Moderner Schiffsbau:Klare Kante

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Yachtkonstrukteure, Designer und Innenarchitekten gehen im Bootsbau neue Wege - und wagen mutiges Design.

Tobias Opitz

Eigentlich scheint ein Boot etwas ganz Einfaches zu sein. Vorne ein mehr oder minder spitzer Bug, in der Mitte bauchig, dann das Heck, fertig. Ob mit Motor oder unter Segel, ob mit Kajüte oder ohne - das entscheidet der Käufer nach Lust, Laune und Geldbeutel. Und was schön ist, liegt sowieso allein im Auge des Betrachters.

Form folgt Funktion: Die Pinasse 46 (gr. Foto), gezeichnet von Yachtkonstrukteur Georg Nissen, sorgt für Diskussionsstoff an der Küste und zeigt einen mutigen Weg in die Zukunft des Bootsdesigns. (Foto: Foto: oH)

Dass tatsächlich aber viel mehr dahintersteckt, zeigt sich immer wieder dann, wenn Yachtkonstrukteur Georg Nissen in seinem Büro in Laboe erfahrene Skipper bittet, ihm doch mal aufzuzeichnen, wie ihr zukünftiges Schiff zumindest ungefähr aussehen soll: "Das sind meist echte Kinderzeichnungen, die dann gemalt werden - selbst diejenigen, die ganz genaue Vorstellung der Rumpfform im Kopf haben, fallen mit dem Stift in der Hand in naiv anmutende Grundmuster zurück." Längst aber ist Bootsdesign hohe Schule, entscheidet über Wohl und Wehe der Werften, über Geschwindigkeit und Sicherheit der Schiffe - und nicht zuletzt über Anerkennung oder Ablehnung des Publikums in den Häfen.

Diplomingenieur Georg Nissen gehört seit mehr als 20 Jahren zur internationalen Spitzengarde der Yachtkonstrukteure. Mehr als 200 Segelyachten wurden bislang von seinem Büro als Einzelbau im Kundenauftrag entworfen; dazu kommen mehr als 800 Serienyachten für renommierte Werften in der ganzen Welt und seit einiger Zeit auch Motorboote - vom Tuckerboot bis hin zur großen Motoryacht.

Zu seinen jüngsten und kontrovers diskutierten Entwürfen, die fast provokant in die Zukunft des Bootdesigns weisen, gehört die Pinasse 46, die er für den Hamburger Journalisten und Regattasegler Svante Domizlaff realisierte. Der hatte zunächst seinen Wunsch nach einem schlichten Stahlschiff mit geringem Tiefgang auf einen Zettel gekritzelt - Georg Nissen machte daraus einen derzeit weltweit einzigartigen Halbgleiter mit extrem scharfem Vorschiff. Ein Schiff, das polarisiert: "Die Leute sind entweder total begeistert oder aber können überhaupt nichts damit anfangen."

Moderner Schiffsbau
:Klare Kante

Yachtkonstrukteure, Designer und Innenarchitekten gehen im Bootsbau neue Wege - und wagen mutiges Design.

Dennoch unterstreicht er mit dieser Konstruktion seinen Grundsatz, nicht alles zu machen, was möglich ist. Denn für den Lübecker Konstrukteur ist das einer der Hauptfehler, den so mancher seiner Berufskollegen begeht: "Früher gab es nur Holz, dann Stahl und Alu, um Schiffe zu bauen - und aus diesen Materialien lassen sich nur Flächen machen. Heute macht Kunststoff alles möglich, aber nicht unbedingt besser und schöner."

Motorkreuzer Pinasse
:Triumph der Kante

Die Pinasse ist neu entwickelter Motorkreuzer, der modernes Design mit klassisch Bewährtem vereinigen will.

Schwulstig, aufgeblasen, hier noch eine Rundung, da noch ein Balkönchen - vor allem bei den großen Motoryachten scheint zunehmend das Prinzip zu gelten, dass die Außenhaut der Schiffe nur mehr Kulisse für schwimmende Villen ist. Eine Designrichtung, die für Georg Nissen und manchen seiner Kollegen die falsche, vor allem aber keine schöne ist: "Letztlich ist ein Schiff immer nur ein Schiff und unterliegt in der Auseinandersetzung mit Wasser, Wind und Wellen definierten Gesetzmäßigkeiten. Idealerweise müsste jedes Boot so entworfen werden, dass man es auch noch in Holz bauen könnte." Das würde nach Beachtung grundlegender Handwerkskunst verlangen und dazu führen, dass "Schiffe gar nichts anderes sein können als schön".

Zu den Veränderungen der letzten Jahre des Bootsdesigns vor allem bei Segelyachten gehört auch, dass immer mehr Kubikmeter an Bord umbaut werden müssen. Typisches und von den Traditionalisten ungern gesehenes Zeichen dafür ist, dass der Freibord - die Höhe zwischen Wasserlinie und Decksoberkante - immer größer wird.

Unter Deck entsteht dadurch der Platz, auf dem sich weniger dunkles Holz und maritim anmutende Messingbeschläge finden. Denn im Kampf um die segelnde Kundschaft beschäftigen die Werften immer häufiger Designer und Innenarchitekten - helle und moderne Loftatmosphäre heißt der vielversprechende Zukunftstrend.

Frauscher 600 Riviera HP
:Die Sonne im Tank

Bei der Frauscher-Werft lief das weltweit erste serienreife Motorboot mit Brennstoffzellenantrieb vom Stapel.

So arbeitet zum Beispiel für die Hanse-Werft in Greifswald die Hamburger Innenarchitektin Birgit Schnaase, die längst zu den Stars in dieser Szene zählt. Und Werftchef Michael Schmidt erklärt in nur einem markigen Satz, warum er diese neue Form der Schiffseinrichtung für wegweisend hält: "Ich wohne ja auch nicht mehr mit den Möbel meiner Eltern."

Auch für Wolfgang Gebetsroither sind es "die vielen neuen Werkstoffe, die Exterieur und Interieur in Zukunft bestimmen werden". Gebetsroither führt zusammen mit seinem Partner Georg Hochleitner das Architektenbüro arge.ateliers im österreichischen Gmunden und arbeitet auch für die renommierte Frauscher-Werft.

Hier gibt er den von Georg Nissen entworfenen Elektro- und Motorbooten den letzten, für Frauscher typischen edlen Schliff. "Die Form muss der Funktion folgen", lautet sein Credo und bezieht bei der Diskussion über die Zukunft des Bootsdesigns klar Stellung: "Wir müssen uns wieder mehr Zeit lassen und auf graphische Proportionen achten. Sonst besteht die Gefahr, dass vor allem im Großserienbau die Verfallszeit des Designs immer kürzer wird."

Minimalistisch und kraftvoll - das sind die beiden Eckpunkte, auf denen Gebetsroither seine Arbeit am Traunsee gründet und denen allein er auch international im Bootsdesign der Zukunft eine Chance gibt. "Natürlich kann man zum Beispiel aus einer schlichten Klampe einen Gegenstand à la Alessi machen und so für einen kurzen Moment für Aufregung sorgen; auf Dauer schön und funktional aber wird nur das in die heutige Formensprache übersetzte Klassische sein."

So gelten bei Wolfgang Gebetsroither zwingend handwerkliche Grundregeln, "um aus einem Boot ein schönes Boot" zu machen. Gutes Design sei auch optische Täuschung, erklärt er an einem kleinen Beispiel: Die flache Edelstahl-Reeling der Frauscher 909-Benaco, die scheinbar parallel zum Deck verläuft, ist tatsächlich leicht nach oben gebogen - das fällt unmittelbar nicht auf, "gibt aber diesem Detail die entscheidende optische Spannung".

Harte internationale Konkurrenz, Kostendruck, die Suche nach Aufmerksamkeit - in der Designerszene ist man sich einig, dass allein die Individualisierung der Segelyachten und Motorboote die Chance für die Zukunft ist. "Es ist für alle kontraproduktiv, wenn niemand in den Häfen mehr sagen kann, aus welcher Werft welches Schiff kommt", warnt Georg Nissen.

Und dass Konstrukteure mitunter auch dafür sorgen, dass die Stimmung an Bord gut bleibt, zeigt ein gerne kolportiertes Gerücht. Demnach sollen die Ruderblätter von Segelyachten einer namhaften Werft so geschnitten sein, dass das Schiff bei mehr als fünf Beaufort aus dem Ruder läuft. Der Grund: Die Frau an Bord habe auf mehr Wind sowieso keine Lust - und weil der Skipper sich angesichts des Segelverhaltens auch nicht mehr wohlfühle, bleibe er einfach im Hafen.

© SZ vom 29.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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