstärken. Ford will seinen Prototypen im Herbst vorstellen, eine Serienproduktion scheint angesichts der sinkenden Dieselnachfrage durchaus möglich.

Doch die Herzen und Geldbörsen der Kunden öffnen sich nicht zuletzt durch neue, trendige Modelle: Seat wird ab Ende des Jahres eine CNG-Variante des kleinen Crossover-Modells Arona anbieten. Auch der größere Ateca im Format des VW T-Roc soll den Erdgasantrieb bekommen. Wird das Tankstellennetz in Spanien wie geplant um mehrere Hundert CNG-Stationen ausgebaut, dürfte sich dort eine zunehmende Zahl von Dieselfahrern für die saubere Alternative entscheiden.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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