Motorrad-Rennen auf der Isle of Man:Der Ritt auf der Rasierklinge

Halsbrecherisch: Seit 100 Jahren geht es bei der Tourist Trophy um Ruhm und Ehre. Und um Leben und Tod.

Richard Kähler

Man schrieb das Jahr 1904, als die ersten begeisterten Automobilisten sich auf den Weg zur Isle of Man machten - jener kleinen Insel vor der Westküste Englands, die etwas ganz Außergewöhnliches zu bieten hatte.

Isle of Man Tourist Trophy

Geheimtipps auf 60 Kilometern: Die besten Aussichtspunkte werden bei den Besuchern wie heiße Ware gehandelt. Schließlich will keiner die waghalsigen Manöver verpassen.

(Foto: Foto: dpa)

Schließlich war das Eiland seinerzeit der einzige Ort Großbritanniens, an dem der schnell wachsenden Zahl von Motorfahrzeug-Liebhaber erlaubt war, was sie so wahnsinnig gern wollten: auf öffentlichen Straßen privat um die Wette fahren und echte, ehrliche Straßenrennen austragen.

Drei Jahre später, 1907, wurde dann das erste Motorradrennen zwischen den immer zahlreicher werdenden Zweirad-Touristen aus dem reglementierten England gestartet - die Tourist Trophy, kurz: TT. Nun feiert das berühmteste Straßenrennen der Welt noch bis zu kommenden Wochenende sein 100-jähriges Jubiläum. Und das hat, wie alles, zwei Seiten.

Zehntausende, dicht an dicht

Auf der einen die nackten Fakten: Die Strecke misst gut 60 Alltagsstraßenkilometer, einmal im Uhrzeigersinn um die kleine Insel herum, durch Städtchen und Dörfchen, über Brücken und Berge, herum um 270 Kurven und entlang an Zehntausenden Zuschauern, die dicht an dicht den Stadt-, Dorf- und Landstraßenrand säumen.

Der erste TT-Sieger beeindruckte das staunende Publikum mit einem Schnitt von 66 km/h, heute liegt der Schnitt bereits bei Tempo 208. Und nur in einem dieser 100 Jahre gab es während der Renntage keinen tödlichen Unfall - das war 2001, als auf der Isle of Man die Maul- und Klauenseuche wütete und das Spektakel deshalb abgesagt werden musste.

Auf der anderen Seite, angesichts der ungebrochenen Faszination dieses weltweit spektakulärsten Biker-Events, geht es um große Gefühle. Um das Gefühl, das jeden Zuschauer bei diesen Kämpfen der ledergerüsteten Straßengladiatoren unwillkürlich beschleicht und allesamt in unserer Medienfake-Gesellschaft so ungewohnt echt ergreift - dass es hier wirklich um etwas geht.

So viel, wie Reifen und Nerven ertragen

Mit etwas Glück um Ruhm und Ehre, mit Pech um Leben und Tod. Denn dieser Insel-Rundkurs ist für die Hochbegabten auf zwei Rädern wie eine Befreiung aus dem alltäglichen und so vernünftigen Leben. Auf diesem schwarzen Teerstrich durch Berg und Tal fährt man nicht so schnell, wie man darf, sondern wie man kann. Und manchmal leider etwas schneller. Aber das kommt eben auf den Mann an. Und auf die Kunst der Balance beim Ritt auf der Rasierklinge.

Man muss diese Strecke gar nicht selbst abgefahren sein, um ihre Ansprüche zu ahnen, aber man kann. Besonders am traditionellen Mad Sunday, dem verrückten Sonntag, an dem die Bergstrecke von der Ramsey Hairpin bis Creg-ny-Baa zur Einbahnstraße erklärt wird und alle Amateur-Rennfahrer auch einmal so viel Gas geben dürfen, wie es die Reifen und die Nerven des Fahrers aushalten. Oder eben etwas mehr. Statistisch gesehen kommt auf einen toten Profifahrer pro Jahr auch wenigstens sein tödlich verunglückter Amateur; 233 waren es bislang insgesamt.

Der Ritt auf der Rasierklinge

"Die schwierigste Strecke der Welt" nennt auch die deutsche Motorrad-Legende Helmut Dähne den Mountain Circuit, wie der Rundkurs um die Isle of Man offiziell heißt.

Isle of Man Tourist Trophy

TT zum Hundertsten

Ein schwarzer Streifen durch enge Ortschaften, über bucklige Steinbrücken, hinauf durch steile Haarnadelkurven bis auf 450 Meter Höhe und dann in rasender Schussfahrt zurück zu Start und Ziel am TT-Grandstand inmitten der Inselhauptstadt Douglas; an deren Glencrutchery Road sind Boxengasse und Zuschauertribühne, Fahrerlager und Fan-Festplatz aufgebaut. Und hinter der Mauer, an der die große Anzeigetafel hängt, auf der immer noch traditionell mit schlichter Kreide der Rennverlauf notiert wird, findet sich der Friedhof.

Die Ehre zählt

Verrückt? Für Motorradrennfahrer bis Ende der siebziger Jahre kein bisschen. Denn bis 1979 hatte die TT-Strecke Weltmeisterschafts-Status, war also einer der Kurse, auf denen die Meisterschaft der Besten ausgefahren wurde. Und keiner wurde damals ein Motorradheld, der nicht auch die TT gewagt und gewonnen hätte wie Giacomo Agostini, Mike Hailwood, Phil Read, Carl Fogerty oder Steve Hislop. Und kaum eine Motorradmarke, die sich nicht über das weltweit bekannte TT-Zeichen ihren Ruhm erkämpfte.

Die englischen Marken AJS, Triumph und Norton, aber auch Italiener wie Gilera und MV Agusta legten sich hier mächtig ins Zeug; und 1961 triumphierten sogar die bis dato belächelten Maschinen von Honda vor den Augen der ganzen westlichen Welt.

Der "King of the Road"

In diesem Sinne denkt auch Helmut Dähne: "Ein TT-Sieg ist mehr wert als ein Weltmeistertitel." Vielleicht weniger Geld, aber umso mehr Ehre. MotoGP-Meister Valentino Rossi jedenfalls hat die 270 TT-Kurven noch nie durchfahren. Und deshalb achtet und ehren Isel-of-Man-Fans auch andere Männer - allen voran William Joseph Dunlop, den bislang größten TT-Helden, dessen Steindenkmal am Rand der Rennstrecke in den Bergen steht.

Denn Dunlop, von allen nur Joey genannt, errang sagenhafte 26 TT-Siege, wurde ein Held der Menschen und blieb trotzdem einer von ihnen. Einer, dessen zu höchster Vollendung gebrachte Zweirad-Fahrkunst sie zutiefst bewunderten. Weshalb Dunlop, der 2000 bei einem Rennen in Estland tödlich verunglückte, bislang ihr unsterblicher "King of the Road" ist.

Der Ritt auf der Rasierklinge

Isle of Man Tourist Trophy

Der Streckenverlauf

(Foto: Grafik: iomtt.com)

Aber auch deutsche Fahrer erwiesen sich schon vor dem Krieg als Helden, nämlich als Sieger bei einem TT-Rennen: Ewald Kluge 1938 auf DKW, Georg "Schorsch" Meier 1939 auf BMW und nach dem Krieg dann Männer mit Benzin im Blut wie Hans-Otto Butenuth, der mehrfache Beiwagen-Meister Siegfried Schauzu und - angefeuert durch die begeisterte Berichterstattung des unvergessenen Motorrad-Redakteurs Ernst "Klacks" Leverkus - auch Helmut Dähne, auch auf BMW.

"Zum Sterben fährt da keiner hin"

Alles nur Verrückte? Dähne, 26-facher TT-Teilnehmer und 1976 Sieger in der Production Class mit einer BMW R90 S, kennt sich und seinesgleichen besser: "Unter den Fahrern sind weniger Gestörte als man denkt", lacht der heute 62-Jährige, "keiner fährt da zum Sterben hin, die wollen alle überleben." Und erklärt das Geheimnis der Tourist Trophy mit Leidenschaft: "Das ist die Faszination einer Natur-Rennstrecke. Die ist einfach nicht so künstlich wie die heutigen Formel-1-Kurse."

Helmut Dähne schrieb aber auch in Deutschland Motorradgeschichte: 1993 brauchte er für die Nordschleife des Nürburgrings nur sagenhafte sieben Minuten, 49 Sekunden und 71 Zehntel - ein Rekord, der bis heute ungebrochen ist.

Jedem Mann sein Spiel

Was alle, ob Fahrer oder Zuschauer, seit nunmehr 100 Jahren an den Rennen auf der Isle of Man fesselt, ist wohl, dass jeder freie Mann sein Spiel machen und sein Glück versuchen kann, seien Einsatz und Risiko auch noch so hoch. In Irland, Schottland, in England und in Wales und natürlich auf der Insel schätzt man derart mutige Männer und weiß Todesverachtung selbst in rein sportlichen Zusammenhängen zu achten und zu würdigen. Helmut Dähne: "Ein bisschen Glorie ist bei der TT natürlich auch im Spiel."

Und auch eine Menge Mut. In einer Seenotrettungs-Station an der deutschen Nordseeküste, gegenüber den britischen Inseln, hängt an der Wand der Respekt fordernde Spruch: "Fremder, verneige auch Du Dein Haupt vor Männern, die weder Tod noch Teufel fürchten" - auch, wenn die tollkühnen Motorradfahrer wahrscheinlich wirklich nicht mehr zu retten sind, ein achtungsvolles Kopfnicken haben sie allemal verdient.

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