Als Carl Benz vor beinahe 130 Jahren mit seinem knatternden Motorwagen die ersten Runden drehte, musste er nicht lange über Treibstoff nachdenken: Sein Verbrennungsmotor schluckte Waschbenzin, und das gab es fertig gemischt in der Apotheke. Heute machen sich Ingenieure deutlich mehr Gedanken. Sie entwickeln völlig neue Treibstoffe, tüfteln an sauberen und sparsameren Aggregaten. Nur die Art und Weise, wie sie dabei vorgehen, hat sich kaum verändert. Noch immer brauen die Entwickler ihr Benzin aufwendig zusammen, noch immer bauen sie neue Motoren in Miniserien, in denen der Treibstoff dann verbrannt wird. Langsam stoßen sie mit diesen Methoden allerdings an ihre Grenzen.
"Ingenieure hätten am liebsten einen schwarzen Kasten, in den sie lediglich die Zusammensetzung ihres Benzins, die Verhältnisse in der Brennkammer sowie das Design des Motors eingeben müssen, und der umgehend ausspuckt, wie gut all das funktioniert", sagt William Green, Chemieingenieur am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Gemeinsam mit Kollegen hat Green vergangenen Monat beim Jahrestreffen des US-Wissenschaftsverbands AAAS in Boston neue Modelle vorgestellt, die die Vorgänge in Verbrennungsmotoren besser beschreiben sollen. Seine Botschaft: Die chemischen Simulationen kommen gut voran, es bleiben allerdings noch viele Herausforderungen.
Der Bedarf für solche Rechenmodelle ist groß. Etwa zwei Drittel des weltweiten Energieverbrauchs werde derzeit durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe gedeckt, sagt Katharina Kohse-Höinghaus, Chemikerin an der Universität Bielefeld. Selbst wenn künftig der Anteil regenerativer Energieträger steige, werde sich daran zunächst wenig ändern.
Hinzu kommt, dass insbesondere in den asiatischen Staaten gewaltiger Nachholbedarf an motorgetriebener Mobilität besteht. Dieser immense Bedarf könne derzeit nur mit bewährten, aber kontinuierlich verbesserten Methoden gedeckt werden, sagt Kohse-Höinghaus. "Zu denken, ganz Asien könnte seine Antriebsprobleme mithilfe von Biomasse in den Griff bekommen, ist einfach nicht realistisch."
Große Unsicherheitsfaktoren
Und selbst wenn das gelingen sollte, würde es die Probleme nicht lösen. Im Gegenteil: Biokraftstoffe sind chemisch noch weniger verstanden als die vergleichsweise simplen Kohlenwasserstoffe, die heutzutage verfeuert werden. "Viele dieser alternativen Treibstoffe wurden noch nicht in Motoren getestet, manche lassen sich nicht einmal in der dafür nötigen Menge herstellen", sagt William Green. Somit bleibt unklar, welche unerwarteten Schadstoffe dabei produziert werden könnten. Die Umweltauflagen dagegen werden bereits jetzt zunehmend restriktiver. "Allein durch simples Ausprobieren an den Motoren werden wir die politischen Vorgaben nicht mehr erfüllen können", sagt Kohse-Höinghaus. "Das geht nur mit fundierten chemischen Modellen."
Einfach wird das nicht. Verbrennung ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Sie geht weit über die einfach erscheinenden Summenformeln aus dem Chemieunterricht hinaus, die lediglich besagen, in welchem Verhältnis Treibstoff und Sauerstoff - unter Freisetzung von Energie - zu Wasser und Kohlendioxid reagieren. Die wirklich interessanten Vorgänge laufen im Verborgenen ab: "Die Verbrennung folgt einer Kettenreaktion mit vielen Schritten und vielen reaktionsfreudigen Zwischenprodukten", sagt Kohse-Höinghaus.
So müssen bei einem Biotreibstoff allein für die Rußbildung mehr als 10.000 Reaktionen berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass die chemischen Reaktionen vom Druck und von der Temperatur im Motor abhängen - und dass keiner der Verbrennungszyklen, von denen es im Auto mehrere Tausend pro Minute gibt, dem anderen exakt gleicht. "Für die Entwicklung neuer Motoren wäre es daher schön, wenn man bereits am Reißbrett ermitteln könnte, wie effizient und schadstoffarm die Entwürfe sind", sagt die Bielefelder Chemikerin. "Das setzt allerdings voraus, dass bekannt ist, was bei jedem Knüpfen und Auflösen chemischer Bindungen während dieser Vielzahl an Reaktionen vor sich geht."
Um die notwendigen Daten zu ermitteln, war bislang mühevolle Kleinarbeit nötig. Experimentell bestimmten die Forscher für jede Bindung die Reaktionsgeschwindigkeit; die Daten flossen anschließend in die Modelle ein. Bei den komplexen Molekülen der Biotreibstoffe ist solch ein Vorgehen allerdings extrem aufwendig. "Oft ist es nicht einmal möglich, alle Konstanten zu ermitteln", sagt Stephen Klippenstein, Chemiker am Argonne National Laboratory in Illinois. Die Forscher behelfen sich dann mit Abschätzungen. Oder sie interpolieren Messdaten, die bei anderen Temperaturen und Drücken gesammelt worden sind - mit entsprechend großen Unsicherheitsfaktoren.
In den vergangenen Jahren hat sich allerdings einiges getan. "Dank schnellerer Computer und eines besseren Verständnisses der Kinetik solcher Prozesse können wir die Reaktionsgeschwindigkeiten nun mit einer Genauigkeit berechnen, die an die besten Experimente heranreicht", sagt Klippenstein. So präsentiert William Green in Boston ein Computermodell, das aus dem Aufbau und den Funktionalitäten von Molekülen deren Reaktionsfreudigkeit errechnet. So lassen sich komplexe Reaktionen simulieren. Bei einfachen Molekülen mit vier Kohlenstoffatomen klappt das bereits ganz gut. Bei JP-10, einem synthetischen Treibstoff für Raketen, liegen die Ergebnisse hingegen nur manchmal richtig, häufig aber um mehrere Größenordnungen daneben. "Bei diesem riesigen Modell mit mehr als einer Million Reaktionen und 60.000 Reaktionsprodukten scheinen wir noch irgendwas zu übersehen", sagt Green.
Mitten im Paradigmenwechsel
Dennoch: Die Chemiker geben sich zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein. "Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel. Erstmals versetzt uns die Theorie in die Lage, Reaktionsmechanismen quantitativ zu ermitteln", sagt Stephen Klippenstein. "Die große Frage ist jetzt: Wie genau sind diese Modelle?" Dabei sollen Algorithmen helfen, die intensiv erforschte Reaktionsschritte bevorzugen, weniger gut verstandene Prozesse hingegen niedriger gewichten. Letztlich bleibt aber nur der Vergleich zwischen ihrer Simulation und einem Laborversuch - und das konstante Verbessern, Testen, Annähern des Modells an die Realität.
Mit der Simulation der einzelnen Reaktionen ist es allerdings nicht getan. Treibstoff verbrennt in einem realen Motor, und der hat seine eigenen Gesetze. Während sich chemische Reaktionen auf einer Größenordnung von Millionstel Millimetern abspielen, misst eine Brennkammer mehr als zehn Zentimeter. Und während die Bewegungen von Elektronen im Bereich von Attosekunden (Millionstel einer Millionstelsekunde) liegen, erstreckt sich ein Zündvorgang über Millisekunden. Zudem kommt es zu Verwirbelungen, das Gemisch, die Temperatur und der Druck variieren. All das muss ein Modell berücksichtigen.
"Viel Arbeit liegt noch vor uns"
Die Forscher versuchen deshalb, ihren Motor in Zonen zu unterteilen, in denen regional - je nach Entfernung zur Zündung oder zum Auslassventil - vergleichbare Bedingungen herrschen. Aber auch das hilft nur bedingt. "Man kann entweder die volle Turbulenz im Raum und in der Zeit berechnen, darunter leiden aber die Feinheiten der Chemie. Oder man berechnet die volle Chemie, dann schafft man allerdings keine komplexen Strömungen", sagt Katharina Kohse-Höinghaus. Beides geht nicht. Dafür haben selbst die derzeit besten Computer nicht die nötige Rechenleistung.
Für den Einsatz in der Motorenabteilung eines Autoherstellers käme solch eine detailgetreue chemische Simulation aber ohnehin zu früh. "Es wäre vermessen anzunehmen, ein Autobauer könnte ein Modell mit 10.000 Schritten einfach in seine Maschine füttern und würde sofort erfahren, wie viel schädliches Formaldehyd aus dem Auspuff kommt", sagt Kohse-Höinghaus. Um so etwas zumindest ansatzweise möglich zu machen, müssen die derzeit noch experimentellen Modelle einfacher und robuster werden. Auch hierzu haben die Chemiker in Boston Ideen und Forschungsarbeiten gezeigt. Es sind erste Ansätze. "Viel Arbeit liegt noch vor uns", sagt William Green, "aber immerhin können wir das Ziel schon sehen."