Süddeutsche Zeitung

Morgan Motor Company:Mit Holzrahmen und E-Motor

Seit 1909 produziert Morgan Sportwagen auf eine spezielle Weise, die heute als antiquiert gilt. Die Firma fühlt sich ihrer Tradition verpflichtet - und baut trotzdem bald Elektroautos.

Von Björn Finke, Malvern

Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Hinter den flachen Fabrikhallen aus rotem Backstein erheben sich die Malvern Hills, eine bei Wanderern beliebte Hügelkette im Westen Englands. Auf einmal stört Knattern und Bollern die friedliche Stimmung. Ein Dreirad rollt heran, eine Mischung aus Rennwagen und Motorrad mit vorne zwei Rädern und hinten einem Rad. Die Auspuffe an den Seiten vibrieren. Der Fahrer zieht den Helm über und biegt vom Werksgelände auf die Straße am Rande der Kleinstadt Malvern. Dieser "Morgan 3 Wheeler" ist eines der Modelle, die hier gebaut werden. Ein Mitarbeiter testet die nostalgische Rennzigarre nun bei einer Probefahrt.

Der Hersteller Morgan Motor ist eine der ungewöhnlichsten Autofirmen der Welt. Henry F. S. Morgan gründete das Unternehmen 1909 in Malvern, um solche Dreiräder zu fertigen. Fünf Jahre später zog er auf das Gelände, wo der Betrieb noch heute sitzt. Morgan Motor gehört komplett seinen Nachfahren und ist damit einer der wenigen Autobauer in Familienbesitz. Und er ist winzig: Die 205 Beschäftigten stellten im vergangenen Jahr gerade mal 770 Fahrzeuge her, und das in Handarbeit. Roboter gibt es keine.

Neben dem Dreirad produzieren die exzentrischen Engländer leichte - und dadurch rasante - Zweisitzer-Sportwagen. Die sehen aus wie Oldtimer, nutzen aber moderne Technik und schaffen mit BMW- und Ford-Motoren bis zu 273 Kilometer pro Stunde. Das Modell Morgan 4/4 existiert seit 1936 und war das erste Auto der Firma, die zuvor nur Dreiräder konstruiert hatte. Der 4/4 ist somit das weltweit älteste weiterhin gebaute Automodell. "Es ist unser Einstiegsmodell", sagt Steve Morris, der vor fünf Jahren einen Enkel des Gründers als Chef ablöste. Das Fahrzeug kostet 42 000 Pfund, etwa 47 500 Euro. Für den schnellsten und teuersten Wagen, den Aero GT, ist das Dreieinhalbfache fällig.

Fast drei Viertel der Drei- und Vierräder werden exportiert, Deutschland ist der wichtigste Auslandsmarkt. "In Deutschland waren wir immer stark. Wir gelten dort als typisch britisch", sagt der 51-Jährige, der 1983 als Auszubildender in Malvern anfing. Kunden müssen sich gedulden: Die Wartezeit beträgt sechs Monate, die Fertigung beginnt erst, wenn die Bestellung mit allen Sonderwünschen eingegangen ist. "Bei uns sehen keine zwei Autos gleich aus. Wir stimmen, wenn nötig, den Lack auf die Anzugfarbe des Käufers ab", sagt der Chef.

Für Morgan beginnt das Elektro-Zeitalter

Unter den Abnehmern seien viele Männer in den Fünfzigern, in der Regel würden Morgans als Zweitwagen für die Freizeit genutzt, sagt Morris. Die Dreiräder, die 2011 nach fast 60 Jahren Unterbrechung neu aufgelegt wurden, sprächen auch Motorradfahrer an. Der Umsatz wuchs im vorigen Jahr um ein Fünftel - so schnell wie nie zuvor - auf umgerechnet 41 Millionen Euro. Vor Steuern blieben 2,3 Millionen Euro als Gewinn hängen.

Ende des Jahres beginnt bei der Nostalgiker-Firma eine neue Epoche: das Elektro-Zeitalter. In der Fabrik wird dann erstmals ein Fahrzeug mit Stromantrieb gebaut, ein Dreirad namens EV3. Und im Jahr 2020 wolle er für alle Modelle eine Hybridvariante anbieten, sagt Morris, also Autos mit Elektro- und Verbrennungsmotor. Beim EV3 und den Hybridfahrzeugen arbeitet das Unternehmen mit Frazer-Nash Energy Systems zusammen, einem britischen Spezialisten für Stromantriebe.

Die meisten Luxus- und Sportwagenhersteller sind Teil großer Konzerne. So wurde die britische Luxusmarke Bentley von Volkswagen gekauft, Rolls-Royce von BMW. Die Nischenanbieter profitieren von der Technik und den Forschungsmilliarden der Mutterfirmen. Der Familienbetrieb Morgan kann das nicht. "Doch unsere Unabhängigkeit ist auch unsere Stärke", sagt Morris. Sie mache es einfacher, renommierte Partner zu finden, die Motoren und andere Technik liefern - etwa BMW. "Wir sind klein und gehören keinem Rivalen. Wir sind keine Bedrohung."

Der Manager ist mit dem Nischendasein zufrieden. Die Stückzahlen will er gar nicht rasant steigern, er will keine ganz neuen Modelle entwickeln. "Wir möchten auf Dauer 750 bis 1000 Fahrzeuge im Jahr produzieren", sagt Morris. Stetes Wachstum verzeichnet er dafür bei den Lizenzeinnahmen: Unternehmen zahlen Geld, um das Logo von Morgan Motor auf Hemden oder Schuhen zeigen zu dürfen. Auf dem Werksgelände verkauft ein Laden solche Souvenirs. In dem arg zugestellten Geschäft finden Fans sogar Morgan Bier.

Die Devotionalien richten sich an die 30 000 Besucher aus aller Welt, die jedes Jahr die Fabrik besichtigen und 25 Euro Eintritt berappen. "Das ist für uns ein eigener Umsatzbringer geworden", sagt Morris. Unter den Gästen waren auch einige Größen der Autoindustrie. Zum Beispiel Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne oder Ralf Speth von Jaguar Land Rover. "Viele Automanager besitzen einen Morgan", sagt der Firmenlenker.

Die Produktion bei Morgan hat wenig mit den Fabriken der Massenhersteller gemein. In den flachen Hallen gibt es kein Fließband, ein Arbeiter hantiert manchmal über Stunden an einer Karosserie. Zu hören ist neben lautem Radiogedudel geschäftiges Geklapper und Gehämmer, dazu sporadisch das Heulen der Schraubendreher. Ist ein Monteur mit seinen Aufgaben fertig, wird das Autogerippe von Hand zur nächsten Station geschoben. In dieser Fahrzeugmanufaktur dauert es mindestens vier Wochen, einen Wagen zu bauen.

Die Rahmen bestehen traditionell aus Eschenholz

Eine weitere Besonderheit: Die Autos haben einen Rahmen aus Holz - genauer: aus Eschenholz. An dem Rahmen wird außen die Aluminiumkarosserie befestigt und innen das Leder, mit dem die Fahrzeuge ausgekleidet sind. Das Unternehmen hat seit jeher seine Metallkarosserien mit Holz verstärkt und bleibt dieser Tradition treu. Darum ist in einer der Hallen eine Schreinerei untergebracht. Auf dem Boden steht ein zusammengefügter Rahmen, auf Tischen stapeln sich zugeschnittene Bretter. Ein Arbeiter in schwarzer Morgan-Werkskleidung hobelt ein geschwungenes Teil.

Früher kam das Eschenholz aus Belgien, aber die Schreiner stellten fest, dass in zu vielen Stämmen Patronen steckten - das Erbe von Schlachten zweier Weltkriege. Das macht die Bretter unbrauchbar. Nun kauft Morgan Holz in Lincolnshire, einer Grafschaft im Nordosten Englands: britisches Holz für britische Autoklassiker.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3899323
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.03.2018/harl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.