Nahverkehr:Ja, was fährt denn da?

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Der Autor Michael Dörflinger hat in einem Buch "101 Dinge, die man über U- und S-Bahnen wissen muss" zusammen­getragen. Die SZ hat sich ein paar davon herausgepickt.

Von Marco Völklein

Zug an der Station Bahnhof Tiergarten: Die Berliner S-Bahn gilt als eine der ältesten der Welt. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Ein zentraler Bahnhof mitten in der Stadt? Mitte des 19. Jahrhunderts, als in England die ersten Eisenbahnen entstehen, ist das noch ein ferner Traum. Die einzelnen Eisenbahngesellschaften errichten von London aus Strecken in alle Himmelsrichtungen - jeweils ausgehend von ihren eigenen Bahnhöfen, die rings um die Innenstadt angelegt werden. Um Umsteigern, die von einem Bahnhof zum anderen wollen, den Straßenverkehr durch die City zu ersparen, entsteht von 1860 an eine Untergrundbahn durch die Innenstadt zwischen Paddington und Farringdon - "es war die Geburtsstunde der U-Bahn", schreibt der Autor Michael Dörflinger in seinem Buch "101 Dinge, die man über U- und S-Bahnen wissen muss".

London macht den Anfang

Die Untergrundbahn ist mit einem Dreischienengleis ausgestattet, denn die Breitspurzüge der Great Western Railway, die den Südwesten Englands erschließt, verkehren dort ebenso wie die normalspurigen Bahnen der Great Northern Railway. Und sie alle fahren zunächst unter Dampf. Erst knapp 30 Jahre später, am 4. November 1890, eröffnet Bertie, der Sohn von Queen Victoria und spätere König Edward VII., die erste elektrische U-Bahn der Welt - natürlich wieder in London. Die Energie für die Elektrolok wird über eine Stromschiene unter dem Zug geliefert, drei Wagen kann die Lokomotive ziehen. Die Züge verkehren von Stockwell zur King William Street, mit vier Zwischenhalten unterwegs. Die Vorteile des elektrischen Betriebs sind so augenfällig, dass er sich rasch durchsetzt - und sämtliche Londoner Linien nach und nach elektrifiziert werden.

Doch anders als die Eisenbahn setzt sich die unterirdische Metropolitan Railway anderswo nur zögerlich durch. Der große Aufwand und die Probleme, die das Graben durch den Boden alter Kulturstädte mit sich bringen, lässt viele Städteväter zunächst zögern. Erste Hochbahnen, die aufgeständert über den Straßen verlaufen, eröffnen unter anderem in New York, Chicago und Liverpool; 1875 entsteht in Istanbul eine unterirdische Standseilbahn, in Athen wird von 1869 an ein Tunnel, der heute zur U-Bahn gehört, befahren. Umstritten ist aber, ob das bereits U-Bahnen im eigentlichen Sinne waren.

Mit Dampfloks ging es 1863 los im Londoner Untergrund. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1896 schließlich errichtet Budapest eine U-Bahn - auf Anregung von Werner von Siemens, der es bis dahin nicht geschafft hatte, am Unternehmenssitz Berlin eine Hochbahn zu initiieren. 1900 eröffnet in Paris die erste Métro-Trasse, 1901 feiert mit der Schwebebahn in Wuppertal ein weiteres Nahverkehrskonzept seine Premiere. 1902 schließlich zieht Berlin mit seiner Hoch- und Untergrundbahn nach, 1912 Hamburg.

Signets mit eigener Ästhetik

Wer durch das Pariser Métro-Netz streift, der kann übrigens sehen, wie vielfältig die Logos und Hinweisschilder dort sind, die auf die einzelnen Stationen hinweisen. Während sich in Deutschland recht bald das weiße "U" auf blauem Grund durchsetzt, weisen in der französischen Hauptstadt zunächst gelb-grün gestaltete Jugendstil-Schilder des Designers Hector Guimard mit der Aufschrift "Métropolitain" auf die Zugänge hin - oftmals auch mit einem schirmähnlichen Dach versehen. Später kommen die von Adolphe Dervaux gestalteten Kandelaber im Stil des Art déco hinzu. Und das Londoner Signet - "Underground" auf blauem Grund im roten Kreis - schafft es sogar als Druck auf T-Shirts.

Die von Adolphe Dervaux gestalteten Kandelaber in Paris. (Foto: dpa)

Für die S-Bahn setzt sich das weiße "S" auf grünem Kreis durch. Was aber genau ist eine S-Bahn? In Deutschland ist das klar unterschieden: Während die U-Bahn nach BOStrab ("Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung") als vorwiegend innerstädtisches Verkehrsmittel betrieben wird, gilt bei der S-Bahn die EBO, die "Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung". Sie deckt meist ein weitaus größeres Siedlungsgebiet ab als die U-Bahn, und sie verbindet mitunter auch mehrere Regionen miteinander.

Die U-Bahn im Film

Viele Menschen rauschen dicht gedrängt in hohem Tempo durch eine enge Röhre - wenn das kein Stoff ist für einen Actionfilm. U-Bahnen spielen deswegen immer wieder eine wichtige Rolle in diversen Filmen. Im Streifen "The Taking of Pelham One Two Three" von 1974 (deutscher Titel: "Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3") spielt Walter Matthau den Sicherheitschef der New Yorker U-Bahn, der die Entführung eines Subway-Zuges aufklären und das Leben der Passagiere retten muss. Technische Details wie beispielsweise die "Totmanneinrichtung" im Führerstand oder die Stromschiene im Gleisbett spielen dabei eine wichtige Rolle.

Walter Matthau im Film „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3“. (Foto: OBS/dpa)

Matthau alias Lieutenant Zach Garber agierte laut Dörflinger übrigens in der selben Kommandozentrale der New Yorker U-Bahn, die Jahre zuvor bereits für den Film "The French Connection" ("Brennpunkt Brooklyn") mit Gene Hackman in einer der Hauptrollen nachgebaut worden war.

Und einen Streifen gibt es, in dem eine U-Bahn zwar für einen - zur damaligen Zeit - aufregenden Effekt sorgt, selbst dabei aber nicht zu sehen ist: In "The Seven Year Itch" ("Das verflixte siebte Jahr") von 1955 lässt Regisseur Billy Wilder seine Hauptdarstellerin Marilyn Monroe über einen Abluftschacht gehen, deren Kleid dadurch nach oben gewirbelt wird.

Was ist die "spanische Lösung"?

Zu den Städten weltweit, die deutlich später als beispielsweise London, New York, Paris oder Berlin eine U-Bahn bekamen, zählt Madrid. Spanien hält sich zwar aus dem Ersten Weltkrieg heraus, die wirtschaftlichen Folgeschäden aber bekommt das Land ebenso zu spüren wie die beteiligten Kriegsparteien. Die eigentlich schon für das Jahr 1913 geplante Inbetriebnahme der Msdrider U-Bahn kann daher erst 1919 stattfinden, ein Zehntel der Bausumme steuert der damalige König aus seiner Privatschatulle bei. Errichtet werden die Strecken zunächst als Kleinprofillinien, mit engen Tunneln und schmalen Fahrzeugen. Erst in den Sechzigerjahren kommt eine Großprofillinie hinzu - sie gehört zum Konzept der "Suburbanos", in etwa vergleichbar mit der S-Bahn-Idee in anderen Metropolen.

Nichts zu tun hat die Metro in Madrid wie auch die später in Barcelona errichtete U-Bahn allerdings mit der "spanischen Lösung". Hinter dem Begriff verbirgt sich eine bestimmte Bahnsteigarchitektur, wie sie beispielsweise in München an den unterirdischen S-Bahn-Stationen am Marienplatz, am Karlsplatz (Stachus) und am Hauptbahnhof existiert. Weil beiderseits des Gleises Bahnsteige verlaufen, kann der Lokführer eines eingefahrenen Zuges die Türen an beiden Seiten freigeben - so können die Aussteiger die eine Seite der Waggons nutzen, während von der anderen Seite bereits die Einsteiger hereinströmen. Es gibt weniger Gedränge, Ein- und Aussteiger kommen sich nicht in die Quere, die beiden Personenströme sind klar voneinander getrennt. Unterm Strich verkürzt das die Haltezeit der Züge.

Bahnsteige zu beiden Seiten des Zuges am Münchner Marienplatz. (Foto: Stephan Rumpf)

Angeblich hatten die Idee dazu die Erbauer der U-Bahn von Barcelona gehabt, die 1924 eröffnet wurde - daher stammt der Begriff "spanische Lösung". Doch das stimmt nicht, wie Dörflinger aufzeigt. So belegen unter anderem Fotos aus dem Jahr 1912, dass bereits beim Bau der Station Park Street in Boston zwei Bahnsteige beidseits des Schienenstrangs angelegt wurden. Auch in London und New York waren U-Bahn-Bauer schon auf die Idee gekommen.

Wie weiter in die Zukunft?

"Öffentliche Verkehrsmittel sind im Kampf gegen die Klimakatastrophe eine wichtige Waffe", findet Buchautor Dörflinger - und viele Politiker sehen das mittlerweile ähnlich. Sie verweisen unter anderem auf Metropolen in China, in denen in Rekordzeit neue Metronetze errichtet werden. Und auf Modelle wie das 365-Euro-Jahresticket in Wien, vergessen dabei aber oft zu erwähnen, dass zu dessen Finanzierung unter anderem die Pkw-Parkgebühren angehoben wurden und Arbeitgeber nun eine Art U-Bahn-Steuer entrichten müssen. Immer wieder diskutiert werden auch Ansätze, im ländlichen Raum stillgelegte Bahnstrecken zu reaktivieren und so die Menschen zum Umstieg vom Auto auf die Schiene zu bewegen. Und Bahnfirmen experimentieren unter anderem mit Wasserstoff-Triebzügen.

Hyperloop-Kapsel bei einer Ausstellung in der TU München. (Foto: Robert Haas)

Elon Musk wiederum, reich geworden als Gründer des Zahlungsdienstleisters Paypal und mittlerweile mit Tesla auch im Automobilgeschäft tätig, regte vor einigen Jahren ein Verkehrsmittel an, das ähnlich wie eine Rohrpost (eine Idee, die 1853 übrigens in London erstmals angewandt wurde) in einer Röhre laufen und dabei mit sehr hohen Geschwindigkeiten Waren und Personen transportieren soll. Die Idee des Hyperloop war geboren.

Seit 2015 liefern sich nun Forschergruppen in aller Welt eine Art Wettstreit mit verschiedenen Fahrzeugen, die mehr oder weniger auf den theoretischen Grundlagen des Hyperloop-Idee basieren. Mit dabei ist auch ein Team der Technischen Universität München, dessen Modell schon mehrmals die höchste Geschwindigkeit schaffte, zuletzt mehr als 400 km/h. Zudem kursieren Pläne für Strecken unter anderem in USA, Kanada, Mexiko, Großbritannien und Indien, die irgendwann gebaut werden sollen. "Damit", glaubt Buchautor Dörflinger, "stößt das Konzept der U-Bahn in ganz neue Dimensionen vor." Kritiker allerdings bezweifeln, dass die Hyperloop-Idee je wirtschaftlich tragbar sein wird.

Michael Dörflinger: 101 Dinge, die man über U- und S-Bahnen wissen muss, Geramond, München 2020, 192 Seiten, 16,99 Euro

© SZ vom 28.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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