Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz und Mobilität:"Mir hat jemand ein 'Klimakiller'-Schild ans Auto gehängt"

Der eine fährt SUV und Elektroauto, andere organisieren ihr Leben komplett ohne eigenen Pkw. Fünf Menschen erzählen, was Mobilität in ihrem Alltag bedeutet.

Protokolle von Christina Kunkel

Mobilität betrifft die Menschen konkret, denn sie wollen oder müssen sich bewegen. Heute mehr als je zuvor. So entsteht immer mehr Verkehr mit vielen Emissionen, die unter anderem das Klima belasten. Müssen die Menschen künftig ihre täglichen Wege anders bewältigen? Viele wollen, aber das ist manchmal gar nicht so einfach.

Andrea Bierschneider-Jakobs, 53, München

Auf das Häuschen im Grünen habe ich bewusst verzichtet und bin direkt in die Stadt gezogen, um möglichst nahe an meinem Arbeitsplatz zu sein. Dafür nehme ich als Stadtbewohnerin den Lärm und Dreck in Kauf, den andere mit ihren Autos vor meiner Tür verursachen und lebe auf weniger Fläche. Gleichzeitig spart der geringe Arbeitsweg täglich Lebenszeit und schont meine Nerven.

Als Naturwissenschaftlerin habe ich schon Anfang der neunziger Jahre Vorträge gehört, in denen die Folgen des Klimawandels dargestellt wurden. Das konnte ich einfach nicht ignorieren. Ich wollte zeigen, dass ein nachhaltiges, glückliches Leben möglich ist und deshalb habe ich vor 18 Jahren das eigene Auto abgeschafft. Auch Flugreisen oder Kreuzfahrten kommen für mich nicht infrage. Das war eine Umstellung. Als Alternative habe ich Carsharing genutzt, doch auch diese Fahrten sind über die Jahre immer weniger geworden. Heute nutze ich das noch ab und zu für den Großeinkauf im Baumarkt oder für eine Fahrt in die Berge. Für den Rest reichen mir das Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel. Man lernt, sich anders zu organisieren. Im Sommer kaufe ich eher dort ein, wo ich mit dem Rad gut hinkomme, bei schlechtem Wetter fahre ich zu den Geschäften mit gutem Anschluss an den ÖPNV. Im Urlaub unternehme ich ausgedehnte Radreisen in Kombination mit der Bahn. Hierdurch habe ich viel Bewegung, das hält mich fit und gesund.

In meinem Umfeld halten mich viele für verrückt. Sie wollen ihren Lebensstil nicht ändern, regen sich aber gleichzeitig auf, dass die Städte immer voller werden. Ich könnte mir auch ein Auto leisten, trotzdem spare ich durch die viel geringeren Mobilitätskosten, die für mich und meinen Mann bei etwa 2000 Euro pro Jahr liegen. Attraktiver und bequemer öffentlicher Nahverkehr könnten helfen, dass mehr Leute in der Stadt ihr privates Auto abschaffen. Doch eigentlich ist es auch jetzt schon kein Problem, ohne eigenes Auto klar zu kommen.

Klaus Bernard, 62, Hamburg

Man sollte Autofahrer einmal Protokolle schreiben lassen über ihre Erlebnisse und nicht nur Bahnfahrer. Ich glaube, dann würde man sehen, dass man mit dem Auto genauso viele stressige Situationen erlebt wie mit dem Zug. Nur bei der Bahn hat man jemanden, dem man die Schuld zuweisen kann. Da fällt es leichter, darüber zu schimpfen. Ich habe seit 1995 kein Auto mehr. Das war damals nicht aus einem Umweltgedanken heraus. Mein altes Auto ist einfach kaputt gegangen. Und eigentlich habe ich es zuvor kaum noch benutzt.

Ich wohne schon lange in Hamburg, da komme ich überall mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln hin. Auch mit Kindern war es nie ein Problem, ohne Auto zurechtzukommen. Und wenn es doch einmal nötig war, wie für einen Umzug, dann habe ich mir ein Auto über Carsharing gemietet. Wichtige Einrichtungen wie Supermärkte oder Ärzte sind fußläufig oder mit anderen Verkehrsmitteln zu erreichen. Urlaube muss man ein bisschen anders planen, weil man nicht so viel mitnehmen kann, wenn man mit der Bahn oder dem Rad wegfährt.

Beruflich nutze ich hauptsächlich die Bahn. Ich bin oft auf Baustellen unterwegs, viele liegen nicht direkt in der Großstadt. Mit ein bisschen Planung komme ich trotzdem überall ohne Auto hin. Ich sehe dabei die längeren Fahrzeiten mit dem Zug nicht als Nachteil, weil die Zeit dabei für mich nicht verloren ist. Ich kann im Zug arbeiten oder andere Dinge tun - das geht im Auto nicht. Ich erlebe dagegen, dass immer mehr Autos in meiner Nachbarschaft parken. Um das zu ändern, müsste man Autofahren wohl teurer machen, vor allem in der Stadt. Gleichzeitig muss der Nahverkehr billiger werden - und die Preise müssen einfacher zu verstehen sein. Wer sich nicht gut mit den Preissystemen auskennt, zahlt oft mehr als regelmäßige Bahnfahrer.

Dieter Ring, 51, Garstedt

Ich pendele sechsmal die Woche rund 42 Kilometer mit dem Auto nach Hamburg. Natürlich ist das selbst gewählt, wir wollen unbedingt auf dem Land wohnen, mitten in der Natur. Eine Alternative zum Auto gibt es bei meiner jetzigen Arbeitssituation nicht. Als Musiker fange ich erst abends an zu arbeiten. Wenn ich danach nach Hause kommen möchte, fährt gar kein Zug mehr. Zumal ich sowieso die zwölf Kilometer zum Bahnhof mit dem Auto überbrücken müsste. Selbst wenn ich tagsüber arbeiten würde, bräuchte ich etwa doppelt so lang mit dem ÖPNV als mit dem Auto.

Ich mache mir Gedanken, wie ich meinen Teil zum Klimaschutz beitragen kann. Ich muss ja nur aus dem Fenster schauen und sehe, wie die Natur stirbt. Ich habe zum Beispiel kein Interesse an Reisen, das letzte Mal bin ich vor fast 30 Jahren geflogen. Ich vermeide unnötige Autofahrten. In meinem Umfeld sehe ich allerdings nicht, dass sich die Einstellung der Menschen ändert. Viele gehen weiter auf Kreuzfahrt oder fliegen für einen Kurztrip nach Spanien. Aus meiner Sicht bräuchte es schon Verbote, um Menschen zum Umdenken zu bringen.

Ich bin für ein Tempolimit oder dafür, dass große Autos deutlich teurer werden. Aber das ist politisch nicht durchsetzbar, weil diese Partei dann nicht gewählt würde. Dabei ist es unrealistisch, dass in ländlichen Gebieten der Nahverkehr so ausgebaut wird, dass es für alle Bedürfnisse passt. Das wird keiner bezahlen können. Für mich ist deshalb der nächste Schritt, dass ich meinen alten Diesel durch ein gebrauchtes Elektroauto ersetze. Wir haben eine Solaranlage auf dem Dach, über die wir den Strom für das Auto erzeugen können. Auch wenn ich mich frage, ob der Umwelt damit geholfen ist, wenn mein altes Auto dann irgendwo anders auf der Welt weitergefahren wird.

Frank Feil, 33, Mühlacker

Ich wohne in einer Kleinstadt zwischen Stuttgart und Karlsruhe. Wir haben ein SUV und ein Elektroauto. Den Strom für das E-Auto erzeugen wir mit unserer eigenen Solaranlage. Ich finde es absurd, dass man sofort angefeindet wird, wenn man ein großes Auto fährt. Eine sachliche Debatte zur Mobilität ist heutzutage leider oft nicht möglich. Neulich hat mir jemand ein "Klimakiller"-Schild an mein Auto gehängt. Mit solchen Aktionen verhärtet man nur die Fronten, bringt aber niemanden dazu, sich klimafreundlicher zu verhalten. Das SUV nutze ich vor allem dienstlich, wo ich oft lange Strecken fahren muss. Dass es so ein Wagen geworden ist, lag vor allem am Komfortgedanken: die hohe Ladekante, das Platzangebot, das Fahrverhalten auf langen Strecken. Und da ich selten in der Großstadt unterwegs bin, sind für mich Platzprobleme selten ein Thema. Würde ich in Berlin leben, hätte ich vermutlich ein kleineres Auto. Wenn der Leasingvertrag für mein jetziges Auto ausläuft, werde ich wohl das SUV durch ein Elektroauto ersetzen.

Ich bin beruflich viel unterwegs. Theoretisch würde das mit dem Zug gehen, doch dafür müsste die Bahn deutlich zuverlässiger und schneller werden. Wenn schon die Regionalbahn nach Stuttgart bei fünf Fahrten mindestens zweimal so verspätet kommt, dass ich den Anschluss verpasse, dann ist das keine Alternative.

Abseits der Schnellstrecken ist man mit der Bahn oft viel länger unterwegs als mit dem Flugzeug oder dem Auto. Dazu kommen die hohen Zugticketpreise. Gerade wenn man mehrfach umsteigen muss, sind die Unwägbarkeiten im Bahnverkehr viel größer, als wenn ich mit dem Auto fahre. Dabei geht es anders. Das habe ich erlebt, als ich einen Monat in London wohnte. Dort habe ich mein Auto kaum vermisst, weil der Nahverkehr super funktioniert. Wenn man aber fern einer Großstadt lebt und einen langen, unregelmäßigen Arbeitsweg hat, dann wird es weiterhin kaum ohne Auto gehen.

Sabine Rothe, 54, Berlin

Ich lebe mit meiner vierköpfigen Familie in der Stadt und wir haben ein Auto. Das liegt daran, dass ich zu meiner Arbeitsstelle in eine brandenburgische Kleinstadt pendeln muss. Mein Mann kann problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, auch meine Kinder fahren mit Bus und Bahn. Wenn beide Ehepartner arbeiten, muss man oft einen Kompromiss finden. Wir haben unsere Wohnungen immer danach ausgewählt, dass wir einen guten Anschluss zu Bus und Bahn haben. Aber aktuell ist es für mich einfach zu umständlich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Mit dem Auto brauche ich für die 70 Kilometer rund eine Stunde, mit Bahn und Bus wären es zwei Stunden, wobei ich dreimal umsteigen müsste.

Deshalb überlege ich, wie ich zumindest mein Auto optimieren kann. Ich würde auch eine hässliche Gurke fahren, wenn sie nur drei Liter verbraucht. Über ein Elektroauto habe ich nachgedacht, aber das halte ich im Moment für zu teuer. Zudem gibt es bei uns in der Gegend keine Lademöglichkeiten.

Hier in Berlin könnte der Nahverkehr verbessert werden durch eine engere Taktung im Innenstadtbereich und wenn für die Pendler von außen mehr Schienen- statt Busverkehr gebaut würde. Damit es erschwinglich bleibt, bin ich für die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets wie in Wien. Das könnte helfen, mehr Menschen weg vom Auto zu bringen.

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