Modelleisenbahn:Welt im Kleinen

Miniatur Wunderland Hamburg

Eine Szene in der Stadt Knuffingen, gelegen im Miniatur Wunderland Hamburg.

(Foto: dpa)

Schauen statt bauen: Wenige Männer spielen noch zu Hause mit einer Modelleisenbahn, aber ganze Familien pilgern in Miniaturparadiese. Von denen eröffnen deshalb immer mehr.

Von Michael Kuntz

Niemand steht gern in einer Warteschlange. Trotzdem bieten nur wenige Touristenattraktionen auf ihrer Homepage eine Prognose der voraussichtlichen Wartezeit am Eingang. Die meisten öffentlich zugänglichen Modellbahnanlagen brauchen so etwas auch nicht. Der Andrang hält sich bei ihnen ohnehin in Grenzen.

Anders ist es in der Hamburger Speicherstadt. Beim Miniatur Wunderland gibt es für die Ferientage um den Jahreswechsel vorab den Ratschlag, einen Besuch entweder gleich morgens oder erst am späten Nachmittag zu planen, wenn man längere Wartezeiten vermeiden will.

Die größte Modellbahnanlage der Welt ist der sehr lebendige Beweis dafür, dass eine originell gestaltete Miniaturlandschaft auch in Zeiten von Internet und Spielekonsolen eine starke Faszination ausübt auf ziemlich viele Menschen.

Hamburg, Ortsteil Knuffingen

Etwa 1,3 Millionen Besucher machen sich in diesem Jahr auf den Weg in den Hamburger Hafen nach Knuffingen, der Stadt im HO-Maßstab 1:87 mit regelmäßigen Feuerwehreinsätzen und eigenem Flughafen. Das sind mittlerweile mehr Menschen, als in der Hansestadt eine Hafenrundfahrt unternehmen. Fast jeder dritte der Miniaturwelt-Touristen reist extra wegen der im Jahr 2000 begonnenen Anlage nach Hamburg. Nicht wenige fahren regelmäßig hin, denn es gibt immer wieder etwas Neues zu sehen. Die Hamburger setzen Maßstäbe von Anfang an.

Die kleine Welt im historischen alten Speichergebäude öffnet 2001 mit der Nachbildung eines Mittelgebirges in Deutschland, durch das sich Modellbahnen schlängeln. Beziehungsweise auf einer langen ICE-Trasse den Harz durchqueren. In der Stadt Knuffingen kommen blinkende Autos dazu, die vollautomatisch durch die Straßen fahren, dabei Verkehrsampeln beachten, Radarblitze auslösen. Wenn der Akku sich bedrohlich entleert hat, steuern sie von selber Stromtankstellen an.

Von Österreich über Hamburg bis in die USA

Es folgen als nächste Bauabschnitte die Alpen in Österreich, dann Hamburg als die Heimat des Wunderlandes samt einem Stück norddeutscher Küste. Danach entstehen die USA mit der Glitzerwelt von Las Vegas, die riesige Dampflok "Big Boy" zieht extra lange Güterzüge. Es gibt einen original Highway, neben dem regelmäßig ein Buschfeuer ausbricht.

Durch Skandinavien schwimmen Modellschiffe in einem künstlichen Meer mit 30 000 Litern Wasser. Wer weitere Steigerungen nicht für möglich hält, wird 2007 mit einer Schweiz überrascht, ein Abschnitt, der erstmals durch zwei Etagen geht und dessen Miniatur-Berge sechs Meter hoch sind. Bisheriger Höhepunkt dieser Modellbau-Orgie ist der Flughafen Knuffingen. Flugzeugmodelle bewegen sich auf einer 14 Meter langen Startbahn und heben ab, getragen von filigranen Führungsstangen. Anders als auf dem echten Hamburger Flughafen transportieren auch Fernzüge die Passagiere, nicht nur S-Bahnen. Und eine Feuerwehr gibt es, die übungshalber ein Flugzeugwrack ansteuert. Derzeit entsteht Italien, es ist in 14 Jahren der neunte Bauabschnitt.

Das Miniatur Wunderland ist längst ein mittelständisches Unternehmen mit 300 Beschäftigten und 17 Millionen Euro Jahresumsatz. Seine Gründer, die Zwillinge Frederik und Gerrit Braun, 46, erhielten bereits das Bundesverdienstkreuz am Bande. Sie betrieben erst eine Diskothek und hatten dann mit Mitte 30 Lust auf etwas Neues: Ein Wunderland, das mehr ist als eine reine Modellbahnanlage. In die investierten sie inzwischen zwanzig Millionen Euro. Allein die Planung und der Bau des Flughafens dauerte sechs Jahre und kostete vier Millionen Euro.

Obwohl sich Modellbahnen immer weniger verkaufen, wächst das Interesse an immer mehr Anlagen

Das Miniatur Wunderland ist der Superlativ unter den Modellbahnanlagen. Eine Fläche von 1300 Quadratmetern, 13 Kilometer Gleise und 930 Züge gibt es nur in der Hamburger Speicherstadt. Es geht dabei nicht mehr um die vorbildgetreue Verkleinerung der Wirklichkeit wie bei der klassischen Modellbahn, originelle und witzige Szenen sind jetzt gefragt. Das auch wirtschaftlich erfolgreiche Konzept findet etliche Nachahmer. Der direkten Vergleichbarkeit mit dem Riesen-Wunderland entziehen sie sich oft sehr geschickt, indem nicht die Welt komplett, sondern Motive aus ihrer Umgebung gezeigt werden.

So ist es in der Eisenbahnwelt in Südtirol. Georg Laimer, der Besitzer des Hotels Hanswirt im Weindorf Rabland, ließ in einen Stadel Südtirol vom Brennerbad bis Mals maßstabgetreu nachbauen. Die Anlage ist nur etwa so groß wie im Wunderland der Flughafen, doch die Besucher sind offensichtlich fasziniert, ihre Urlaubslandschaft einmal in klein zu sehen.

Immer mehr Nachahmer

Ähnlich funktioniert das Loxx am Berliner Alexanderplatz, die zweitgrößte Modellanlage in Deutschland. Neben Szenen aus dem Zentrum der Hauptstadt gibt es ebenfalls einen Flughafen, vor allem aber das opulent gestaltete Regierungsviertel.

Nicht immer ist die kleine Welt auch eine heile Welt: Eine tolle Anlage im Einkaufszentrum Centro Oberhausen hielt sich dort nicht lange und ist umgezogen. In der Modellbahnwelt Odenwald steht jetzt die Industrielandschaft an der Ruhr. Und zwar gleich zweimal: Wie sie vor 50 Jahren aussah und wie es heute ausschaut. Die älteste Schauanlage eröffnete vor 40 Jahren im Allgäu. Jetzt ist die kleine Ausgabe von Deutschland zwischen Nordsee und Alpen als modernisiertes Miniland in einem Gewerbegebiet östlich von München anzuschauen.

Schauen statt selber bauen - das funktioniert

Die Beliebtheit der Großanlagen ist einigermaßen überraschend , wo doch die Hersteller von Modelleisenbahnen fast alle schon in ernsthaften Schwierigkeiten gesteckt haben - angesichts einer seit Jahren sinkenden Nachfrage nach ihren Produkten. Schauen statt selber bauen, das hingegen funktioniert: Es gibt bereits rund sechzig dieser öffentlichen Modellbahnanlagen und es werden immer mehr. Erst im Mai 2014 eröffnete das Miniversum in Budapest mit Motiven aus Ungarn und Österreich. Gerade gebaut wird eine 400 Quadratmeter große Modellbahn für den Auto-Erben Hans-Peter Porsche im Berchtesgadener Land. Er will sein "TraumWerk" bei Piding 2015 eröffnen.

Die Brüder Braun sind schon oft gefragt worden, ob sie nicht das Hamburger Wunderland woanders nachbauen wollen. Das wollen sie nicht, auch wenn eine Offerte aus Abu Dhabi kommt. Frederik Braun erklärt das in einem SZ-Interview so: "Natürlich ist niemand davor gewappnet, unruhig zu schlafen, wenn man solche Millionen-Angebote ablehnt. Aber bisher waren wir immer erleichtert - bei 300 Absagen."

Fast wie in der Disko

Die Hamburger setzen Maßstäbe, auch bei der Betreuung der Besucher. Für den Umgang mit Menschen haben die einstigen Disko-Wirte offenbar ein ganz besonderes Händchen. Erstens wird immer nur eine bestimmte Anzahl gleichzeitig eingelassen, damit jeder auch auf die Anlage schauen kann. Wer die Wartezeitprognose ignoriert, wird nicht einfach stehen gelassen. Für die Menschen in der Schlange gibt es Süßigkeiten, Getränke oder auch ein Eis.

Wer nicht warten mag, der kann sich im Internet eine VIP-Eintrittskarte kaufen und dann alle überholen. Dafür muss er sich für den Eintritt auf eine halbe Stunde genau festlegen. Das System ist ausgeklügelt: Für jedes Zeitfenster ist die Zahl der Karten limitiert. Zu den Sonderveranstaltungen "Nachts im Wunderland" dürfen nur 400 Gäste rein.

Der Besuch einer Modellbahn wird zum Event - es geht fast zu wie in der Disko.

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