Es mag daran liegen, dass sie mit dem Rad zur Arbeit fährt. Oder daran, dass sie vor knapp 20 Jahren den Navigationsgerätehersteller Tomtom mitgegründet hat: Allzu viele Autofahrer, die sich von ihrem iPhone durch die Straßen navigieren lassen, sehe sie nicht, beteuert Corinne Vigreux.
Die Leute, sagt sie, werden weiterhin ein Navi kaufen, wenn vielleicht auch seltener. Weil sie nicht den Überblick über eine heikle Kreuzung verlieren wollen, wenn gerade jemand anruft. Es ist Vigreuxs Job, so etwas zu sagen. Einerseits.
Andererseits ist es ihr Job, Tomtom, den größten europäischen Anbieter von Navigationsgeräten, fit für die Zukunft zu machen. Für eine Zeit also, in der sich immer mehr Menschen fragen, warum sie ein Navi kaufen sollen, wenn das Alleskönnerhandy es auch tut. Kostenlos.
Erst kürzlich hat das niederländische Unternehmen seine Aussichten für das laufende Jahr gesenkt: In Europa werde der Markt für die mobilen Geräte um ein Zehntel, in den USA sogar um ein Drittel schrumpfen.
Wie eng es für die Anbieter geworden ist, lehrt das Beispiel von Tomtoms Konkurrenten Navigon: Das Unternehmen, lange ein reiner Software-Anbieter, hatte sich 2007 dazu entschlossen, auch Geräte zu fertigen. Ausgerechnet in jenem Jahr, als Apple mit seinem iPhone die neue Ära der Smartphones einläutete. Navigon häufte mehrere Millionen Schulden an - und wurde im Juni dieses Jahres vom US-Rivalen Garmin übernommen.
Es werde wohl zu Restrukturierungen kommen, sagt Navigon-Chef Egon Minar. Aber die Abteilung für Forschungs- und Entwicklung werde nicht gestutzt. Auch die Marke will der neue Mutterkonzern nicht so schnell aussortieren. Garmin dürfte wissen, wie viel diese gerade in Europa wert ist.
Dass auch Tomtom geschluckt werden könnte, daran glaubt Vigreux nicht. Es brauche eine gewisse Stärke, um die hohen Entwicklungskosten zu stemmen, sagt sie. Navigon sei dafür zu klein gewesen. Tomtom sei groß genug. Im vergangenen Jahr haben die Niederländer den Forschungsetat aufgestockt. Alles entscheide sich nun zwischen Garmin und Tomtom. Sonst spiele da niemand mehr mit.
Und so buhlt Tomtom um neue Kundschaft: Renault haben die Niederländer als Partner gewonnen, um Navigationsgeräte in die Autos einzubauen. Große Hoffnungen setzt das Unternehmen auch auf die Echtzeitanalyse von Verkehrsdaten. Dabei werden die vielen Navis auf den Straßen, aber auch Handys zum Staumelder.
Tomtom kooperiert mit Vodafone und erhält von den mobilen Geräten stetig Standortdaten. So können die Niederländer im Labor erkennen, wann es wo auf den deutschen Straßen eng wird - und zurückmelden, ob es sich lohnt, den Stau zu umfahren. Der Privatmann spart mit solch einem Dienst vor allem Nerven; der Geschäftsmann, der etwa eine Lkw-Flotte durch verstopfte Autobahnen schleusen muss, spart dazu noch Spritkosten.
Auch Verkehrsplaner lässt Tomtom auf seine Datensammlungen zugreifen - gegen Lizenzgebühren. Unternehmen und Behörden sind verlässliche Kunden. Sie nehmen mehr Geld in die Hand als der Privatmann und schließen Verträge über längere Zeiten ab.
Fragt sich nur, wann sich das in der Bilanz zeigt. Die Umsätze mit den Autoherstellern etwa sind im jüngsten Quartal um mehr als ein Drittel gestiegen. Das Dilemma: Das allermeiste, nämlich 75 Prozent des Umsatzes von jährlich etwa 1,28 Milliarden Euro, bringen Verbraucher.
Und die will Tomtom nicht verlieren. Also gibt es auch ein Navigationsprogramm fürs iPhone. Für die viel rasanter wachsende Zahl von Alleskönnerhandys, die auf Googles mobilem Betriebssystem Android laufen und auch das kostenlose Kartenmaterial anbieten, hat Tomtom noch kein Angebot. Die Zeit könnte Fakten schaffen: Täglich werden 500.000 Geräte mit Android aktiviert.
Der Rivale Navigon bietet all jenen Kunden mit einem android-betriebenen Gerät bereits Kartenmaterial fürs Handy. Und selbst für die Alleskönnerhandys, die auf Microsofts mobilem Betriebssystem basieren, gibt es Orientierung von Navigon. Noch greifen die Kunden zwar eher selten zu einem Windows-Phone. Doch offenbar weiß man bei Garmin, wie wertvoll selbst diese wenigen Kunden bald schon sein können. Das Telefon wechseln die Leute schließlich häufiger als ihr Navi.
Wie weit Navigon mit seinen Programmen für die Alleskönnerhandys schon war, das sei ein entscheidendes Argument für die Übernahme gewesen, sagt Clifton Pemble, Finanzvorstand bei Garmin. Dem Vernehmen nach hat sich das US-Unternehmen den Deal eine mittlere zweistellige Millionen-Dollar-Summe kosten lassen. Die Ende der achtziger Jahre gegründete Firma kann es sich leisten: In diesem Jahr erwartet sie einen Umsatz von 2,6 Milliarden Dollar. Fast genauso viel hat das Unternehmen auf der hohen Kante liegen.
Es ist also ein durchaus mächtiger Rivale, mit dem Tomtom nun um die Vorherrschaft auf dem schrumpfenden Markt ausfechtet. Die Niederländer hübschen ihre Navis derweil für das an soziale Netzwerke gewöhnte Publikum auf: Mit den neuen Geräten, die das Unternehmen auf der Ifa zeigt, kann der Nutzer auch twittern, wann er sein Ziel erreicht haben wird. Oder er kann sich von der Internetplattform Tripadviser eine Restaurantempfehlung holen.
"Vernetzung ist wichtig. Aber auf dem Navi dürfen nur die wirklich wichtigen Informationen landen und sie müssen schnell und übersichtlich abrufbar sein", betont Vigreux.