Motorrad-Airbag-Crashtest:Lebensretter Luftkissen

Der ADAC hat den weltweit ersten im Handel erhältlichen Motorrad-Airbag getestet - und kommt zu einem klaren Ergebnis.

Motorrad-Airbags können die Sicherheit von Zweiradfahrern erheblich verbessern.

Die Luftkissen verringern insbesondere bei Frontalzusammenstößen mit Autos wirkungsvoll das tödliche Verletzungsrisiko der in diesen Situationen kaum geschützten Fahrer, wie ein Vergleichs-Crashtest des ADAC ergab. Die Ergebnisse wurden heute in München vorgestellt.

Hintergrund der Versuchsreihe ist: Zu den häufigsten und gefährlichsten Motorradunfällen gehört nach den Erkenntnissen der ADAC-Unfallforschung der Seitenaufprall. Dabei trifft das Motorrad, beispielsweise nach Missachten der Vorfahrtsregel, senkrecht auf ein quer stehendes Auto.

Der Motorradhersteller Honda hat jetzt erstmals ein Fahrzeug vom Typ Gold Wing mit einem Airbag ausgestattet, der verhindern soll, dass der Fahrer mit dem Kopf nahezu ungebremst gegen ein Hindernis prallt.

Trennendes Polster

Bei dem ADAC-Test kollidierten je eine auf 72 km/h beschleunigte Gold Wing mit einem quer stehenden VW Sharan. Eine Maschine war mit einem Airbag ausgestattet, die andere nicht.

Der Vergleich zeigt laut ADAC deutlich, dass nur der Fahrer auf der Airbag-Maschine eine Überlebenschance gehabt hätte. Wäre nicht der doppelte Unterschenkelbruch gewesen, den er sich durch den Kontakt mit der Motorverkleidung zugezogen habe, hätte der Fahrer bei einem realen Unfall die Unglücksstelle unverletzt verlassen können.

Der Fahrer ohne Airbag wäre trotz Helms seinen schweren Kopfverletzungen erlegen.

Die auf den Kopf des Dummys einwirkenden Kräfte lagen deutlich über den Belastungen, die der menschliche Körper ohne tödliche Folgen ertragen kann.

motorrad-crashtest; adac

Die Versuche haben gezeigt: Ein Luftkissen kann bei einer Kollission Leben retten.

(Foto: Foto: ADAC)

Der Nacken wurde bei dem Kontakt mit dem hinteren Türrahmen so stark überstreckt, dass ein Genickbruch unvermeidbar gewesen wäre.

Bei dem Fahrzeug mit Airbag wird der Fahrer durch den Luftsack in seiner Vorwärtsbewegung so stark gebremst, dass der direkte Kontakt mit der Karosserie zwar nicht ausbleibt, aber doch stark abgemildert wird. Der Airbag bildet sozusagen ein trennendes Polster zwischen dem Oberkörper des Fahrers und dem Fahrzeug.

Geringeres Risiko

Der ADAC wollte auch wissen, ob der Airbag selbst nicht zur Gefahr für den Motorradfahrer werden kann. Dies trifft nicht zu, wie Versuche gezeigt haben.

Sogar ein Fahrer, der in geduckter Haltung auf der Maschine sitzt, erleidet durch die Airbag-Entfaltung keinen Schaden. Die Schutzwirkung des Airbags bleibt nach Meinung der ADAC-Experten auch dann erhalten, wenn der Aufprallwinkel etwas von 90 Grad abweicht, wenn also das Motorrad nicht genau senkrecht auftrifft.

Damit ließe sich bei etwa einem Drittel der Unfälle (Motorrad gegen Pkw/Lkw) das Verletzungsrisiko erheblich senken. Die Entwicklung sei ein "Meilenstein in der Geschichte der Motorradsicherheit", lobte der Automobilclub. Es sei wünschenswert, dass nun auch andere Hersteller die "empfehlenswerte Ausstattungsoption" anbieten.

BMW: Serieneinführung derzeit nicht sinnvoll

Doch das ist vorerst nicht zu erwarten. Motorrad-Airbags seien zurzeit kein Thema, sagt etwa Kawasaki-Sprecher Andreas Seiler in Friedrichsdorf (Baden-Württemberg).

Auch BMW in München will kein passives Schutzsystem anbieten. "Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass eine Serieneinführung derzeit nicht sinnvoll ist", heißt es. BMW wolle sich auf die Verbesserung der aktiven Sicherheit konzentrieren.

Achim Kuschefski, Leiter des Instituts für Zweiradsicherheit (ifz) in Essen, geht jedoch davon aus, dass es andere Firmen früher oder später Honda nachmachen werden: "Es wird mit Sicherheit weitere Entwicklungen geben. Wir sind gerade erst am Anfang."

Es dürfte jedoch noch Jahre dauern, bis sich die Technologie etabliert hat - das sei bei der Airbag-Technik im Auto nicht anders gewesen.

Alexander Berg, Leiter der Dekra-Unfallforschung in Stuttgart, rechnet auch aus einem anderen Grund mit einer langsamen Entwicklung.

So sei die Airbag-Technologie bei Motorrädern weitaus komplizierter umzusetzen als im Auto. Dort sitzen die Insassen meist in ähnlichen Positionen.

Ein Motorradfahrer sitze jedoch mal mehr, mal weniger aufrecht auf seiner Maschine. Die Airbag-Entwickler müssten zum Beispiel ausschließen, dass ein vornüber gebeugter Fahrer vom Airbag "angeschossen" und vom Motorrad geworfen wird.

Berg hält die Technologie daher vor allem bei Tourenmotorrädern für geeignet: "Man braucht Platz zwischen den Armen und eine aufrechte Sitzhaltung. Für Rennmaschinen wird es wahrscheinlich nie einen Airbag geben."

Ifz-Leiter Kuschefski verweist auf ähnliche Probleme bei den so genannten Naked Bikes ohne Verkleidung: "Ein Airbag entfaltet sich nur im oberen Bereich des Lenkers. Bei einem Crash würde sich der Fahrer unten regelrecht um den Lenker wickeln."

Zudem müssten die Tanks vieler Motorräder anders konstruiert werden, damit sich der Airbag unterbringen lässt. Nicht alle Maschinen böten ähnlich gute Voraussetzungen wie der große Luxus-Tourer von Honda. Möglicherweise ließen sich diese Probleme mit anderen Airbag-Konstruktionen umgehen.

Gute Überlebenschancen

Die Dekra hatte das bereits mit einem Airbag-Prototypen für kleine Motorräder versucht. Anders als beim Honda-System, das den Fahrer mit einem großen Luftkissen zurückhält, wählten die Unfallforscher laut Alexander Berg einen anderen Ansatz: Ein kleineres Luftkissen sollte beim Aufprall zwar auch möglichst viel Energie abbauen. Gleichzeitig sollte es aber wie eine Rampe dienen, über die der Fahrer über das Autodach geleitet wird.

"Gewisse Belastungen haben Sie dabei zwar immer noch", sagt Berg. "Sie haben aber gute Chancen, das zu überleben." Schließlich wird damit vermieden, dass der Motorradfahrer mit dem Kopf gegen die verletzungskritische Dachkante prallt.

Neben dem Sicherheitsvorteil ziehen die Forscher aus den Airbag-Tests daher laut Berg auch folgende Erkenntnis: "Ein solches System ist nicht für jedes Motorrad das Maß aller Dinge. Daher tun sich die Hersteller auch so schwer, das in Serie zu bringen."

Airbag-Vorreiter Honda will die Technologie jedenfalls weiter verfolgen - macht die Vorgehensweise aber auch von der Marktakzeptanz abhängig, wie Honda-Sprecherin Kerstin Martens sagt. Damit dürfte es laut ifz-Leiter Kuschefski kein Problem geben: "Ich glaube schon, dass das angenommen wird. Wenn es auf dem Markt ist, dann wird es gekauft."

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