Motorrad-Restauration:Neues Leben für tote Teile

Moto Guzzi Le Mans 850S

Die Moto Guzzi Le Mans von Jochen Wagner in voller Pracht.

(Foto: Jochen Wagner)

Die Moto Guzzi Le Mans war eine Jugendliebe. Doch irgendwann hing nur noch der Rahmen im heimischen Keller. Die Geschichte einer Restauration, die das Feuer neu entfacht.

Von Jochen Wagner

Der Lino-Tonti-Rahmen hing schon so lange von der Decke im Keller, dass ich automatisch den Kopf vor der Werkbank einzog. Bis die Kinder fragten: "Papa, was ist denn das?" Unwillkürlich erwachte die Erinnerung. Ja, die Le Mans Eins war eine göttliche Erscheinung!

Mittfünfziger werden sich erinnern. In den Sechziger- und Siebzigerjahren waren die V7 Sport, die 750 S beziehungsweise die S3 mit 742 Kubik die Sportmodelle von Moto Guzzi. Ab 1971 probierten es die Guzzista mit 838 Kubik. Gleich triumphierte der fliegende Adler vom Comer See, so das Wappen auf dem Tank, in Rennen wie Monza oder Le Mans.

Die erste Le Mans stahl auf dem Mailänder Salon 1975 allen PS-stärkeren Japanern die Schau. Zierlich und formvollendet betörte das rotschwarze Moped mit seinem Sound aus ungetüvten Lafranconis. Wir Fans lernten die raren Echos in der Motorradjournaille auswendig: Funktional ohne Firlefanz, Dampf von unten raus, Schutzgas-geschweißter Chrommolybdän-Rahmen aus stabilen Dreiecksverbänden, agil wie ein Tröpfchen Wasser - eine reine Fahrmaschine, rot, laut, schnell.

Abruzzen-Ponys vs. Reiskocher

Was habe ich gejobbt, auch heimlich statt Schule, narrisch vor Wunsch, diese mechanische Skulptur aus Anmut, Grazie und Kraft zu besitzen. Man sah ihr nicht an, was sie auf dem Asphalt alles vollstreckte. Erst haben die Spezl, die Hondas, Kawasakis, Suzukis oder Yamahas mit 100 PS beritten, den Betonmischer-90-Grad-V-Motor mit Abruzzen-Ponystärken bespöttelt. Bis wir mit 70 PS den wackeligen Reiskochern in der Pampa davon fuhren.

Es gehörten bald drei Le Mans, vom Raffael, Gustl und meine, zum Italo-Kern aus Aermacchi, Benelli, Ducati, Gilera, Laverda, Morini und MV (Bimota kam später) in der Stadt. Das war um 1976. All das zog nun wieder ins Gedächtnis. 

Kaum war der Rahmen vom Haken geholt, fanden sich in den Tiefen des Kellers zwei goldene Aluräder, 2,5 und 4 x 18 Zoll, von Arturo Magni, einst Mechaniker von Giacomo Agostini. Dazu zwei 300-Millimeter-Guss-Bremsscheiben, Bremszange hinten, Kupplungsgriff mit Spiegel, Getriebe, Antrieb, Kreuzgelenk, Sitzbank mit Stummellicht, Frontscheibe, Auspüffe, 40er-Dell'Orto-Vergaser, Nockenwellen, gequetschte Schwinge für dickere Gummis hinten, Paioli-Federbeine und eine Marzocchi-M1R-Gabel nebst CNC-Brücken aus einem früheren Projekt.

Ein Motor war schnell gefunden

Schon ab 1976 schacherte ich vorsorglich Teile für eine mögliche Kaltverformung des Juwels. Somit lag fast alles parat, darunter zig neue Lager, Simmerringe und Schrauben. Selbst der Valeo-Anlasser funktionierte noch. Fehlte nur das Herzstück. "Nen Motor kannste haben", klingelte mein Tübinger Studienfreund durch, "hab' eh noch drei". Zum Doppelzünder-Rundmotor - "offene Siebe, offene Rohre, das Tierle will atmen" - gesellten sich über diverse Quellen ein Tank mit Flugzeugverschluss und die raren Veglia-Instrumente: "Der weiße Drehzahlmesser, der Contagiri mit schwarzer Nadel und rotem Strich bei 8300/min, muss sein!"

Ein Oberbayer stiftete zwei 47er-Lenkerstummel, denn "damit ist gut Buckeln", ein fränkischer Angefressener zwei Seitendeckel. Wieder im früheren Kosmos der Maniacs eingetaucht, bescherte das Gespinst der Kontakte alles Fehlende: Scheinwerfer, LiMa-Deckel, Agostini-Motorentlüfter, leichtere Schwungscheibe, Kupplung mit stärkeren Nieten, 40er-Krümmer, Stucchi-Fußrasten. Bei der Elektrik und den P4-Bremszangen nebst 19er-Radialpumpe vorne nahmen wir modernes Fremdmaterial. Der Nachbar, auch ein Fan italienischer Bikes, schuf für ein Tragerl Bier die Adapter. Ein badischer Könner kürzte die Gabel und ihr Innenleben arbeitet jetzt sämig, wie die von einem fränkischen Meister renovierten Federbeine.

Beschäftigung für eine gesellige Schar

Der Rest der Arbeit bestand aus Zusammenschrauben und breiter Beschlappen, weiche 110er- und 150er-Gummis - "mer kaas au' iebertreibä", meinte mein Schwabe. Den Hauptständer hat eine gute Seele aufgeflext, geweitet und neu verschweißt, damit nichts schleift.

Einmal montiert, wurde die Le Mans wieder zerlegt. Chassis pulvern, Aufbauten lackieren, Rot mit schwarzem Finish, "bloß koa Chrom". Im Winter werkelte eine gesellige Schar, die Buben dazu. Tote Teile aus des Kellers Dunkel fügten sich zum formidablen Ganzen. Noch die Batterie anschließen, dann Herzklopfen: die Gemischanreicherer an den Dell'Ortos hoch, zweimal am Tommaselli-Gasgriff pumpen, Starterknopf drücken. Sie röchelt, pumpt, ein Rumms und sie poltert los, das Kippeln der längs liegenden Kurbelwelle inklusive. "Passt, wackelt und hat Luft!"

Intensive Erlebnisse mit der neuen Alten

Dass die 1977er-Le-Mans läuft, ist ein paar Helle wert. 948 Kubik dank geschmiedeter Mahle-Kolben, Köpfe, Kanäle, Quetschkante optimiert, 70 PS und 75 Nm auf dem Prüfstand am Hinterrad. Messwerte? Unwichtig! "Langt in'd' Haut nei!"

Intensive Erlebnisse im Stand und in Fahrt haften auf der seelischen Festplatte ewig. Die Einser Le Mans ist Jahrhundertkunst der analogen Welt. Einfach Mechanik, kein bereifter PC mit E-Helferlein.

Es war ein Fest und eine Meditation, mit den Spezln aus Nutzlosem wieder eine Traum-Vau zu machen. Die Guzzi ist ein Gedicht, optisch wie akustisch Poesie. Und nachhaltig: An der Decke hängt wieder ein Tonti-Rahmen, für einen Hunderter mit Brief. Nix Vintage - Futur pur!

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