Mobilitätskonzept car2go:Ulm fährt smart

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Das Experiment geht in die zweite Runde: In Ulm und demnächst auch in Texas testet Daimler mit car2go öffentlich ein neues Konzept für die Mobilität in Ballungsräumen. Ab jetzt kann dabei jeder mitmachen.

Jürgen Wolff

"Keine Angst", beruhigt Mercedes-Vorstand Thomas Weber: "Daimler wird kein Carsharing-Konzern mit angeschlossener Automobilproduktion." Was nicht ist, kann ja noch werden, angesichts von Kurzarbeit und Gehaltskürzungen bei Mercedes-Benz. Als Hoffnungsträger erscheinen dabei ausgerechnet die noch vor wenigen Jahren knapp an der Pleite vorbeigeschrammten Kleinwagenbauer von Smart - und ein modifiziertes Mobilitätskonzept, das schon bei der Taufe des Zweisitzers vor rund 15 Jahren Pate gestanden hat. Damals war es seiner Zeit ebenso weit voraus wie das kugelige Stadtwägelchen selbst.

200 Smarts warten ab sofort in Ulm auf ihre Nutzer. (Foto: Foto: Daimler)

Denn ganz zu Anfang schwebte den Entwicklern um den Smart-Erfinder Nicolas G. Hayek und den Konstrukteur Johann Tomforde noch viel mehr vor, als einfach nur ein kleines, buntes Auto mit der Lizenz zum Querparken. Der Smart sollte zum Nukleus werden für ein ganz neues Verständnis von Mobilität. Was die Menschen suchen, so die Vordenker damals, sei eigentlich kein Auto, sondern ein individueller und bequemer Weg, schnell und trocken von A nach B zu kommen. Ein eigenes Auto brauche man dazu eigentlich gar nicht - nur eine Flotte von Fahrzeugen, auf die man bei Bedarf zugreifen könne.

Was damals schnell vom Tisch war, wird nun in Ulm und um Ulm herum mit einem öffentlichen Feldversuch getestet. Car2go heißt das Projekt, das Anfang April mit viel Wortgeklingel in der Münsterstadt gestartet wurde. Um nicht weniger als um die "Demokratisierung von nachhaltiger Mobilität" gehe es, hat Daimlers Marketingabteilung dazu aufgeschrieben, um "Green Mobility" und "den Wandel zur postfossilen Mobilität".

Dabei braucht das Ulmer Projekt solch verbale Phrasendrescherei überhaupt nicht - angesichts verstopfter Innenstädte und vollgestellter Parkplätze legitimiert es sich fast schon von selbst.

Das Prinzip ist einfach: Wer immer ein Auto braucht, der kann es rund um die Uhr spontan gleich auf der Straße und praktisch im Vorbeigehen mieten oder per Handy oder Internet vorab buchen. Der Wagen kann dann beliebig lang genutzt und auf jedem freien öffentlichen Parkplatz im erweiterten Stadtgebiet zurückgegeben werden. Dazu kommen an zentralen Stellen eigens ausgewiesene Abstellplätze in Smartdimensionen. Das Konzept geht davon aus, dass immer innerhalb weniger Gehminuten ein freies Fahrzeug zu finden sein wird.

Das Bezahlmodell hat man sich bei den Betreibern der Handynetze abgeschaut: Eine Minute Smart fahren kostet 19 Cent - Steuern, Versicherung und Sprit inklusive. Ein Serviceteam reinigt, wartet und betankt die Fahrzeuge regelmäßig. Für das Tanken zwischendurch liegt in jedem Handschuhfach eine vorbezahlte Tankkarte. Wer nicht nach Minutentakt unterwegs sein will, der kann die car2go-Smarts auch stunden- (9,90 Euro) oder tageweise (49 Euro) mieten.

Alles, was man vorab tun muss, ist sich einmalig als Kunde registrieren zu lassen. Eine Aufnahmegebühr gibt es ebenso wenig wie eine monatliche Grundpauschale, es gibt keine Kaution und keine langfristige Vertragsbindung. Es wird nur ein kleines Siegel auf den Führerschein geklebt, das fortan als Türöffner und Kundenkarte dient. Über den Bordcomputer lassen sich vor der Fahrt Informationen eingeben, etwa darüber, wie sauber der Vorgänger das Fahrzeug hinterlassen hat.

Vorausgegangen war eine Pilotphase mit 50 Smart und den 500 Mitarbeitern des Daimler-Forschungszentrums in Ulm sowie 200 ihrer Angehörigen. Der Andrang sei enorm gewesen, sagt Projektchef Robert Henrich: "Teilweise konnte ich von meinem Bürofenster aus beobachten, wie Mitarbeiter nach Feierabend zum Parkplatz gesprintet sind, um noch ein car2go zu erwischen."

In den Spitzenzeiten sei die gesamte Flotte unterwegs gewesen und an manchen Tagen hätten bis zu acht verschiedene Kunden das gleiche Fahrzeug genutzt. Für den nun öffentlichen Test in der 120.000-Einwohner-Stadt hat Daimler 200 Smart fortwo CDI nach Ulm geschickt und über das gesamte Stadtgebiet verteilt.

Auch außerhalb Ulms sei das Interesse an car2go groß, sagt Henrich: "Inzwischen liegen zahlreiche Anfragen von Städten aus aller Welt vor." Ab Mitte des nächsten Jahres werde man ihnen das Konzept anbieten können. Internationale Erfahrung dafür will Daimler ab diesem Herbst mit 200 Smart fortwo mhd in der texanischen Hauptstadt Austin mit ihren 750.000 Einwohnern sammeln.

Die Probeläufe in Ulm und Austin werden zeigen, was aus dem Mobilitätskonzept 2.0 wird. "Wir betreiben car2go nicht unter dem Motto 'Jugend forscht'", sagt jedenfalls Thomas Weber. "Wir wollen ein neues Geschäftsfeld ausprobieren und etablieren."

Einst kassierte Mercedes die Idee von den allzeit verfügbaren Stadtwägelchen allerdings schnell wieder ein: Die Taxifahrer hatten den Schwaben mit einem erbitterten Boykott gedroht, weil sie ihr Geschäft bedroht sahen.

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