Muscheln am Schiffrumpf:Abwasch unter Wasser

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Mit neuartigen silikonhaltigen Anstrichen wird an Schiffen der Befall von Muscheln und Seepocken gestoppt und so der Treibstoffverbrauch gesenkt. Der Markt boomt.

Frank Behling

Als die Ölkrise Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den Tankermarkt wieder aus ihrem harten Griff entließ, hatten viele Schiffe ein Problem. Nach Jahren der Liegezeit in der Geltinger Bucht brauchten die Kapitäne vor allem eins: Viel Geduld. Im Schneckentempo schlichen die Kolosse damals davon. Ursache waren dicke Schichten mit Muscheln und Seepocken. Dieser dicke Bart war während der jahrelangen Liegezeit unter Wasser gewachsen.

Die Natur grüßt: Was am Schiff unter Wasser liegt, wird schnell von Muscheln und Seepocken überzogen. (Foto: dpa/WWF)

Der Kampf gegen den Befall ist so alt wie die Schifffahrt selbst. Seit es Stahlschiffe gibt, sind die Hersteller von Farben der beste Freund der Reeder. Immer wirkungsvollere Mittel wurden zu immer giftigeren Antifouling-Anstrichen gemixt. Die Folgen waren in den achtziger Jahren erkennbar. Die Belastungen im Wasser der Häfen stiegen, Fischer klagten über Fangausfälle, und Toxikologen fanden in Fischen einen wahren Giftcocktail. Besonders unter den Docks vieler Werften wurden bei Baggerungen Bodenproben gezogen, die vor Schwermetallen geradezu strotzten.

Heute ist die Bekämpfung der Plage unter Wasser genauso wichtig - aber nicht mehr giftig. "Besonders im Herbst und Frühjahr gedeiht der Bewuchs hier in Nordeuropa am besten. Wenn das Wasser kühler wird, wachsen die Muscheln in wenigen Tagen", sagt Martin Gosch, Betriebsleiter der Lindenau Werft. Heute kann er ohne Mundschutz durchs Dock gehen.

Die einst auf Doppelhüllentanker spezialisierte Werft hat nach der Wirtschaftskrise wieder im Reparaturmarkt Fuß gefasst, ein Geschäft, das krisenfest ist. Das Reinigen der Schiffsrümpfe ist auch in der Neuzeit für Schiffe ein jährliches Muss. Das Schwimmdock der Werft ist wieder ständig gefüllt. Gearbeitet wird heute jedoch im Einklang mit der Umwelt.

Lange galten Anstriche mit Tributylzinn (TBT) als die chemische Keule gegen alles, was sich Rümpfen nähert und anhaften möchte. Algen, Seepocken und Muscheln wurden von dem hochgiftigen Farbmix abgehalten. Seit 2003 dürfen nur noch biozidfreie Anstriche verwendet werden. Die Farbindustrie hat das Problem erkannt und neue Produkte auf den Markt gebracht. Die Ablösung der TBT-Anstriche erfolgte durch synthetische Polymere.

Was Säuglingen in Schnullerform Beruhigung bringt, Handwerkern beim Fugendichten hilft und Frauen an ausgewählten Körperstellen zu mehr Kontur verhilft, taugt auch Schiffen zur Muschelabwehr. Seit Chemiker entdeckt haben, dass Silikon in Ölform in Schiffslacke gemischt werden kann, boomt der Markt.

Immer mehr Reedereien wählen die neuen Silikon-Farben, deren genaue Zusammensetzung die Hersteller hochheilig hüten. Nur so viel ist bekannt: Der Farbe beigemischte Silikonöle dienen als Weichmacher in der Beschichtung und sorgen für eine Antihaft-Wirkung. Wächst eine Muschelkultur an der Bordwand, löst sich während der Fahrt einfach eine hauchdünne Farbschicht mitsamt den Muscheln ab.

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Wegen sinkender Frachtraten werden immer mehr Schiffe verschrottet - neue Regelungen sollen dabei international die Umwelt schützen.

Die meisten Schiffsfarben sind an die technischen Überwachungsintervalle der Schiffe angepasst und haben eine Wirksamkeit von maximal fünf Jahren. Danach muss ein Schiffsanstrich aufgrund der Abnutzung sowieso erneuert werden. Die Wirkungsweise der neuen Farben ist simpel: Das Silikon verringert die Adhäsionsfähigkeit der Muschel, der Bewuchs kann sich an der Oberfläche des Anstrichs nicht festsetzen. Sobald das Schiff Fahrt aufnimmt, wird die Muschel mitsamt einer hauchdünnen Oberflächenschicht der Farbe einfach abgewaschen.

Optimal funktioniert dies laut Herstellerangaben bei einer Geschwindigkeit von mehr als 15 Knoten (27,8 km/h). Schon nach wenigen Stunden Fahrt sind die Muscheln ab. Von langsameren Schiffen lässt sich der Bewuchs bei einer jährlichen Dockung mit Wasserdampf leicht abwaschen. In vielen Häfen gibt es auch mechanische Reinigungsgeräte, die wie Staubsauger an der Bordwand der Schiffe entlangfahren.

Die Umstellung auf die Silikonanstriche hat aber auch weitere Vorteile. So hat die Rostocker Reederei Aida festgestellt, dass sich damit der Treibstoffverbrauch um etwa drei Prozent senken lässt. Die Reibung des durchs Wasser gleitenden Rumpfs wird durch die Silikonanstriche verringert. 2007 startete Aida mit der Aidacara ins Silikonzeitalter. 4200 Liter wurden an der Aidabella in vier Schichten auf den Rumpf aufgetragen.

Aber auch die Reedereien Costa, MSC und Tui Cruises haben ihre Kreuzfahrtschiffe inzwischen mit diesen Anstrichen versehen lassen. Kreuzfahrtreedereien sind bei diesem Thema die Vorreiter, da sie das saubere Image als Werbefaktor nutzen. Aber auch Containerschiffe, Megayachten und sogar Rettungskreuzer oder Polizeiboote setzen auf siliconhaltige Anstriche.

Um Spätfolgen wie beim TBT zu verhindern, hatte 2007 das Umweltbundesamt in einer Studie die Unbedenklichkeit des Anstrichs untersuchen lassen und grundsätzlich keine Einwände für den Einsatz von Silikonöl in Schiffslacken geltend gemacht.

Ein willkommener Nebeneffekt dieser Anstriche ist die Reduzierung der biologischen Invasion. Durch Abwaschen der Anhaftungen wird auch das unbeabsichtigte Einschleppen fremder Organismen in andere Ökosysteme verringert. Blinde Passagiere können so nicht mehr so einfach von Kontinent zu Kontinent mitreisen.

© SZ vom 21.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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