Motorräder 2010:Hart an der Grenze

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Motorräder faszinieren noch immer, doch der Bogen der Gestaltung ist vielfach längst überspannt: eine Designkritik.

Peter Naumann

Peter Naumann ist Dekan der Fakultät Design der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München.

Motorräder 2010
:Was das Manga-Comic hergibt

Motorräder faszinieren noch immer, doch der Bogen der Gestaltung ist vielfach längst überspannt: eine Designkritik.

Die These scheint verwegen zu sein: Damit Kunst und Technik keine auf ewig getrennte Pole bleiben, wurde das Motorrad erschaffen und visualisiert seit seiner Erfindung zu Beginn der Industrialisierung den technischen Fortschritt. Folgerichtig strebt also die sichtbare mechanische Konstruktion von jeher eine ästhetische Komposition an.

Als 1998 das Guggenheim-Museum die Ausstellung "The Art of the Motorcycle" zeigte, hatte sich das Motorrad längst zum Fetisch gewandelt. Seitdem werden immer neue Typologien kreiert - nicht zuletzt, um in einem müde werdenden Markt neue Impulse zu setzten.

Um sich hier zurechtzufinden, hat das Design die Verantwortung für die Unverwechselbarkeit übernommen. Dass dabei der berühmte Satz "form follows function" durch "form follows emotion" ersetzt wurde, hat dem Typus Motorrad aber nicht wirklich gut getan.

Besonders bei den Supersportlern findet sich heute eine wilde Mixtur aus animalischer Aggressivität, gepaart mit allem, was das Manga-Comic hergibt. Dabei scheinen Designer Getriebene zu sein, denen immer noch Extremeres und Futuristischeres einfallen muss. So würde beispielsweise die neue Kawasaki Ninja ZX-10R gerne alle physikalischen Gesetze Lügen strafen und sich am liebsten gleich in einen Transformer verwandeln.

Die Frage stellt sich, welche Steigerung da noch möglich ist? Motorräder werden vielfach allein durch Leistungsdaten definiert, das Design liefert die dynamisierende Verpackung. Plastik sei Dank, sind im Prinzip alle Formspielereien möglich. Das Ergebnis ist Mainstream, der das Markenemblem zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal befördert.

Dass es im Bereich der sportlichen Motorräder auch ganz anders geht, zeigt MV Agusta, die Kultmarke aus Varese. Mit der neuen F3 ist ein Meisterwerk aus Technik und Design gelungen - jedes Detail ist aus seiner Funktionalität herausgeschält und auf äußerste Reduktion getrimmt, alles erklärt sich von selbst und fügt sich zu einem harmonischen Ganzen, der filigrane Körper der Maschine scheint auf dem Triebwerk zu schweben.

Horex VR6
:Neustart einer Legende

Die deutsche Traditionsmarke Horex soll wiederbelebt werden. Einen smarten Roadster-Prototypen mit Sechszylindermotor gibt es schon mal - entworfen von einem Münchner.

In Bildern.

Das Ergebnis ist eine ungeheuer wertvolle Anmutung, die Leidenschaft, Eleganz und den Schuss Erotik vermittelt, der einem italienischen Motorrad gebührt. Letztlich gelingt hier alles, was gutes Motorraddesign ausmacht - nämlich die Verschmelzung von Mensch und Maschine, wie sie so unmittelbar nirgendwo sonst zu finden ist. Alle Komponenten - Räder, Motor, Rahmen, Verkleidung, Sitzbank, Scheinwerfer - wirken als Ensemble und sind fein abgestimmt, um die gewünschte Harmonie zu erreichen.

Gestalterisch besonders schwierig wird es, geht es um die großen Tourenmaschinen. Genannt sei die neue BMW 1600 GTL, die mit ihren sechs Zylindern sowie viel luxuriöser Ausstattung schon fast dem Automobil verwandt ist. Die Designer zeigen hier die große Kunst, die propere Figur schlank und dynamisch wirken zu lassen.

So sind die Verkleidungsteile scharf geschnitten, geschickte Farbkontraste kaschieren die Problemzonen. Besonders auffällig ist die Front der Maschine: Das neuartige Scheinwerfersystem trennt die beiden Seitenverkleidungen und täuscht so raffiniert über die schiere Breite des Tourers hinweg.

Gedacht sind diese übergroßen Reisemaschinen wohl eher für den amerikanischen Markt und die dort üblichen Distanzen. Und in der Heimat von Harley Davidson geht es ohnehin etwas gemächlicher zur Sache. Eines der neuesten Pferde im Stall von Harley ist die minimalistisch gezeichnete Sportster Forty-Eight.

Hier verdichten sich Strömungen, die viel von dem zeigen, was Motorradfahrern heute am Herzen liegt. Denn es geht um all das, was Motorradfahren im Kern ausmacht. Man besinnt sich auf Werte, die das archaische und pure Motorradfahren beschwören. Minimalistisch, klar und radikal. Authentisches Motorradfahren ohne Schnickschnack und Heizdecke.

Der Weg ist das Ziel. Der Geist legendärer Filme aus dem Hollywood der fünfziger und sechziger Jahre steigt auf - Marlon Brando, James Dean und Steve McQueen standen und stehen für das Rebellische und Freiheitsliebende, symbolisiert durch ihre Motorräder. Und diese Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer trägt viele Geschichten, in denen Motorräder eine wichtige Rolle spielen.

Überraschenderweise schickt sich ausgerechnet Ducati an, dem American Way of Life einen ganz neuen Entwurf gegenüberzustellen. Denn das Muscle-Bike Diavel ist eine Mischung aus Cruiser und Sportler, hier hat der Machismo voll zugeschlagen. Von 162 PS bis hin zum 240er-Hinterradschlappen strotzt alles vor überbordender Potenz.

Im Kontrast zu den gestalterischen Leckerbissen einer 848 Evo haben die Designer von Ducati einen brutalen Weg eingeschlagen. Das Kraftwerk wird mit einer schwungvollen Linie vom Scheinwerfer bis zum Heck überspannt und von dem markentypischen Gitterrohrrahmen zusammengehalten. Spannend sind auch die vielen ganz neuen Detaillösungen wie die Halterung des Nummernschilds und die ungewöhnlichen Blinker.

Wie bei Ducati suchen Designer und Marketingstrategen der wenigen noch existierenden Motorradmarken nach der Nische in der Nische. Neudeutsch heißt das dann Crossover und vereint die Merkmale gegensätzlicher Motorradtypen. Der Crossrunner von Honda fällt unter diese Rubrik. Und die Idee, ein Naked Bike mit einer Enduro zu kreuzen, hat zu einem merkwürdig barocken Resultat geführt. Denn die Möglichkeiten moderner Designentwicklung lassen heute jeden Wunsch in Erfüllung gehen.

Allerdings sollte nach wie vor die berühmte Formel "Weniger ist mehr" gelten. Der Designprozess besteht nach wie vor aus einer kunstvollen, zeichnerischen Phase und einer immer aufwendigeren analogen und digitalen Modellentwicklung. High-End-Computersoftware ermöglicht dabei, komplexeste Geometrien in den Griff zu bekommen. Die besondere Herausforderung ist dabei, dem Alles-ist-möglich zu widerstehen und das Produkt nicht kaputtzuzeichnen.

Kawasaki ZX-6R Ninja
:Am Rande des Gesetzes

Kawasaki ist mit der ZX-6R Ninja eine unverschämt muskulös anmutende Superrennmaschine gelungen.

Heute stellen sich die Märkte als schwierig dar, denn Motorradfahrer sind eine seltene Spezies geworden. Typisch sind ihr reifes Alter und die grauen Schläfen. Oftmals verständnislos beobachten wohltemperierte Autofahrer die, die trotz Regens unterwegs sind. In einer Dekade totaler Absicherung und mindestens zehn Airbags erscheint die einspurige Fortbewegung als vollkommener Leichtsinn. Aber vielleicht ist gerade diese Verbindung von rationaler Technik und irrationaler Emotion die Qualität im Sein, nach der viele suchen.

Besonders leicht und handlich sind die Supermotos zu fahren, die von den Offroadmotorrädern abgeleitet wurden. Die aufrechte Sitzposition schafft optimalen Überblick und schont das Kreuz. Wendigkeit und Leichtigkeit sind wie geschaffen für den Großstadtdschungel. Die Zukunft zeigt hier KTM mit seinen Zero-Emission-Bikes. Die Österreicher setzen dabei mit Hilfe eines fragmentierten, auf Leichtigkeit getrimmten Designs auf eine Gestaltung, die dem elektrifizierten Fahrspaß entspricht.

Dabei fallen viele technische Komponenten, die für einen Verbrennungsmotor zwingend notwendig sind, einfach weg. So beginnt die Suche nach einer ganz neuen Designsprache ohne Auspuff, Kühler und Tank. Wie bei den Elektroautos besteht hier die Chance, einen vollkommen neuen Fahrzeugtypus zu definieren und den antriebstechnischen Paradigmenwechsel auch gestalterisch zu spiegeln.

Egal, ob nun Verbrennungs- oder Elektromotor - Motorräder faszinieren, sind etwas Besonderes, Leidenschaftliches, dem mit viel Liebe und Enthusiasmus begegnet wird. Leider ist bei der Gestaltung der Bogen vielfach längst überspannt. Was gefragt ist, sind klare Linien, puristische und charakteristische Optik ohne viel Firlefanz.

Dabei dürfen moderne Technik und Elektronik im Hintergrund ihr Werk verrichten und dem Genuss am Fahren unter die Arme greifen. Denn gutes Motorraddesign verbindet Klassisches und Modernes. Etwas, das ganz neu wirkt, das es aber schon lange gibt. Eine spannende Geschichte.

Aber das Einfache ist ja bekanntlich am schwierigsten.

© SZ vom 29.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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