Mobilität:Stehzeuge in Bewegung

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Die Publizistin Hannelore Schlaffer nannte Orte wie den Potsdamer Platz einmal "ein Energiezentrum, das kein Leben außer sich duldet und jedes Umfeld auszehrt". (Foto: Paul Zinken/dpa)

Carsharing, Elektroautos, neue Radwege und autonomes Fahren: Wie neue Mobilitätskonzepte unsere Städte verändern.

Von Miriam Beul

Düsseldorf, 1. Juni 2017, Spatenstich für eines der größten innerstädtischen Bauprojekte Deutschlands, den "Kö-Bogen II". Die Investoren und Architekt Christoph Ingenhoven machen sich für ein kurzes Grußwort bereit. Auch der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel lässt sich diesen Termin nicht entgehen. Und rauscht mit seinem Dienstrad an: Der SPD-Politiker hat die Effektivität dieses Verkehrsmittels für sich entdeckt. So wie viele deutsche Metropolbewohner. Allen voran die in Berlin, wo die Zahl der Radfahrer die der Autofahrer bereits überholt hat. Und wo das deutschlandweit erste Mobilitätskonzept als Gesetzentwurf vorliegt, bei dem das Rad im Mittelpunkt steht. Nicht ohne Grund: Die Einstellung zum Auto ändert sich - und damit auch die Anforderungen an Immobilien und die Stadtentwicklung.

Vielen - vor allem den Jüngeren - gilt der eigene Pkw eher als Ballast. "Es geht heute darum, das Verkehrsmittel zu nutzen, das in einem Moment für den Menschen das beste ist, organisiert über eine App", sagt der dänische Architekt Kristian Villadsen, der für das Büro Gehl Architects Mobilitätskonzepte in Kopenhagen, New York und San Francisco begleitet und selbst seit Jahren kein Auto mehr besitzt. In seinem Wohnort Kopenhagen machen Radfahrer inzwischen fast 50 Prozent des gesamten Verkehrs aus.

Villadsens Credo: Autos verstopfen nicht nur die Städte und verpesten die Luft. Sie rauben vor allem Platz, der dringend für andere Nutzungen gebraucht wird. In zahlreichen Projekten des Kopenhagener Büros erhielten die Städte durch den Rückbau von Parkplätzen, Straßen und Parkhäusern wertvollen Stadtraum zurück. Mit positiven Effekten für die Entwicklung der Immobilienwerte.

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Solche Beispiele sprechen sich herum. "Was nützen die schicksten Büros, die elegantesten Hotels und edelsten Wohnungen, wenn man nur im Stau steht und sie daher nur schlecht erreichen kann?" sagt Peter Tzeschlock, Vorstandsvorsitzender des weltweit tätigen Projektmanagement-Unternehmens Drees & Sommer. Der Gütefaktor "Lage" büße an Aussagekraft ein, wenn die Erreichbarkeit nicht gesichert sei. Wobei auf das Auto nicht komplett verzichtet werden muss. Es sollte nur am besten ständig fahren. Statistiken zufolge sind Fahrzeuge aber 23 Stunden am Tag Stehzeuge. Auf der ganzen Welt liegt der Anteil der Zeit, die Autos stehen, bei 95 Prozent. In US-amerikanischen Städten sind bis zu zwei Drittel der Stadtflächen für Straßen und Parkplätze in Gebrauch. Grünflächen kommen oftmals nicht mal auf einen Flächenanteil von fünf Prozent.

"Vernetzte und selbstfahrende Autos würden den Flächenfraß minimieren, weil sie permanent in Bewegung sind. 80 Prozent der Fahrzeuge und Parkplätze in Städten werden künftig nicht mehr benötigt", sagt Alanus von Radecki, Teamleiter Urban Governance Innovation beim Fraunhofer IAO in Stuttgart.

Wird aus der autofreundlichen Stadt bald eine menschenfreundliche? Eine Reihe von autofreien Wohnquartieren existiert bereits, so etwa in Freiburg-Vauban oder die Siedlung Weißenburg in Münster. In Wuppertal wird derzeit sogar über einen autofreien Stadtteil diskutiert. Bis zum Jahr 2027 könnte Elberfeld Fußgängern, Radfahrern und einer Handvoll E-Autos gehören. So stellt sich jedenfalls eine Forschungsgruppe um Professor Oscar Reutter die Zukunft für den 4,5 Quadratkilometer großen Stadtteil mitten in Wuppertal vor. Betroffen wären 1400 Betriebe und 39 000 Menschen, elf Prozent der Stadtbevölkerung. Die Mobilitätsangebote der Stadt müssten sich dafür radikal ändern, heißt es im Impulspapier des Wuppertal-Instituts. Zusätzliche Radwege müssten her, ebenso Fahrradparkhäuser, das Nahverkehrsnetz- und Carsharing-Angebot müsste ausgeweitet werden.

Den Paradigmenwechsel bekommen Projektentwickler vielerorts bereits zu spüren, einige sorgen auch vor. So der Ratinger Wohnungsentwickler Interboden. Im Neubauquartier "Belle-Rü" im Essener Szene-Stadtteil Rüttenscheid hat das Unternehmen Mobilitätswünsche der Wohnungskäufer berücksichtigt. So wird jeder Tiefgaragen-Stellplatz mit einem Elektroanschluss zur Installation einer Walbox ausgestattet. "Wir gehen davon aus, dass Rüttenscheid eine hohe E-Fahrzeugdichte bekommen wird. Weil man die Stationen kaum nachrüsten kann, sehen wir die Anschlüsse dafür jetzt schon vor", sagt Interboden-Geschäftsführer Rainer Götzen.

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Aus Sicht von Kruno Crepulja, Chef der Instone Real Estate Group, dominieren Mobilitätsfragen die Neubauplanung von Wohnimmobilien zwar noch nicht. Aber er sieht einen Trend, Mobilitätskonzepte in Planungen zu integrieren. "Zum einen wird E-Mobility in Form von Elektroladestationen nachgefragt, und zum anderen brauchen wir in einer Innenstadtlage nicht mehr zwangsläufig zwei Pkw-Stellplätze pro Haushalt", sagt Crepulja.

"Gerade in den Großstädten reisen die wenigsten mit dem eigenen Auto an. Dafür nimmt die Nachfrage nach leihbaren E-Autos seitens der Hotelgäste zu. Es gibt Betreiber, die darauf reagieren. Aber ein Massentrend ist das noch nicht", lautet die Einschätzung des Executive Vice President, Hotels & Hospitality Group von JLL Germany. Mit der Betonung auf "noch". Architekten wie Jan-Oliver Meding, Geschäftsführer des Architekturbüros MPP GmbH, stellen sich schon heute auf eine neue Art von Städtebau ein: "Neue Transportmittel verändern die urbane Architektur: Elektroautos beziehen ihren Strom aus energetisch autarken Immobilien, für Fahrräder entstehen Bike Hubs. Es entstehen neue Immobilientypen mit andersartigen Geschäftsmodellen."

© SZ vom 29.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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