Süddeutsche Zeitung

Navigationssysteme:Stau-Warnung aus der Westentasche

Staumeldungen gelten bislang als notorisch unzuverlässig, dank neuer Methoden und Navgiationslösungen soll sich das nun ändern.

Helmut Martin-Jung

Das Experiment war simpel. Forscher der Universität von Nagoya, Japan, baten 20 Autofahrer, auf einem großen Parkplatz einen Rundkurs zu fahren, schön hintereinander und langsam. Das klappte anfangs gut. Dann aber richtete sich ein Testteilnehmer die Haare im Rückspiegel, ein anderer fummelte am Radio herum. Und da war er plötzlich: ein Stau, geboren aus dem Nichts, ausgelöst von kleinen Schwankungen der Geschwindigkeit.

Zwar werden auf den wichtigsten Verkehrswegen immer mehr Induktionszählschleifen eingebaut, überwachen Kameras den Verkehr und berichten Staumelder an ihre Zentralen. Bisher reicht dies in vielen Fällen aber nicht, den Verkehrsfluss so detailliert zu erfassen, dass sich daraus schnell und zuverlässig Informationen über Staus gewinnen ließen, die so spontan entstehen wie der im Versuch der japanischen Forscher. Doch das beginnt sich zu ändern.

Seit mehr als einem Jahr bereits nutzt beispielsweise der niederländische Navigationsanbieter TomTom Daten des Mobilfunkproviders Vodafone. Aus ihnen lässt sich errechnen, wann es Staus gibt und wann sie sich wieder auflösen.

Das funktioniert so: Wann immer ein Handy im Vodafone-Netz sendet oder empfängt, registrieren Vodafone-Rechner, wann ein Handy sich von einer Funkzelle in die nächste bewegt. Diese Daten werden anonymisiert und an TomTom weitergereicht. Dort wird mit einem Rechnerverbund versucht, den Einzeldaten einen Sinn zu geben, wie Frank Marks von TomTom berichtet: "Wenn auf einer Autobahn nur wenige Autos fahren, die aber recht langsam, kann das ein Hinweis auf glatte Straßen sein."

Die Techniker müssen aber auch das, was sie über Straßen wissen, in die Rechenregeln, sogenannte Algorithmen, einbauen. So verwirrte anfangs ein Streckenabschnitt in Amsterdam ständig die Computer, weil ein Stau sich in regelmäßigen Abständen aufzulösen schien, sich aber nach einer Minute wieder genauso präsentierte wie vorher. Des Rätsels Lösung: Auf dem Mittelstreifen befindet sich eine Zugstrecke. Immer wenn ein Zug fuhr, schien der Stau wie weggezaubert zu sein, weil die Handys im Zug sich mit hoher Geschwindigkeit bewegten - am Stau auf der Straße vorbei.

Im TomTom-Verkehrszentrum unweit des Amsterdamer Hauptbahnhofs laufen aber nicht bloß Handydaten ein. Dort werden auch die schon länger bekannten und benutzten Daten von Sensoren an Brücken und aus im Boden eingelassenen Induktionsschleifen empfangen und natürlich auch die Informationen, die in Deutschland von Radiosendern der ARD über den Traffic Message Channel (TMC) verschickt werden. Am interessantesten sind die Verkehrsinformationen, die Benutzer internetfähiger TomTom-Geräte liefern. Mit dem genauen Zeitstempel und den exakten geographischen Daten, die der Satellitendienst GPS mit sich bringt, sind sie sehr verlässlich.

Und sie werden immer verlässlicher, je mehr solcher Geräte es gibt. Etwa eine Million externe Navigationsgeräte mit mobilem Internetanschluss hat TomTom bisher verkauft, dazu kommen die Flotten von Unternehmen, die mit TomTom zusammenarbeiten. In Verbindung mit sogenannten historischen Daten - wann herrscht auf welcher Strecke in der Regel welches Verkehrsaufkommen - versucht man, dem Autofahrer möglichst sinnvolle Alternativrouten vorzuschlagen.

Ob dies immer gelingt, daran gibt es aber auch Zweifel. Stefan Grabmair, der beim ADAC unter anderem Navigationsgeräte testet, findet den Gedanken mit den Handydaten zwar "sehr interessant". Auch in der Praxis hätten die Geräte "teilweise sehr positiv überrascht". Das in die Jahre gekommene TMC-System sei schon "sehr begrenzt", sagt er. Aber das aus Handybewegungsdaten errechnete Verkehrsbild zeige manchmal auch Staus an, die gar nicht existierten. "Es ist ein großer Fortschritt", resümiert er, "aber es gibt noch Kinderkrankheiten."

Außerdem verlagere sich der Verkehr manchmal auf die von den Navis vorgeschlagenen Alternativrouten. "Das sind oft Bereiche, wo so viel Verkehr wirklich nichts verloren hat", sagt Grabmair. Auch bei Deutschlands größtem Verkehrsclub arbeitet man daran, die Qualität der Verkehrsinformationen deutlich zu verbessern. 120.000 Mitglieder haben sich bislang bereits als Staumelder registriert. Bemerken sie eine Störung, können sie über Handy und eine kostenlose Nummer des ADAC Anfang und Ende weitergeben. In der Verkehrsredaktion wird diese Information bewertet, mit anderen Daten verglichen und dann herausgespielt. Es gibt auch ein Programm für Smartphones, bei dem die Staumelder bloß noch einen Knopf für den Anfang und einen für das Ende des Staus drücken müssen.

Große Hoffnung setzt Markus Bachleitner, Leiter der Entwicklung der Verkehrsinformationen beim ADAC, aber vor allem auf Daten, die von März an in die offiziellen Staumeldungen einfließen sollen. Es handelt sich um Daten von Berufsfahrern, deren Fahrzeuge mit Geräten zum Flottenmanagement ausgestattet sind. Mit ihrer Hilfe wissen Lieferfirmen und Speditionen, wo welches Fahrzeug gerade ist. Die Daten von 40.000 solcher Transporter werden bereits anonymisiert an den ADAC übermittelt.

"Wir nutzen quasi ein Abfallprodukt", sagt Bachleitner. Bis zu fünf Millionen Positionsmeldungen gehen pro Tag in der Verkehrszentrale des ADAC in München ein. Staus könnten damit früher bemerkt werden. Auf der Webseite des Automobilclubs sind die so aktualisierten Verkehrskarten bereits zu sehen. Es gibt auch ein Programm für Apples Multimediahandy iPhone, das diese Daten auswertet.

Aber auch Navigationsgeräte, die mit dem herkömmlichen TMC arbeiten, sollen von den verbesserten Daten profitieren. TMC leide unter einem Mengenproblem, sagt Bachleitner. Für TMC wird ein Dienst genutzt, der dafür sorgt, dass im Autoradio der Name des Senders angezeigt wird. Auf diesem Kanal ist nur wenig Platz für die Verkehrsinformationen, die daher in einer Schleife gesendet werden. Bis das Gebiet dran ist, in dem man gerade fährt, kann es manchmal entscheidende Minuten dauern. In Kooperation mit der ARD wird daher daran gearbeitet, das TMC-System so weit zu verbessern, dass mehr Daten schneller angeboten werden können.

Freie Fahrt, zumindest auf der Datenautobahn, versprechen Navigationssysteme auf dem Multimediahandy. Routenführer wie Ovi von Nokia führten bisher für rund 60 Euro pro Jahr Fußgänger und Autofahrer mit Sprachansage durch Europa. Ein entsprechender Lotse von TomTom für Apples iPhone kostet knapp 80 Euro.

Doch ein Vorstoß von Google hat den lukrativen Massenmarkt vor vier Monaten aufgemischt. In den USA gibt es bereits ein kostenloses Navigationssystem für das Handy-Betriebssystem Android, das auf dem Kartendienst Google Maps basiert. Ein eigenes Google-Phone inklusive Navi hat der Suchmaschinenriese vor kurzem vorgestellt. Seitdem überschlagen sich die Ereignisse: Nokia ging vor zwei Wochen zum Gegenangriff über und stellte seine Navigation in 74 Ländern sowie 46 Sprachen kostenlos zur Verfügung. Bisher wurden die Ovi-Karten knapp zwei Millionen Mal heruntergeladen.

Datendienste per Mobilfunk sind dabei, die gesamte Branche zu verändern. Bisher waren die Routenführer auf dem Handy meist Zwillinge der mobilen Nachrüstnavis. Doch Multimediahandys können weit mehr als die Billigteile am Saugnapf: Durch Zusatzdienste aus dem Internet lassen sich die Routenführer weiter aufschlauen. Das nützt allen, die wieder mal im Stau stehen, obwohl das teure Festeinbausystem von der Verkehrsstörung noch gar nichts weiß. Lokale Echtzeitinformationen stehen nach dem Aussteigen zu den Sehenswürdigkeiten am Ort im Handy genauso zur Verfügung wie Infos zu Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten und so weiter.

Bisher waren knapp 900 Millionen Autofahrer weltweit von den Segnungen des Internets ausgeschlossen. Das dürfte sich dank der kostenlosen Routenführer schneller ändern, als Hersteller wie BMW erwartet haben. Die Münchner bieten bereits seit einem guten Jahr eine langsame Internetverbindung über das Festeinbaunavigationssystem an. Andere Hersteller wie Audi mit dem neuen A8 werden nachziehen. Die Zukunft liegt im Netz, so viel ist sicher. Kostenlos wird sie aber kaum sein: Eine Flatrate für Datendienste gilt in der Regel nur im Heimatland. Im Ausland werden hohe Roamingkosten fällig.

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