Süddeutsche Zeitung

Mobilitätskonzept Car2go:Das Swatch-Auto ist zurück

Ursprünglich sollte das Citycar von Swatch die Innenstädte entlasten. In Ulm wird seit heute diese alte Idee realisiert. In einem Großversuch unter Realbedingungen.

Die Innenstädte platzen aus allen Nähten, Autos werden immer teurer und Parkplätze sind längst Mangelware. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Städte zu einer Citymaut durchringen. Trotzdem sind für viele Autofahrer öffentliche Verkehrsmittel oder Carsharing-Agenturen keine Alternative zum eigenen fahrbaren Untersatz.

Autofahren wie Mobiltelefonieren

Mercedes will mit dem Projekt "Car2go" das Auto zumindest ein bisschen neu erfinden und ganz nebenbei den Winzling Smart verstärkt auf die Straßen bringen. Das Konzept zeigt große Ähnlichkeiten zu Nicolas Hayeks Ideen mit dem Swatch-Auto vor mehr als 15 Jahren. In Ulm startet jetzt der Probelauf - damit wird aus der ehemaligen Smart-Idee nun das lange Jahre geplante Mobilitätskonzept. Ob der Kunde applaudiert oder den Zweisitzern die kalte Schulter zeigt, soll ein mehrmonatiger Probelauf zeigen.

Zehn Jahre ist der Smart auf dem Markt. Auch wenn die Verkaufszahlen mit der zweiten Generation nach oben gehen und selbst die USA mittlerweile auf den smarten Automobilzug ausgesprungen sind - ein Erfolg ist die Umsetzung der ehemaligen Idee des Swatch-Autos noch lange nicht. Seit Mitte der 90er Jahre pumpte Mercedes-Benz Milliarden in das Projekt. Bisher mit bescheidenem Erfolg.

Zukünftig will Mercedes mit dem Smart Fortwo jedoch ins Carsharing- und Mietwagengeschäft einsteigen und damit komplettes Neuland betreten. Dabei soll eine große Anzahl von weißblauen Smarts in Großstädten zur allgemeinen Nutzung bereitstehen. Einfach einsteigen und losfahren heißt das Motto. Die Kosten sollen mit denen einer Mobilfunknutzung vergleichbar sein.

"Der Fahrer hält nur seinen speziell codierten Führerschein vor einen Sensor, steigt ein und fährt los", erklärt Projektleiter Robert Henrich das einfache Car2go-Prinzip. "Er kann so lange und so weit fahren wie er will und stellt den Wagen danach einfach wieder ab." Abgerechnet wird zum Komplettpreis pro Dauer der Anmietung. Tanken, Versicherung und Reinigung sind in dem Obolus dann bereits enthalten. "Damit machen wir Autofahren so einfach wie Mobiltelefonieren", freut sich Henrich. Eine Minute Car2go soll dabei rund 19 Cent kosten. Die Tarife pro Stunde (9,90 Euro) oder pro Tag (knapp 50 Euro) liegen unter denen der meisten Mietwagendiscounter.

Tanken, Versicherung und Reinigung sind im Preis inbegriffen

Die Hemmschwellen für eine Anmietung sollen dabei so niedrig wie möglich gehalten werden, damit die Bürger einer Stadt genauso mitmachen wie Touristen oder Geschäftsleute. Im Internet oder per Mobiltelefone kann der potentielle Kunde sich jederzeit darüber informieren, wo der nächste Car2go-Smart in der Umgebung geparkt ist. Spezielle Anmietungs- oder Abgabestationen gibt es nicht. Daher kann der Wagen nach der Anmietung auch an jedem beliebigen Ort im entsprechenden Stadtgebiet wieder abgestellt werden. Bezahlt wird über eine monatliche Rechung. "Wir sorgen dafür, dass man unsere Autos in der ganzen Stadt am Straßenrand, in Parkhäusern oder auf speziell ausgewiesenen Stellplätzen finden wird", so Robert Henrich.

Ist man am Auto angekommen, muss man seinen mit einem Codieraufkleber versehenen Führerschein gegen einen Empfänger an der Windschutzscheibe halten und die Türen werden entriegelt. Dann muss man einfach noch den Schlüssel aus dem Handschuhfach nehmen, einstecken und wie beim Handy seinen persönlichen Code eingeben. Schon kann es losgehen.

Wird der Schlüssel nach dem Abstellen aus dem Fahrzeug mitgenommen und von außen verriegelt, zeigt der Wagen etwaigen Interessenten an, dass er besetzt ist. Zur Anmietung ist er erst dann wieder frei, wenn man den Schlüssel im Handschuhfach ablegt und das Auto mit seinem codierten Führerschein wieder verriegelt. Die Carsharing-Zentrale bekommt ein Signal über Anmietungsdauer und Standort des Wagens und legt die Nutzungsgebühr fest. Wird es unterwegs einmal eng mit dem Sprit, liegt im Zauberkasten Handschuhfach auch eine Tankkarte bereit. Ansonsten sorgen die Serviceteams von Car2go dafür, dass die Wagen getankt und gereinigt werden.

Der Modellversuch für das Mobilitätskonzept Car2go startet Ende Oktober in Ulm. Hier sollen zunächst rund 500 Mitarbeiter des Daimler-Konzerns die Car2go-Idee auf Herz und Nieren im Alltag testen. Wenn es keine Probleme gibt, wird die Startflotte von 50 Smarts auf 200 aufgestockt und auf alle interessierten Einwohner von Ulm ausgeweitet. Andere Großstädte aus dem In- und Ausland haben bereits großes Interesse an dem Smart-Projekt bekundet.

Die Idee, dass in den vollen Innenstädten oftmals ein kleiner Zweisitzer reicht, ist nicht neu. Mercedes blickte mit einem Nafa-Stadtwagen in den 70er Jahren ebenso realitätsnah in die automobile Zukunft wie die Projekte BCC, Mocar oder Swatch. Beim Swatch-Auto wollte Hayek ein zweisitziges City-Fahrzeug in ein komplettes Verkehrskonzept einbinden.

Im Gegensatz zur Hayek-Idee handelt es sich bei den in Ulm eingesetzten Smart jedoch um keine Elektro- oder Hybridfahrzeuge, sondern normale Fortwo. "Der Abschied vom Statusdenken war eine Zutat im Erfolgsrezept von Swatch, und diese Idee hatten wir damals auch schon für den Smart, leider ein paar Jahre zu früh", sagt Smart-Erfinder Hayek. So ganz zufrieden ist er mit der aktuellen Lösung aber noch nicht: "Schließlich haben wir vom ersten Tag an auf Elektroautos gesetzt, und jetzt läuft das Projekt wieder nur - hoffentlich nur vorläufig - mit konventionellen Verbrennern", klagt der Schweizer.

"Natürlich eignet sich unser Projekt Car2go hervorragend für den Einsatz neuer Antriebskonzepte, wie z. B. den Elektroantrieb", so Henrich. "Wir haben uns im Rahmen des Pilotprojekts in Ulm aber für den Smart Fortwo cdi entschieden - denn er ist von allen heute erhältlichen Fahrzeugen das mit dem niedrigsten Verbrauch."

Die Idee mit dem Elektro-Citywagen wird also noch einige Zeit auf sich warten lassen. Doch der erste Schritt in Richtung eines alternativen Mobilitätskonzeptes scheint gemacht. Das weiß auch Nikolas Hayek zu würdigen. Auch wenn er seit 1998 längst außen vor ist. "Dann ist der Smart endlich dort, wo wir ihn schon von Anfang an gesehen haben: an jeder Straßenecke. Bravo Zetsche - mieux vaut tard que jamais!" (dt: "Besser spät als nie!")

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