Städte der Zukunft:Vier europäische Metropolen, vier Verkehrsmodelle

Städte der Zukunft: Optimierte Mobilität per App: Helsinki tut viel, um das stetig wachsende Verkehrsaufkommen im Griff zu behalten.

Optimierte Mobilität per App: Helsinki tut viel, um das stetig wachsende Verkehrsaufkommen im Griff zu behalten.

(Foto: AFP)

Mit Apps, elektrischen Sammeltaxis oder dem Rundum-Sorglos-Mobilitätspaket: Wie Helsinki, Madrid, Hamburg und Zürich den Autoverkehr drosseln wollen.

Von SZ-Autoren

Helsinki ist eher ein Zwerg unter den europäischen Hauptstädten, doch sie wächst schnell: Bis 2050 sollen zu den 645 000 Einwohnern mehr als 110 000 dazukommen. Deswegen baut die Stadt mehrere Wohnviertel ganz neu, etwa dort, wo früher Hafengebiet war. Schon bis 2021 sollen so jährlich 6000 bis 7000 neue Wohnungen entstehen - nicht einfach in einer Stadt, die am Wasser und auf Inseln gebaut ist. Ein Ziel dabei ist: mehr Platz für mehr Menschen, aber weniger Platz für Autos.

Deren Anzahl soll trotz Wachstum abnehmen, auch wenn Meldungen, dass Helsinki eine völlig autofreie Stadt werden will, übertrieben waren. Allerdings wird das Nahverkehrsnetz stark ausgebaut. Die Stadt hofft, dass Autos für Pendler so völlig überflüssig werden. Erst im November wurde eine neue U-Bahn-Strecke eröffnet, die Helsinki mit der Nachbarstadt Espoo verbindet. Zudem soll das Tram-Netz ausgebaut werden, drei neue Brücken sollen das Zentrum mit den Laajasalo-Inseln verbinden.

Im Vergleich schneidet das Bus- und Bahnnetz in Helsinki schon heute gut ab: Zuletzt gaben 88 Prozent der Befragten in einer Studie an, dass sie zufrieden oder sehr zufrieden seien mit dem öffentlichen Nahverkehr in Helsinki. Dabei ist der nicht billig: Ein Einzelticket kostet 2,90 Euro, allerdings ist es 70 Cent billiger, wenn man es als mobiles Ticket über das Handy kauft.

Ohnehin sieht sich Helsinki als Testgebiet für ein neues Konzept: Mobility-as-a-Service (MaaS). Es beschreibt, wie öffentliche und private Anbieter zusammenarbeiten können, um den Reisenden auf bestem Weg an sein Ziel zu bringen. In Helsinki etwa kann man Trips über eine App buchen und dabei wählen, ob man mit Bus, Bahn, Taxi, Leihfahrrad oder Mietwagen fahren oder Transportmittel mischen möchte. Man zahlt alles in einem Ticket über dieselbe App. Auch das soll es einfacher machen, ohne eigenes Auto auszukommen.

Ambitionierter ist auch der Plan, Autobahnen, die aus Vororten in die Stadt führen, in Boulevards zu verwandeln. Die nehmen weniger Platz weg, und außerdem kann die Stadt an den Rändern Wohnhäuser bauen. Zwischen den Fahrspuren sollen Grünstreifen, Radwege und Tramlinien entstehen. Die Boulevards würden weniger Autos in die Stadt bringen als die Zubringer heute. Insgesamt sieben dieser Schnellstraßen wollte die Stadt umwandeln, allerdings hat das Verwaltungsgericht vier der geplanten Boulevards kürzlich abgelehnt.

Madrid: Mehr Grün, weniger Blech

Seit Monaten ist es das am heftigsten diskutierte Thema der Madrilenen: der Rückbau der Gran Vía, der Ost-West-Achse durch das Zentrum mit seinen Hochhäusern von Neobarock bis Art déco. Das breite Asphaltband aus sechs Spuren wird begrünt. Übrig bleiben in jeder Richtung eine kombinierte Bus- und Taxispur sowie eine schmale Spur in der Mitte, die sich Pkw mit Fahrrädern teilen müssen, die Geschwindigkeit ist auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt.

Das Projekt hat die regierende Linkskoalition gegen den heftigen Widerstand der Konservativen und Liberalen im Stadtrat durchgesetzt. Dabei herrscht parteiübergreifend durchaus Einigkeit darüber, dass im Zentrum der Individualverkehr stark reduziert werden müsse. Darauf zielte schon der Entwicklungsplan "Madrid 2020" ab, den vor neun Jahren die damals regierenden Konservativen verabschiedet hatten. Er ist ganz auf den Ausbau der Metro und des Busnetzes abgestellt. Bei den Stadtbussen wird schrittweise der gesamte Fuhrpark durch Fahrzeuge mit Hybridantrieb ersetzt, in einigen Randbezirken kommen bereits Elektrokleinbusse zum Einsatz.

Nur über eines wird in Madrid nicht debattiert: über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Die Stadt ist hoch verschuldet, die Mittel dafür gibt es nicht. Immerhin wird er stark subventioniert: Die Zehnerkarte kostet 12,20 Euro, die Jahreskarte rund 500 Euro. Zum Programm der gezielten Verdrängung von Autopendlern aus der Innenstadt gehört ein intelligentes Parkplatzsystem: Das Ticket weist die Autonummer aus, die Höchstparkdauer beträgt zwei Stunden, danach ist Schluss im gesamten Viertel. Der Fahrer müsste ein paar Straßen weiter einen neuen Platz suchen, was den meisten zu mühsam wäre.

Dass die linksalternative Oberbürgermeisterin Manuela Carmena in dem bisherigen Stadtentwicklungsplan viele grüne Akzente setzen ließ, kommt indes bei der Mehrheit der Madrilenen offenkundig gut an.

Die Drei-Millionen-Metropole leidet unter hoher Feinstaubbelastung. Auch die Infrastruktur für E-Autos wird weiter ausgebaut, in der ersten Stufe sind 120 Ladestationen geplant. Einige werden mit Metrostationen verbunden sein, gespeist werden sie teilweise durch Strom, der aus der Bremsenergie der Metro gewonnen wird. Schließlich fördert die Stadt auch das Carsharing bei E-Autos. Die Optimisten unter den Stadtplanern sprechen von einer grünen Zukunft Madrids. Die Chancen dafür stehen ziemlich gut.

Hamburg: Mit Hilfe der Autoindustrie

Wie in den meisten Großstädten ist die Luftqualität in Hamburg schlecht. Und in der Hansestadt verpesten nicht nur Autos und Lkw die Luft, sondern auch die Schiffe, die viele Schadstoffe ausstoßen. Hamburg braucht also besonders dringend umweltfreundlichere Mobilitätskonzepte.

Einen Grundpfeiler dafür bildet eine Partnerschaft, die die Stadt mit dem Volkswagen-Konzern eingegangen ist. Von Herbst an soll den Bürgern neben Bus und Bahn noch eine andere Alternative zum Auto angeboten werden: elektrische Sammeltaxis, die per App bestellt werden können. Die Fahrgäste müssen bereits bei der Bestellung ihr Fahrziel angeben, die App bündelt dann binnen Sekunden die Anfragen von Menschen, die in eine ähnliche Richtung wollen, und sammelt sie an festgelegten Einstiegspunkten auf. Diese virtuellen Haltestellen sieht man nur in der App, sie sind auf der Straße nicht extra gekennzeichnet. Sie sollen so angeordnet sein, dass kein Fahrgast mehr als 200 bis 300 Meter bis zu diesem Sammeltaxi zurücklegen muss.

Die für das Projekt genutzten Shuttlebusse hat die VW-Tochter Moia, die für die Ausarbeitung neuer Mobilitätskonzepte gegründet wurde, extra zu diesem Zweck entwickelt. Zum Start sollen 200 dieser Busse eingesetzt werden, später soll die Zahl auf 1000 steigen. Die Fahrzeuge werden auffällig in Goldbronze lackiert, damit sie schnell zu erkennen sind. Sowohl die Stadt als auch der Konzern versprechen sich viel von dem Projekt, nicht zuletzt für das eigene Image. Klappt es in Hamburg, will Volkswagen das Konzept auf andere Großstädte ausweiten.

Hamburg hat indes auch mit BMW und mit Daimler Vereinbarungen getroffen - dabei geht es vor allem um die schrittweise Umrüstung der Fahrzeugflotte, die beide Unternehmen für ihre Carsharing-Dienste DriveNow und Car2Go stellen. Hier sollen künftig zu einem großen Teil Autos mit E-Antrieb zum Einsatz kommen. Hamburg hat sich dafür verpflichtet, bis 2019 mehr als 1100 Ladepunkte für E-Autos im Stadtgebiet zur Verfügung zu stellen. Damit soll die Nutzung solcher Fahrzeuge besonders komfortabel gemacht werden.

Auch die klassischen Bus- und Bahnverbindungen will Hamburg attraktiver machen: So wird etwa ein Ticketsystem getestet, das automatisch erfasst, wo Fahrgäste ein- und wieder ausgestiegen sind, und das den Fahrpreis dann automatisch elektronisch abbucht.

Zürich: Luxus-Abo für Zug und E-Bike

Die Schweiz ist ein Land von Bahnfahrern. Nirgendwo sonst ist die Dichte an Generalabonnements (All-inclusive-Karten, vergleichbar mit der Bahncard 100) derart hoch wie in dem kleinen Land in der Mitte Europas, in dem fast alle großen Städte in Pendlerdistanz zueinander liegen. In Zürich, mit etwa 400 000 Einwohnern die größte Stadt der Schweiz, ist diese Liebe zum ÖV, wie der öffentliche Verkehr gern genannt wird, noch etwas größer.

Neun von 100 Einwohnern besitzen hier ein Generalabonnement, das ihnen auch freien Zugang zu den Trams, S-Bahnen und einigen Schiffen der Stadt gewährt. Weitere 43 von 100 Zürchern haben ein Halbtax, also eine Bahncard 50. Umso bemerkenswerter, wenn man die Preise für die All-inclusive-Pakete kennt: Ein Jahresabo der zweiten Klasse kostet 3340 Euro im Jahr, in der (ziemlich beliebten) ersten Klasse zahlt man sogar 5450 Euro jährlich.

Seit einigen Monaten läuft zudem eine Testphase der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), die die Mobilität der Schweizer noch einmal deutlich verändern könnte. Mit SBB Green Class bieten die Verkehrsbetriebe ein Luxus-Abonnement an, das den Kunden grenzenlose Mobilität garantieren soll: Je nach Kategorie erhalten die Kunden nicht nur Zugang zu allen Zügen der SBB, sondern ein komplettes Tür-zu-Tür-Paket. E-Bike-Flotte, Carsharing, nach Wunsch sogar ein eigenes Elektroauto, gratis Parkplätze und so weiter. Ein Prestigeprojekt für wohlhabende, umweltbewusste Städter? Tatsächlich geht es der SBB um "Pioniere", um Kunden also, die gerne als erste einen Trend entdecken und dafür auch bereit sind, gewisse Startschwierigkeiten mitzumachen. Ob sich das Abo wirklich durchsetzt, wird sich zeigen.

Zudem gibt es in Zürich zahlreiche Modellprojekte, die auf öffentlichen Verkehr, Muskelkraft und Elektromobilität setzen. Etwa die Genossenschaft Kalkbreite, die von ihren Bewohnern verlangt, aufs Auto zu verzichten. Auch die Elektro-Fahrräder fallen auf: Wer einen der Hausberge hinauffährt, wird alle paar Sekunden von einem motorisierten Einwohner überholt. Der muss nicht mal ein eigenes E-Bike besitzen. Für 25 Rappen (etwa 20 Cent) je Minute lassen sich die mehr als 200 Räder der Firma Smide ausleihen, mit denen man, so der Werbeslogan, am Berg 1,8-mal schneller unterwegs sein soll als ohne Antrieb. Das funktioniert über eine App. Wer angekommen ist, loggt sich aus und lässt das E-Bike stehen.

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