100 Jahre Moto Guzzi:Exot auf der Straße

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Die Moto-Guzzi-Macher setzten schon früh auf Teilnahmen an internationalen Rennveranstaltungen. (Foto: imago/ZUMA/Keystone)

Vor 100 Jahren wurde Moto Guzzi gegründet. Zwei Fans berichten, was die italienische Marke einst ausmachte. Und erklären, warum es dem Unternehmen heute schwerfällt, an alten Glanz anzuknüpfen.

Von Peter Ilg

Gibt es einen Ausdruck, der die Anhänger der Motorrad-Marke Moto Guzzi beschreibt? Na klar, einen italienischen sogar: Guzzisti. Bernd Rathgeb und Reiner Nagler sind solche Fans, zwei Guzzisti aus Ellwangen, im Schwäbischen gelegen, auf halber Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg. Beide sind Ingenieure, und beide fahren seit Jahrzehnten Moto Guzzi. Rathgeb eine Le Mans II, Baujahr 1981. Als er sie im Jahr 1987 kaufte, war sie in einem ziemlich heruntergekommenen Zustand, "neu hätte ich sie mir damals nicht leisten können", sagt er. "Guzzis sind teure Motorräder." Auch Nagler fährt einen Oldtimer, eine California II, Baujahr 1987, das Pendant zu den E-Glides von Harley-Davidson. "Mit einer Guzzi war man schon damals ein Exot auf der Straße", erzählt er. "Und heute ist man das noch viel mehr." In Deutschland lag der Marktanteil der Italiener zuletzt bei nur noch 1,3 Prozent. Lediglich 1712 Guzzis wurden im vergangenen Jahr hierzulande zugelassen.

Das war aber schon mal ganz anders in der mittlerweile 100-jährigen Geschichte der Marke; nach dem Zweiten Weltkrieg zählte Moto Guzzi zu den weltweit führenden Herstellern. Gegründet wurde das Unternehmen im März 1921; damals taten sich der Heeresflieger Giorgio Parodi und der Flugzeugtechniker Carlo Guzzi im kleinen Städtchen Mandello del Lario zusammen und schufen die "Moto Guzzi S.p.A." Als Firmenzeichen wählten sie einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Wie viele andere Motorradhersteller in dieser Zeit setzten auch die Moto-Guzzi-Gründer auf den Rennsport, um ihre Produkte bekannt zu machen: Über die Jahre fuhren Moto-Guzzi-Rennpiloten mehrere Geschwindigkeitsrekorde und mehr als ein Dutzend Weltmeistertitel ein. Die Beschaffer von Polizei und Militär in Italien setzen noch heute auf die Produkte aus Mandello del Lario, und auch die Motorrad-Cops des Los Angeles Police Departments steuern die Maschinen mit dem prägnanten V2-Motor.

Der ungewöhnliche Antrieb und das stabile Fahrwerk - diese beiden Merkmale der Guzzi-Maschinen faszinieren die beiden Schwaben Rathgeb und Nagler nach wie vor. Erst vor Kurzem fuhren sie das neueste Modell von Moto Guzzi, die V7 Special, zur Probe. Ihr Eindruck? "Wenn der Motor nach dem Anlassen losbollert, ist es, als ob die beiden Zylinder die Maschine aus dem Schlaf rütteln", sagt Nagler. "Das gesamte Motorrad vibriert im Stand, und der Sound klingt einzigartig dumpf und gleichmäßig."

Ein mechanisches Erlebnis

Woran das liegt, kann der Ingenieur auch erklären: Die Zylinder sind in einem Winkel von 90 Grad zueinander angeordnet und quer zur Fahrtrichtung eingebaut - das mache eine Moto Guzzi so unverwechselbar. Zudem drehe die längs zur Fahrtrichtung eingebaute Kurbelwelle leicht nach links; und weil die Kurbelwelle und die Schwungscheibe und Kupplung, die an ihr hängen, schwer seien, "wird beim Anlassen und beim abrupten Beschleunigen immer ein Gegenruck nach rechts erzeugt", ergänzt Rathgeb. Dieses mechanische Erlebnis mache den Guzzi-Antrieb so einzigartig.

Man merkt schnell: Hier fachsimpeln zwei echte Enthusiasten. Mehrmals schon waren sie zu Guzzi-Fan-Treffen in Mandello del Lario am Comer See, haben bei Werksführungen die traditionsreiche Fabrik von innen gesehen. Rathgeb war zum ersten Mal vor mehr als 30 Jahren dort - und er schwärmt noch heute von dem Besuch. "Bei einem Rundgang durch die Fertigung habe ich erlebt, dass die Teststrecke mitten durch die Fabrik führt", erzählt er. Neben dem Weg für die Gabelstapler habe es einen für die Testmaschinen gegeben. Hin und wieder sei ein Testfahrer quer durch die Halle gebrettert, berichtet er. "Das klingt unglaublich, ist aber wahr."

Die beiden Guzzisti und Reiner Nagler (links) und Bernd Rathgeb. (Foto: Peter Ilg)

Auch Nagler war einige Male bei den Treffen am Stammsitz, bei denen die weltweite Guzzi-Familie zusammenkommt. "Die Veranstaltungen sind komplett anders als sonstige Motorradtreffen", sagt er. Organisiert sei so gut wie nichts, die Fans treffen sich mitten in der Stadt, wo auch das Werk ist, einschließlich einiger Zulieferbetriebe. "Beim 75-jährigen Firmenjubiläum haben wir im Stadtgarten gezeltet", erzählt er - und berichtet von einer Art italienischem Lebensgefühl: "Das Chaos bei gleichzeitiger Gemütlichkeit ist kaum vorstellbar."

Allerdings haben die beiden Fans bei ihren Besuchen am Comer See auch den Niedergang der Marke über die Jahrzehnte miterleben können. Wie viele andere Motorradhersteller, auch viele deutsche Marken, erlebten die Moto-Guzzi-Macher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst einen starken Aufschwung. Die Menschen wollten mobil sein, relativ preiswerte Motorräder waren da für viele die erste Wahl. In den Sechzigerjahren zählte Moto Guzzi zu den größten Herstellern der Welt, in Mandello unterhielt die Firma einen Windkanal, um die Aerodynamik der Maschinen verbessern zu können - damals noch eine Seltenheit unter Motorradbauern. Doch mit der Verbreitung des Automobils sank die Nachfrage nach Motorrädern für den Massenmarkt, viele traditionsreiche Hersteller mussten aufgeben, in Deutschland unter anderem Marken wie Zündapp, Hercules, Victoria oder Triumph.

Puzzlespiele in der Fertigung

Auch bei Moto Guzzi in Mandello del Lario "wurde schon ab den Siebzigerjahren nicht mehr investiert", sagt Rathgeb, die Produktionsanlagen seien schon damals veraltet gewesen, Qualitätsprobleme kamen hinzu. "Bei meinem Motorrad, der Le Mans II, gab es drei unterschiedliche Fertigungstoleranzen für Zylinder und Kolben", berichtet der gelernte Ingenieur. Am Ende des Fertigungsprozesses hätten die Arbeiter geschaut, welche Kolben in welche Zylinder passen. "Das ist ein Puzzlespiel, aber keine professionelle Motorenfertigung."

Ähnlich sieht es Nagler, spätestens zum Ende der Sechzigerjahre habe das Motorrad als Fortbewegungsmittel für die Massen ausgedient gehabt, "später wurde es zum Freizeitobjekt". Die Hersteller aus Japan, aber auch einige wenige europäische Marken wie etwa BMW, hätten diese Trendwende mitvollzogen. "Moto Guzzi leider nicht", sagt Nagler. Mit aktuell lediglich drei Modellen im Angebot sei "vom einst großen Glanz nur noch wenig übrig geblieben", findet auch Rathgeb.

Schon in den Fünfzigerjahren unterhielt Moto Guzzi einen eigenen Windkanal, um die Aerodynamik der Maschinen verbessern zu können. (Foto: imago/ZUMA/Keystone)

Auch die neue V7 dürfte aus Sicht der beiden Guzzisti den einstigen Erfolg der Marke nicht wieder zurückbringen. Seit 2004 gehört Moto Guzzi zum italienischen Piaggio-Konzern, der auch die Rollermarke Vespa oder den Kleintransporter Porter im Portfolio hat. Dem Management mangele es an Herzblut für die Marke, sagt Reiner Nagler, man spüre keine Leidenschaft mehr für die Entwicklung von Motorrädern. "Ich bin richtig traurig, weil die Firma in der Bedeutungslosigkeit versinkt."

Bringt ein neues Modell die Wende?

Die Verantwortlichen in Mandello del Lario indes machen weiter: Ende November wird Moto Guzzi auf der Motorradmesse Eicma in Mailand die V100 Mandello vorstellen, einen Sporttourer mit mehr als 1000 Kubikzentimeter Hubraum und 110 PS. Erste Bilder gab es bereits zu sehen, auch Reiner Nagler und Bernd Rathgeb haben sich diese natürlich genau angesehen. Ihr Eindruck? "Die Maschine sieht eher altbacken aus", findet Nagler, "von einer so stolzen und erfolgreichen Marke habe ich mir zum Jubiläum mehr erhofft." Immerhin: Bernd Rathgeb verweist auf den ersten flüssigkeitsgekühlten Motor in der nun 100-jährigen Firmengeschichte. Der sei unter anderem notwendig, um die immer strengeren Abgasvorschriften einhalten zu können. Außerdem, so erwarten es Marktbeobachter, könnten auf dieser Basis weitere neue Modelle aus Mandello anrollen - etwa eine große Reiseenduro oder eine Nachfolgerin der legendären Le Mans. "Doch leider ist Moto Guzzi damit 20 Jahre zu spät dran", sagt Bernd Rathgeb. Die alten, glorreichen Zeiten, so empfindet er das zumindest, würden auch mit dieser neuen Maschine wohl nicht zurückkommen.

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