Süddeutsche Zeitung

Musik im Auto:Orchester im Käfig

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Moderne Soundsysteme sind auf dem besten Weg, das Auto zum Konzertsaal zu machen, doch der Aufwand ist immens.

Joachim Becker

Türen schließen, anschnallen und bitte Ruhe im Auditorium. Es soll ja Leute geben, die wegen des Motorsounds Auto fahren. Nicht wenige Fahrer genießen die Stunden unterwegs aber auch als symphonische Reise durch die Klangwelten ihrer Wahl.

Doch alles Schwärmen hilft nichts: Phonzahlen lassen sich zwar wie PS-Werte addieren. Der Vergleich eines Autos mit einem rollenden Konzertsaal wird aber nicht dadurch richtiger, dass er häufig wiederholt wird.

In Wirklichkeit sind Autos ein Albtraum für Hi-Fi-Experten. Scheiben und harte Plastikoberflächen reflektieren den Schall besonders stark, während die Sitzpolster wie Dämmmatten jeden Ton tendenziell verschlucken. Je kleiner ein Fahrzeug ist, desto wilder klingt der Mischmasch aus Musik und Reflexionen des Interieurs. Da sollte man besser einen guten Kopfhörer aufsetzen, wenn es die Polizei erlauben würde.

Audiophile Genussmenschen lösen das Problem auch nicht durch einen Technik-Overkill im Innenraum. Herzstück des Advanced Sound Systems im neuen Audi A8 sind beispielsweise zwei Verstärker mit mehr als 1400 Watt Gesamtleistung. Weil schon dieser Teil des Soundsystems viel Platz in Anspruch nimmt und bei voller Belastung tüchtig Wärme abstrahlt, wird er wie die meisten anderen Infotainment-Komponenten aus der Armaturentafel in die Fondlehne verbannt.

Digitale Endstufen steuern über 19 Kanäle ebenso viele Lautsprecher an, die sich überall in der Luxuslimousine verstecken. Beim Start der Anlage fahren akustische Linsen links und rechts aus der Versenkung im Armaturenbord empor. Viel theatralischer wirken auch viele Heldenauftritte in den Singspielen Richard Wagners nicht. Doch die hochgerüsteten Hochtöner können auch im Zusammenspiel mit einer Bassbox im Heck die räumliche Klangtiefe eines Konzerthauses nicht wirklich kopieren.

Wie nahe kann der Highend-Sound in neuen Modellen wie dem Audi A8, BMW Siebener oder Porsche Panamera der Wirklichkeit von Aufnahmen kommen? "Wir nähern uns der Sättigungskurve bei der klanglichen Optimierung, die Luft nach oben wird immer dünner", sagt Denis Credé nicht ohne hinzuzufügen: "Wenn Kunden das Auto mit dem Advanced Sound System bestellen, bekommen sie die besten Lautsprecher, die es gibt", so der Leiter der Soundentwicklung bei Audi. Und weiter: "Bei vielen von ihnen bestehen die Membranen aus Glasfaserverbundmaterial, ihr Klangbild ist sehr natürlich und linear."

Der pure Klang wäre zumindest im Lautsprecher technisch machbar, sei aber gar nicht erwünscht, geben die Wohltonexperten aus Ingolstadt zu: "Ein linearer Frequenzgang im Auto wäre langweilig", erklärt Credé, "der enge Innenraum erlaubt es dem Schall nicht, sich auszubreiten wie im Wohnzimmer. Deshalb muss man die tiefen Frequenzen in gewissem Umfang überhöhen."

Disco-Freunde und Hard-Rocker wird das Soundtuning nicht stören, denn sie lieben Basswummern mit metallisch harten Obertönen. Klassikfreunden und Fans von Live-Mitschnitten aus verwinkelten Jazzkellern bereitet der Feinschliff im Soundprozessor schon eher Kopfzerbrechen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn das menschliche Ohr lokalisiert sehr genau die verschiedenen Schallquellen im Raum.

Ein Klangbrei mit widersprüchlichen Ortsinformationen bereitet subtilen Stress beim Hören. Je mehr von der Original-Räumlichkeit in einer Aufnahme zu hören ist, desto ärgerlicher sind die Reflexionen im mobilen Abhörraum. Gerade im mittleren Tonbereich überdecken die Autoeinbauten viele Klangnuancen: Der Hall bei einem Orgelkonzert in einer gothischen Kathedrale klingt dann leicht synthetisch und die Musiker eines Symphonieorchesters scheinen alle an der gleichen Stelle im Raum zu fideln, blasen und zu pauken.

Das soll Car-Hi-Fi der absoluten Spitzenklasse sein, fragt sich der geneigte Hörer und zweifelt an dem Sinn der Sonderausgaben in Höhe von rund fünftausend Euro aufwärts. Schon das erste Autoradio Europas war vor knapp 80 Jahren ein Statussymbol im Range eines Achtzylindermotors. Nur Wohlhabende konnten sich damals den 15 Kilo schweren Apparat im Format eines Schuhkartons leisten, der große Teile des Knieraums auf der Beifahrerseite belegte.

1932 kostete das Autosuper AS 5 von Blaupunkt 465 Reichsmark - für den dreifachen Preis gab es bereits einen Neuwagen. Die Musikmaschine gegen das nervende Pfeifen des Fahrtwinds fand insgesamt nur 400 Käufer. Im Zeitalter der kompakten digitalen Massenspeicher hat das Highend-Hörvergnügen heute wesentlich mehr Freunde: Das Advanced Sound System im A8 und im Q7 erreichte bisher Bestellraten von mehr als zehn Prozent - Tendenz weiter steigend.

Der mobile Mensch steht immer länger im Stau. Deshalb hat er mehr Zeit, den "akustischen Spaßfaktor" zu genießen, von dem Soundentwickler in der klanglich beengten Kompaktklasse euphemistisch sprechen. Damit der Klangbrei ein Ende hat, verfolgen Audi-Entwickler einen radikal neuen technischen Ansatz. Das Audi Sound Concept folgt dem Prinzip der sogenannten Wellenfeldsynthese: Eine starke Schallwelle aus größerer Entfernung lässt sich nachbilden, indem man viele kleine Schallquellen dicht nebeneinander entlang der Wellenfront platziert.

Ende der achtziger Jahre setzten niederländische Wissenschaftler das Prinzip erstmals in die Praxis um. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT in Ilmenau arbeiten seit fünf Jahren mit Audi an der automobilen Umsetzung. Die Klangprofis spickten einen Audi Q7 mit 62 Lautsprechern, meist Mitteltönern, die im Abstand von zehn Zentimeter wie ein Band rund um die Passagiere laufen. Mehr Schallquellen passen definitiv nicht in einen normalen Innenraum.

Erliegen die Soundexperten jetzt endgültig dem audiophonen Größenwahn? Bei der ersten Hörprobe in dem umgerüsteten Geländegänger verfliegt jede Skepsis sofort. Tatsächlich genießen die Passagiere auf jedem Sitzplatz das gleiche, verblüffend natürlich wirkende akustische Raumgefühl. Bei einem Symphoniekonzert löst sich der Klang von den einzelnen Lautsprechern und steht mit brillanter Klarheit und der wünschenswerten Differenzierung frei im Raum.

Im Audi- Versuchswagen kann jeder Laie hören, dass Töne im Idealfall immer eine Ortsinformation transportieren. Den gleichen Effekt versuchen auch Surround-Soundsysteme zu simulieren, doch deren Lautsprecher sind meist zu groß oder zu weit voneinander entfernt, um eine einheitliche Wellenfront zu erzeugen. Nur wenn sich die Signale der einzelnen Boxen exakt überlagern, sitzt niemand mehr zu nahe am rechten oder linken Lautsprecher.

Der technische Aufwand für den perfekten Klang-Kokon ist noch immens. Ein mächtiger Verstärker nimmt einen Großteil des Q7-Gepäckraums ein, dicke Kabel verbinden ihn mit drei PCs. Die Computer müssen digitale Musikaufnahmen dekodieren, um die 62 Lautsprecher mit den jeweils passenden Signalen zu beaufschlagen. Möglicherweise ist ein weiterentwickeltes System bis zur nächsten Q7-Generation in rund drei Jahren serienreif. Dann könnte es sein, dass Kunden ihre Hi-Fi-Anlage zu Hause verkaufen und freiwillig einen Umweg fahren, um eine CD genüsslich zu Ende zu hören.

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Quelle:
SZ vom 28.06.2010
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