Navigationssysteme:Verkehrsbeunruhigte Zone

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Solange das Tempolimit eingehalten wird, kann der Algorithmus auch durch ruhige Nebenstraßen leiten. (Foto: Stefanie Preuin)

Weil immer mehr Autofahrer von ihrem Navi durch Wohngebiete gelotst werden, haben Anwohner ein Schleichweg-Problem - und wehren sich.

Von Harald Hordych

Wie oft hat man während der Autofahrt schon gedacht: Praktisch, so ein Navi! Das ist zwar eine enge Nebenstraße, mühsam zu fahren, aber eine Minute gespart, mindestens! Genervte Anwohner? Man ist ja gleich wieder weg.

Bis dann der Einzug in die neue Wohnung kam, die auf dem Land an einer verkehrsberuhigten Straße mit Tempo 30 liegt. Schön still. Ja, zwischen elf Uhr nachts und sechs Uhr früh. Ansonsten aber fährt in Spitzenzeiten alle fünf bis zehn Sekunden ein Auto vorbei, weil die ruhige, abseits liegende Straße eine schnurgerade Abkürzung ist - parallel zur nach München führenden Hauptstrecke mit drei Ampeln.

Tja, Pech gehabt, vor allem wenn einem auffällt, dass eine erkleckliche Anzahl von Autos mit Kennzeichen vorbeibrummt, bei denen man sich fragt: Woher weiß jemand aus Kassel, Duisburg und Italien, dass es hier ein paar Sekunden schneller ins Zentrum oder zum Fünfseenland geht?

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Viele Menschen in Deutschland haben ein Schleichwegproblem. Nicht etwa, weil sie in Sachen Abkürzung ahnungslos sind, sondern weil immer mehr Autofahrer diesen Schleichweg von ihrem Navi gezeigt bekommen. In München erfahren gerade die Anwohner der Gundelindenstraße, was das heißt. Nach ihrem Empfinden schiebt sich dort eine schier endlose Kette von Autos durch die enge, verkehrsberuhigte Straße, weil sie eine nicht ausgeschilderte Auffahrt zum Mittleren Ring Richtung Süden bildet.

Im oberbayerischen Pfaffenhofen versperrte ein Lkw eine für den Koloss zu enge Wohnstraße, weil das Navi des Fahrers die trickreiche Umfahrung einer Baustelle empfohlen hatte. Der Lastwagen musste mit einem Kran befreit werden. In Potsdam wird gar überlegt, eine beliebte Schleichwegstraße ganz für den Verkehr zu sperren. Aber ist das nicht übertrieben, zu derart strikten Maßnahmen zu greifen?

Das Umweltbundesamt warnt eindringlich vor den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die bereits Verkehrslärm in einer Lautstärke hervorrufen kann, die das Gehör niemals schädigen könnte. Meeresrauschen und Verkehrsgeräusche gleicher Lautstärke würden vollkommen andere Reaktionen hervorrufen. Das eine werde noch als angenehm empfunden, das Brummen und Aufjaulen von Motoren können dagegen Schlafstörungen, kreislaufbedingte Erkrankungen und das Ausschütten von Stresshormonen hervorrufen.

Der Algorithmus ist auf den schnellsten Weg geeicht

Ist man also komplett dem Algorithmus von Navi-Geräten und Routenplanern ausgeliefert? Eine ADAC-Sprecherin erklärt, dass man nicht außer Acht lassen dürfe, welch große Rolle die Ortskenntnis bei Autofahrern aus der Gegend spielt. Der ADAC, übrigens mit ADAC Maps selbst Anbieter eines Routenplaners, räumt aber ein, dass in der Regel der Algorithmus darauf geeicht ist, den schnellsten Weg zumindest anzubieten.

Dieser Logik des Zeit- und Kilometersparens können Anwohner aber etwas entgegensetzen: Auch im schönen Pfaffenwinkel bei München hatte eine Abkürzung über kleinere Orte Zeit- und Raumgewinn gebracht, aber an einem Bahnübergang Staus verursacht. Eine Umweltinitiative wendete sich mit einer sechs Kilometer längeren Alternativroute an die Anbieter von Navigationsgeräten und Routenplanern mit der Bitte, die Abkürzung rauszunehmen. Der ADAC verweist stolz darauf, den Wunsch erfüllt zu haben. Einzelne genervte Anwohner könnten jedoch eher wenig ausrichten. Wenn überhaupt, dann gelinge das Bürgerinitiativen oder Gemeinden.

Das sieht freilich bei Here, einem der größten Anbieter für Routenplaner neben Google Maps, anders aus. Dort heißt es, dass sie für solche Bitten die falschen Ansprechpartner seien. Nur wenn Behörden eine Straße für den Durchgangsverkehr sperren, werde sie aus der Route genommen. Ansonsten gilt bei Here: Die schnellste Route führt auch über stille Straßen, solange die Zeit stimmt, wenn das Tempolimit eingehalten wird.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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