Nach Fahrverbots-Urteil:Du hast einen Diesel? Dein Problem!

Volkswagen

Ein Teil des Drecks auf diesem VW-Logo kommt aus dem eigenen Auspuff.

(Foto: dpa)

Es drohen Fahrverbote wegen Luftverschmutzung, doch Industrie und Politik ist das egal. Wie es sich anfühlt, Besitzer eines Diesel-Stinkers zu sein.

Von Thomas Hummel

Ich bin jetzt ein Betroffener. Dabei wollte ich nie betroffen sein. Doch ich habe vor einigen Jahren ein Auto gekauft, das heute dafür verantwortlich gemacht wird, die Gesundheit meiner Mitmenschen zu gefährden. Das war nie beabsichtigt und fühlt sich schlecht an. Bald soll der Tag kommen, an dem das Auto an meinem Wohnort in München nicht mehr überall hinfahren darf. Das fühlt sich auch schlecht an.

Dabei habe ich mich nie bewusst für einen Diesel entschieden. Mir sind Autos eher egal. Benzin oder Diesel? Keine Ahnung. Als ich 2013 einen Wagen suchte, gebraucht natürlich, verkaufte gerade der Freund eines Freundes diesen VW Touran. Baujahr 2003, 70 000 Kilometer, Zustand gut. Preis okay. Der Gedanke kam: Bevor ich mich tagelang durch die Internet-Gebrauchtwagen-Angebote kämpfe, Preise vergleiche, Testfahrten mache - nimm diesen.

Nach Fahrverbots-Urteil: Der VW Touran unseres Autors: Baujahr 2003, Diesel, Euro-4-Abgasnorm.

Der VW Touran unseres Autors: Baujahr 2003, Diesel, Euro-4-Abgasnorm.

(Foto: Thomas Hummel)

Ich habe gelernt, dass der VW Touran eine Abgasnorm namens Euro 4 besitzt - und dass diese eher schlimmer als schlimm ist. Es sind vermutlich genau die Autos, die man als Radfahrer im Winter auch schmecken kann. Sie schalten bei kalten Temperaturen ihre Abgasreinigung automatisch ab, um angeblich den Motor zu schonen. Wer auf dem Fahrrad neben oder hinter diesen Autos fährt, der hat bald einen süßlich stechenden Geschmack im Mund und neigt ständig dazu, ihn auszuspucken. Fahre ich in meinem Touran nun an einem Radfahrer vorbei, denke ich: 'Halt die Luft an, bis ich weg bin'.

Es ist verwunderlich, was rund um die Diesel-Abgasaffäre geschieht. Wer hätte für möglich gehalten, dass deutsche Automobilkonzerne mithilfe deutscher Zuliefer-Firmen eine Software entwickeln, um heimlich die Abgaswerte zu manipulieren? Kürzlich hat das Bundesverwaltungsgericht den Weg frei gemacht für Fahrverbote in Innenstädten. Aus vielen Kommunen heißt es, ohne die Aussperrung der älteren Dieselautos seien die Grenzwerte der Schadstoffe nicht einzuhalten. Es trifft wohl zuerst Wagen mit den Normen Euro 4 und schlechter. Laut Kraftfahrtbundesamt waren Anfang 2017 (neuere Zahlen gibt es nicht) 6,3 Millionen dieser Fahrzeuge angemeldet. Mehr als sechs Millionen Menschen plus Anhang wissen, dass ihr Wagen keinen Rosenduft hinten rausbläst. Aber sie hatten doch die Vorstellung, dass ein in Deutschland zugelassenes Automobil nur so viele Schadstoffe produziert wie vom Hersteller angegeben. Sie haben darauf vertraut, dass die Abgase in Ordnung gehen. Die Entscheidung des Gerichts ist der letzte Beweis, dass dies nicht der Fall ist.

Angelogen, hintergangen, über den Tisch gezogen

VW hat mich als Kunden angelogen und hintergangen. Und das auf mehreren Ebenen. Mir ist es nämlich keineswegs egal, wenn ich mit meinem Verhalten die Luft in meiner Heimatstadt unangemessen verpeste. Mir ist es auch nicht egal, das mein zugegeben älteres Fahrzeug nun fast nichts mehr wert sein soll. Und was sagt die Auto-Industrie dazu? Zusammengefasst: 'Die Besitzer dieser alten (von uns verkauften) Dreckschleudern sollen sich doch bitte bei uns ein neues, sauberes Auto kaufen. Wir geben auch ein bisschen Rabatt.'

Wäre es nicht so empörend, man müsste auflachen. Man staunt über diese Dreistigkeit. Aber doch, tatsächlich: VW-Chef Matthias Müller, der Chef des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, sein Vorgänger Matthias Wissmann, Audi-Chef Rupert Stadler et cetera - all diese Chefs sprechen sich dagegen aus, die bereits verkauften Autos so nachzurüsten, dass sie die Schadstoffwerte einhalten, wie auf dem Papier versprochen. Es heißt, ihre Ingenieure sollen lieber die Zukunft gestalten, nicht die Vergangenheit aufarbeiten. Ob eine Umrüstung meines VW Touran überhaupt möglich ist, ist eine andere Frage. Aber sogar bei Euro-5-Wagen, die teilweise nicht einmal drei Jahre alt sind, weigert sich die Industrie.

Einlullen per Weichspüler-Rhetorik

Angesichts dieser Unverschämtheit steht einem der Mund offen und man sucht einen Volksvertreter, der den grauen Herren mal sagt, was Sache ist. Aber auch hier: Fehlanzeige. Manch einer redet der Industrie ins Gewissen. Weil das zahnlose Kraftfahrtbundesamt die Wagen zugelassen hat, ist wohl rechtlich nichts auszurichten. CDU? CSU? FDP? AfD? Viele von der SPD? Selbst Teile der Grünen? Nichts. Stehen alle auf der Seite der Autokonzerne und versuchen mich mit Weichspüler-Rhetorik einzulullen.

Da sitzt zum Beispiel Bernd Althusmann in der TV-Sendung Maybrit Illner. Der CDU-Mann ist stellvertretender Ministerpräsident in Niedersachsen und gleichzeitig als Aufsichtsrat bei VW tätig, was in diesem Fall eine toxische Mischung ist. Augenscheinlicher kann ein Interessenkonflikt gar nicht sein. Kümmert er sich nun um mein Interesse als einer von sechs Millionen betrogenen Dieselfahrern? Oder um VW? Er und der Auto-Lobbyist Mattes werden vom Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, an die Wand argumentiert, weil die Schweinerei einfach zu offensichtlich ist. Als Althusmann nicht mehr weiter weiß, kommt das Totschlag-Argument: "Ich darf mal darauf hinweisen, dass an der deutschen Autoindustrie Millionen Arbeitsplätze einschließlich der Zulieferer hängen."

Autos nachrüsten? Lieber Dividende erhöhen!

Das ist völlig richtig. Auch in meiner Familie und im Bekanntenkreis sind einige von der Autoindustrie abhängig. Die schütteln oft selbst den Kopf und bangen, weil ihre Chefs so einen Mist bauen. Doch geht es wirklich um deren Arbeitsplätze? VW hat für 2017 einen Rekord-Reingewinn von 11,4 Milliarden Euro eingefahren. Statt mit einem Teil des Geldes die Lügenautos nachzurüsten, hat der Konzern die Dividende für seine Aktionäre fast verdoppelt. Was zum Beispiel dem Land Niedersachsen einen Geldsegen einbringt, weil dies 11,8 Prozent der Aktien hält. Das kommt dem Politiker Althusmann gelegen. Den Vorständen und Führungskräften sowieso, deren Boni bestimmt nicht kleiner werden dadurch.

Ich kann mich nicht erinnern, dass je ein Teil der Manager- und Politiker-Kaste des Landes so gegen jede Moral und Sinn für Gerechtigkeit verstieß. Das Kinn nach vorne streckt und sagt: 'Es ist uns egal, dass wir euch belogen haben - wir machen die Regeln, wie es uns gefällt.' Und warum machen sie das? Weil sie niemand daran hindert und offenbar niemand hindern kann.

Werde ich einen neuen Wagen kaufen?

Offenbar rechnen Industrie und Politiker damit, dass die Menschen einfach weiterhin Autos kaufen. Weil sie das schon immer getan haben. Meine Existenz hängt nicht am Auto, weder beruflich noch privat. Auf den zwölf Kilometern zum Arbeitsplatz ist der Münchner Stau oft nervtötend und zeitraubend, mit Rad oder Bahn geht es schneller. Doch es ist praktisch, mit dem eigenen Fahrzeug bei Bedarf von A nach B fahren zu können. Sei es zum Sportklub, in den Urlaub oder um schwere Sachen zu transportieren.

Mein Euro-4-Stinkerdiesel hat sich irgendwann erledigt - werde ich dann einen neuen Wagen kaufen? Gar einen VW, weil der Freund eines Freundes einen günstig verkauft? Vielleicht auch noch einen Diesel? Unvorstellbar momentan, aber wer weiß. Dafür lieber einen Benziner? Einen Hybrid? Ein Elektroauto? Oder doch Carsharing? Eines erscheint nach dieser Affäre sicher: Ich werde zum ersten Mal länger darüber nachdenken, welches Auto ich fahren will. Und wem ich noch vertrauen kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: