Nach den Kälte-Pannen:Eurostar-Verkehr ausgesetzt

Imageschaden für den Eurostar: Nachdem Züge unter dem Kanal stecken blieben, müssen 60.000 Kunden umbuchen.

Die Pannenserie im Tunnel unter dem Ärmelkanal hat fast 60.000 Menschen das letzte Adventswochenende gründlich verdorben. Am Samstag saßen mehr als 2000 Reisende stundenlang in liegengebliebenen Hochgeschwindigkeitszügen mitten im Tunnel hilflos fest. Eurostar stellte den Betrieb vorerst komplett ein. Auch am Montag werden keine Züge mehr zwischen England und Frankreich verkehren. Bis Weihnachten rechnet das Unternehmen mit Nachwirkungen.

AFP, London St Pancras, Eurostar, Claudia SChiffer

Passagiere, gestrandet im Londoner Eurostar-Terminal St. Pancras.

(Foto: Foto: AFP)

Erschöpfte Reisende berichteten von chaotischen Zuständen und panischen Menschen in den gestrandeten Zügen. Grund für die Pannen, von denen sechs Eurostars betroffen waren, war der starke Temperaturanstieg bei der Einfahrt eiskalter Züge in den warmen Tunnel. Dadurch bildete sich außergewöhnlich viel Kondenswasser, das wichtige elektronische Teile lahmlegte.

Bis zum 26. Dezember sollen nun keine Tickets mehr verkauft werden. Am Sonntag gab es nur Testfahrten mit leeren Zügen, um die technischen Probleme zu untersuchen.

Mit einem Sondertransport wurden 500 festsitzende Menschen - vor allem Ältere und Familien mit Kindern - aus London zurück nach Frankreich gebracht. Allerdings nicht durch den Tunnel, sondern mit Hilfe von Bahn, Bussen und Fähren.

In der Nacht zum Samstag hatten manche Eurostar-Reisende über 15 Stunden im Kanaltunnel festgesessen. Vier Hochgeschwindigkeitszüge waren liegengeblieben, ein fünfter konnte die Röhre nur langsam durchfahren. Ein sechster - eingesetzt als Sonderzug - hatte am Samstag Probleme, kurz nachdem er den Tunnel verlassen hatte.

Eurostar-Chef Richard Brown versprach, die Betroffenen zu entschädigen. "Es ist sehr kalt draußen, aber im Tunnel sind es 25 Grad und es gibt eine hohe Luftfeuchtigkeit. Das ist, als ob sie eine Bierflasche aus dem Kühlschrank in einen warmen Raum bringen, da entsteht viel Kondenswasser", erklärte er die technischen Probleme.

Neben den technischen Problemen mit den hochmodernen Zügen entsteht der Betreibergesellschaft wohl ein enormer Imageschaden. Fahrgäste beschwerten sich massiv über mangelnde Information und Hilfe. Einige mussten im Dunkel ein Stück durch den Tunnel laufen, Augenzeugen berichteten von Panikattacken.

Lee Godfrey war mit seiner Familie unterwegs. "Wir waren ohne Strom. Uns sind das Wasser und das Essen ausgegangen. Und die Informationen des Personals waren ziemlich schlecht", sagte er. Kinder hätten auf den Gängen geschlafen, manche Menschen Panikattacken gehabt.

Enormer Imageschaden

Man habe sie völlig sich selbst überlassen, schimpfte auch die Reisende Alison Sturgeon. "Die Zustände im Zug waren furchtbar. Wir haben wie Landstreicher auf dem Fußboden auf Zeitungen geschlafen, und niemand wusste, was los war." Ihr Mann Steven sagte, zwei Londoner Polizisten außer Dienst hätten den Leuten geholfen, nicht den Mut zu verlieren. Vom Eurostar-Personal habe sich niemand blicken lassen.

Der französische Europaabgeordnete Dominique Baudis sagte, die Reise von Paris nach London habe fast 13 Stunden gedauert. Die Hälfte davon habe er in einem liegengebliebenen Zug verbracht. Man habe die Leute ohne Wasser und ohne Informationen gelassen, sagte er dem Rundfunksender France-Info. Auch um die am meisten auf Hilfe angewiesenen Passagiere habe sich niemand gekümmert. "Da waren so viele Kinder an Bord, kleine Kinder, einige nur wenige Monate alt. Es waren auch viele ältere Leute in Schwierigkeiten. Es ist absolut unvorstellbar."

Peinlich berührt bat das Eurostar-Management um Entschuldigung. "Eurostar tut es sehr, sehr leid, dass so viele Fahrgäste letzte Nacht und diesen Morgen in Unannehmlichkeiten waren", sagte Firmenchef Brown. "Wir arbeiten hart daran, die Fahrgäste nach Hause zu bringen." Die Reisenden sollen eine Entschädigung von 150 Pfund (170 Euro) und ein kostenloses Ticket erhalten, außerdem wird ihnen der Fahrpreis erstattet.

Stundenlange Staus in Dover und Calais

Selbst nach der Evakuierung aus dem Tunnel war die Kälte-Odyssee für etliche Reisende noch nicht vorbei. Mehrere beschwerten sich, dass Eurostar keine Weiterreise für sie arrangiert habe; stundenlang hätten sie auf südenglischen Bahnhöfen auf die Weiterfahrt nach London warten müssen.

Das Eurostar-Desaster hatte auch für Fahrer, die den Autozug durch den Tunnel benutzen wollten, unangenehme Folgen. In Südengland standen viele zwölf Stunden im Stau; Rot-Kreuz-Helfer verteilten warme Getränke. Die Verkehrsbehinderungen betrafen den Raum Dover und Folkestone ebenso wie Calais in Frankreich.

Es war nicht die erste Panne unter dem Ärmelkanal: Bereits im Februar hatten Passagiere stundenlang in blockierten Eurostar-Zügen zwischen London und Paris festgesessen, weil außergewöhnliche Schneefälle die Funktionsfähigkeit der Züge beeinträchtigt hatten. Im Herbst 2008 wurden bei einem Brand 14 Menschen verletzt. Zwei Wochen später blieb ein Eurostar mitten im Tunnel stehen geblieben.

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