24 Stunden Nahverkehr:Nachts tanken, tags fahren

Öffentlicher Nahverkehr - Straßenbahn

Damit der Nahverkehr möglichst reibungslos läuft, müssen viele kleine Rädchen ineinandergreifen.

(Foto: picture alliance / Jan Woitas/dp)

Wer sorgt dafür, dass Busse und Bahnen täglich fahren? Ein Blick hinter die Kulissen des Nahverkehrs einer Großstadt.

Von Marco Völklein

Für den normalen Fahrgast ist es nur eine Straßenbahn oder ein Bus, der da - mehr oder weniger pünktlich - kommt und ihn befördert. Was aber steckt hinter all dem, was Stadtplaner den öffentlichen Personennahverkehr nennen? Wer sorgt dafür, dass die Bahnen und Busse fahren? Und was ist dazu alles nötig? Ein Blick hinter die Kulissen an einem Donnerstag in einer Großstadt in Deutschland.

3.00 Uhr, Busbetriebshof

Die ersten drei Fahrzeuge, die den Betriebshof der Stadtwerke Augsburg (SWA) an der Lechhauser Straße verlassen, sind für die eigenen Leute disponiert: Die "Personalwagen" sammeln Fahrer der Frühschicht ein und bringen sie zum Bus- sowie zum Straßenbahnbetriebshof.

3.40 Uhr, Straßenbahnbetriebshof

Zu denen, die ganz früh ihren Dienst antreten, zählt an diesem Tag Julian Lang. Als Verkehrsmeister soll er für einen reibungslosen Betriebsablauf sorgen. Eine seiner ersten Aufgaben: Kontrolle der Ausrückstrecken für die Trambahnen. Sind die Gleise frei? Stehen irgendwo Falschparker? Im "Unfallhilfswagen", kurz UHW, fährt Lang die wichtigsten Strecken ab. "Alles frei", meldet er später an die Leitstelle.

5.00 Uhr, SWA-Leitstelle

Drei Mitarbeiter überwachen während der Hauptverkehrszeiten den Bus- und Straßenbahnverkehr in Augsburg. An der Wand hängen große Monitore; sie liefern Kamerabilder, unter anderem vom Königsplatz, der Verkehrsdrehscheibe in der Innenstadt. Per Funk sind alle Fahrer mit der Leitstelle verbunden - "Funker" werden daher die Verkehrsmeister genannt, die fest in der Leitstelle arbeiten. Bei Unfällen, Störungen, Behinderungen versuchen sie - zusammen mit den Kollegen im Außendienst - das Problem zu lösen. Sie schicken dann mitunter Techniker zur Unfallstelle, alarmieren Helfer der Feuerwehr, organisieren Ersatzbusse und Umleitungen.

6.08 Uhr, Von-Parceval-Straße

Ein Fahrzeug der Linie drei hat Probleme mit dem Stromabnehmer. Auch Ratschläge der Leitstelle per Funk helfen nicht weiter; Verkehrsmeister Lang fährt hin. Um bei schweren Unfällen möglichst schnell dort zu sein, schalten die Verkehrsmeister in Augsburg seit einigen Jahren auch Blaulicht und Martinshorn ein, in diesem Fall reicht Gelblicht. Lang hat das Problem binnen weniger Minuten gelöst. Zu Verspätungen von etwas mehr als einer Viertelstunde kommt es dennoch auf der Linie drei.

6.30 Uhr, Straßenbahnbetriebshof

Die zwei Mitarbeiter vom "Jour-Dienst" stehen in ihrer Glaskanzel und ratschen. "Das ist ein gutes Zeichen", sagt Tomasz Karbowski, der Leiter Straßenbahnen. Denn das heißt: Für die beiden gibt es wenig zu tun. Vor jedem Ausrücken prüfen die Fahrer die jeweilige Trambahn. Klemmt eine Tür oder ist ein Licht kaputt, schauen die Techniker vom Jour-Dienst, ob sie den Defekt beheben können. Im Zweifelsfall muss der Fahrer die Trambahn stehen lassen und ein Ersatzfahrzeug nehmen. An diesem Morgen stehen auch alle Ersatzbahnen noch im Depot.

7.34 Uhr, Hauptbahnhof

Ein Falschparker blockiert eine Bushaltestelle; Busse stauen sich, ebenso der Autoverkehr. Die Leitstelle schickt Verkehrsmeisterin Simone Kotzor hin. Als die eintrifft, fährt der Falschparker gerade weg. "Er hatte sich was beim Bäcker geholt", erläutert Walter Neu, der Chef der Leitstelle.

7.45 Uhr, Königsplatz

Es herrscht Hochbetrieb am zentralen Umsteigepunkt der Stadt. Clara Radunski wartet auf den Bus der Linie 41. Im Sommer sei sie oft mit dem Rad unterwegs, erzählt sie, im Winter eher mit Bus und Bahn. Auf ein Auto verzichte sie bewusst: "Ich wohne in der Stadt, ich arbeite in der Stadt. Ein Auto wäre da nur eine Belastung." In Augsburg aber könnten insbesondere am Abend mehr Busse und Bahnen fahren, findet sie. "Und die Preise sind zu hoch."

7.59 Uhr, Straßenbahnbetriebshof

Um die hohe Nachfrage am Morgen abzufedern, sind in der Früh zusätzliche Züge unterwegs. Die rücken allmählich wieder ein und bleiben bis etwa 12 Uhr im Depot.

8.27 Uhr, Haltestelle Königsplatz

Am Bahnsteig A4 löst Busfahrer Michael Vogl einen Kollegen in einem Bus der Linie 32 ab. Es ist bereits der zweite Teil seiner Schicht, seit 4.06 Uhr ist er unterwegs. Vogl hat eigentlich mal Bäcker gelernt, litt dann unter einer Mehlstauballergie - und schulte zum Busfahrer um. "Das wollte ich schon immer machen." Mit dem großen Fahrzeug durch die Stadt kurven, der Kontakt mit Menschen. Das hat ihn gereizt. Ein Bürojob? "Käme für mich nicht infrage", sagt Vogl. "Den ganzen Tag immer dieselbe Zimmerpflanze anzustarren."

8.50 Uhr, Tunnel Pfersee

Das Tiefbauamt hat Wartungsarbeiten an dem Straßentunnel nördlich des Hauptbahnhofs angekündigt; ein Hubsteiger ist im Einsatz. Die Mitarbeiter der Leitstelle warnen per Sammelruf die Fahrer auf der Straßenbahnlinie drei sowie der Buslinie 32: Bitte langsam machen!

9.12 Uhr, Am alten Hessenbach

An der Haltestelle warten etwa zwei Dutzend Kinder mit ihren Erzieherinnen. "Die wollen zu 100 Prozent in den Zoo", sagt Vogl und deutet beim Heranfahren an die Haltestelle mit dem Daumen nach hinten. Normalerweise müssen in Augsburg die Fahrgäste beim Bus vorne einsteigen, die Fahrer kontrollieren die Tickets. Als Vogl aber die vielen Kinder sieht, entscheidet er sich gegen das normale Prozedere: "So geht das Einsteigen deutlich schneller."

10.20 Uhr, Straßenbahnbetriebshof

In der Werkstatt herrscht rege Geschäftigkeit. Nachts werden kleinere Reparaturen erledigt, tagsüber die großen Inspektionen. Alle 16 Jahre muss so eine Tram zur umfassenden Hauptuntersuchung, dann werden die 42 Meter langen Fahrzeuge komplett zerlegt und durchgecheckt. Drei Straßenbahnen können sich die Techniker dabei parallel vorknöpfen. 400 000 Euro kostet so eine Untersuchung pro Tram.

10.59 Uhr, Diakonissenhaus

"Heute ist ein ruhiger Tag", sagt Verkehrsmeister Lang. Keine Unfälle, kaum technische Störungen - also bleibt ihm Zeit für anderes. Eine Kontrollfahrt auf der Buslinie 42 zum Beispiel. Regelmäßig fahren die Verkehrsmeister die einzelnen Linien ab, schauen unter anderem nach Vandalismusschäden oder Graffiti-Schmierereien an den Haltestellen und prüfen, ob der Fahrdraht noch korrekt gespannt oder die Signale noch gut zu erkennen sind.

11.04 Uhr, Halderstraße

Lang fährt kurz rechts ran, hält direkt neben einem Lieferfahrzeug eines Paketzustellers. Der parkt auf einer schraffierten Fläche, daneben verlaufen Straßenbahnschienen. Lang bittet den Fahrer, den Wagen umzuparken. "Wenn da die nächste Straßenbahn kommt, könnte es mit dem Spiegel eng werden", sagt Lang.

11.58 Uhr, Straßenbahnbetriebshof

War Straßenbahn-Chef Karbowski am Morgen noch froh, alle Fahrzeuge wie geplant rausschicken zu können, sieht es um die Mittagszeit anders aus: Bei zwei Straßenbahnen gibt es Probleme, Verkehrsmeisterin Kotzor lässt die Fahrer mit zwei Hochflur-Trambahnen des Typs M8C ausrücken. Die gelten als veraltet, fallen gerne auch mal aus und müssen oft ins Depot zurückgeschleppt werden. "Aber besser, als gar nichts rauszuschicken", sagt Kotzor.

12.24 Uhr, Dom

Ein Trambahnfahrer hat einen möglichen Schienenbruch gemeldet, die Leitstelle schickt Verkehrsmeisterin Kotzor hin und warnt per Sammelruf die Fahrer auf der Linie 2: Die Stelle bitte mit Schritttempo passieren! Zusammen mit einem Kollegen sucht Kotzor die Gleistrasse ab; ohne Ergebnis. "Falscher Alarm" meldet der Kollege an die Leitstelle. Die kurzzeitige Tempobeschränkung wird wieder aufgehoben.

12.50 Uhr, Königsplatz

Tramfahrer Thomas Glas beginnt seinen Dienst. Von einem Kollegen übernimmt er einen Wagen der Linie sechs. Auch er hat ursprünglich mal was anderes gelernt, nämlich Metzger, wechselte dann zum Lkw, später zum Bus. Seit 2014 fährt er Straßenbahnen. Als "Kombi-Fahrer" wird er von den Personaldisponenten dafür geschätzt. Diese Fahrer sind flexibel einsetzbar.

13.13 Uhr, Friedberg Maria Alber

Eine Station vor der Endhaltestelle in Friedberg West drückt Glas kurz auf den Sandknopf. Unter dem Fahrzeug bilden sich nun idealerweise sechs kleine Sandhäufchen, direkt vor den angetriebenen Rädern. Beim Zurückfahren kurz darauf checkt Glas, ob die Häufchen wirklich da liegen. "Andernfalls wäre etwas defekt" - und er müsste das melden. Heute aber sind die Sandhäufchen deutlich zu sehen.

16.10 Uhr, Königsplatz

Trambahnfahrer Thomas Glas beendet den ersten Teil seiner Schicht, jetzt hat er eine gute Stunde Pause. Um 17.18 Uhr muss er weiter - dann auf der Linie zwei.

17.04 Uhr, Moritzplatz

Bernhard Flieger wartet auf eine Trambahn der Linie eins in Richtung Lechhausen. Er fährt nur selten "mit den Öffis", wie er sagt. "Und meine Frau gar nicht." Die Verspätungen, das Gedränge in den Morgenstunden - "all das schreckt uns eher ab". Auf der anderen Seite räumt er aber auch ein: "Mit dem Auto stehst Du auch ständig im Stau. Und wenn man dann zu spät zu einem Termin kommt, hat man keinen, dem man die Schuld dafür geben kann."

17.55 Uhr, Busbetriebshof

Nach und nach rückt der Großteil der Busse wieder ein in den Betriebshof, gegen Abend wird auf allen Linien der Takt ausgedünnt, auch bei den Trambahnen.

21.00 Uhr, Königsplatz

Dienstschluss für Straßenbahnfahrer Thomas Glas. Er übergibt die Bahn an einen Kollegen. Den Job mache er nach wie vor gern, sagt Glas, wegen der Abwechslung. "Und ich bin ein kleiner Teil der vielbeschworenen Mobilitätswende, die jetzt in aller Munde ist", sagt er. Während andere nur davon redeten, dass der öffentliche Nahverkehr gestärkt werden müsse, wirke er daran mit. "Das ist ein gutes Gefühl."

23.02 Uhr, Busbetriebshof

Bereits seit 17 Uhr sind drei Mitarbeiter des "Tankdienstes" damit beschäftigt, die mehr als 80 Busse im SWA-Fuhrpark fit zu machen für den nächsten Einsatz. Verschmutzte Fahrzeuge fahren sie durch die Waschanlage, Öl wird nachgekippt. Zudem füllen sie bei jedem Bus den Tank auf dem Dach mit bis zu 250 Kilogramm Biogas; die Stadtwerke verzichten seit Jahren auf Dieselantriebe und lassen ihre Busse mit Gas fahren. Mit einer Tankfüllung kommt ein Gas-Bus etwa 450 Kilometer weit. Das reicht locker für einen Tag im Augsburger Netz.

0.05 Uhr, Busbetriebshof

Die letzten Busfahrer rücken ein, gegen Mitternacht ist Betriebsschluss. Aber nicht von Donnerstag bis Samstag - dann rollen die Nachtexpresse durch Augsburg. Zehn Busse stellen die Mitarbeiter im Busbetriebshof dafür zur Verfügung. "Es sollten nicht die ganz Neuen sein", sagt Werkstattleiter Daniel Strohschneider - denn insbesondere nachts habe man immer mal wieder mit Vandalismus zu kämpfen. Ganz alte Fahrzeuge dürften es aber auch nicht sein, denn die haben noch keine Kameraüberwachung. "Und wir wollen den bösen Buben ja auf die Finger schauen."

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