Verkehr handelt von Straßen und Fahrzeugen, Mobilität schließt zusätzlich Lebensstile, Verhaltensweisen und Gewohnheiten ein. Bis in die 70er Jahre wurden verkehrstechnische Systeme geplant indem Fahrzeuge und Fahrwege aufeinander abgestimmt wurden. Auf steigende Verkehrsbelastung, da immer mehr Autos über die Straßen rollten, wurde mit dem Ausbau von Straßen geantwortet. Und in der Tat wuchs der Fahrzeugbesitz zügig. Der Zuwachs im Bereich der Autonutzung stand für gesellschaftlichen Fortschritt, und für junge Menschen war es normal, mit 18 Jahren den Pkw-Führerschein zu machen um anschließend ein eigenes Auto zu besitzen.
Der Verkehr wandelt sich ständig. Momentan nimmt die Tendenz ab, die eigene Mobilität mit einem einzigen Verkehrsmittel zu organisieren. Fahrzeuge werden immer häufiger wegabhängig ausgewählt.
(Foto: DPA)Trotz des Angebots, den Führerschein schon mit 17 zu erwerben, verzichtet in den Städten heute eine wachsende Zahl junger Erwachsener auf ein eigenes Auto. Zwei Drittel der jungen Menschen lebt in der Stadt und organisiert fortschreitend die eigene Mobilität multimodal, das heißt, dass wegeabhängig verschiedene Fahrzeuge genutzt werden. Jugendliche in Großbritannien, Japan, Spanien und in den USA machen das ebenso. Dass Mobilitätsangebote kombiniert werden, zeigt ein verändertes Verkehrsverhalten an. Die Prognose: Sobald Elektroautos alltäglich sind, wird es lange Urlaubs-Autofahrten seltener geben, begrenzte Reichweiten der Fahrzeuge sprechen für die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel.
Die Wende von der Verkehrs- zur Mobilitätsforschung
Auch das Verhältnis zur Straße wird neu geordnet. Schon von den 70er Jahren an wurde für Spielstraßen und Fußgängerzonen oder erste verkehrsberuhigte Wohnstraßen dem Auto die Straße weggenommen. Doch trotz solcher Experimente dominierte bis in die 90er hinein eine technisch akzentuierte Verkehrsforschung. Die Bestandserhebung zum Verkehrsgeschehen wurden 1976, 1982 und noch 1989 unter der Überschrift "kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten" (KONTIV) realisiert. Erst danach wurden sie mit "Mobil in Deutschland" überschrieben. Ganz nebenbei wird so auf soziale Aspekte des Unterwegsseins hingewiesen.
Die Wende von der Verkehrs- zur Mobilitätsforschung hat mit einem gewachsenen Bedürfnis nach flexibler Erschließung von Lebensräumen zu tun. Wo und wie arbeiten Menschen? Wie steht es um die Schulwege, wo essen Kinder, zu Hause, in der Schule, wie funktioniert Betreuung nach dem Unterricht? Wie sehen die Anschlussaktivitäten aus? Dies sind zugleich die zentralen Fragen nach der Multilokalität der modernen Gesellschaft.
Die Autohersteller interessieren sich nun für den Lebensstil ihrer Kunden
Nun lassen sich Autohersteller seit langem von der Psychologie und Soziologie beraten. Neu ist, dass sie diese Experten nun auch befragen, um mehr über Lebensstile und Lebenssituationen zu erkunden. Warum kommt dieser Perspektivenwechsel gerade jetzt? Gewandelte Lebenswelten, in denen die Menschen heute leben, spielen hier eine zentrale Rolle, und die sind flexibel und hoch dynamisch. Arbeits- und Lebenswelten verändern sich und produzierten multilokale Verhältnisse. Diese vielschichtigen Verhältnisse können nicht mehr mit einem Fahrzeug bedient werden. Verkehrsmittel werden, abhängig von besonderen Umständen, also bedürfnisbezogen ausgewählt und genutzt.
Wie sehen moderne Lebenswelten aus? Sie sind flexibel und nutzen deshalb immer häufiger unterschiedliche Fahrzeuge. Einfache klar konturierte Lebensformen verschwinden. 3,8 Millionen Menschen ziehen jährlich in Deutschland um, aber es ziehen nicht mehr Menschen um als vor 30 Jahren, etliche vermeiden den Umzug und pendeln stattdessen. 40 Prozent der 25- bis 45-Jährigen leben als Singles, sie repräsentieren also einen mobilen Freizeitalltag. Vermutlich lebt annähernd der Rest in einer Partnerschaft. Dabei muss es sich nicht um die Familie klassischen Zuschnitts handeln.
Auch hier sind die Lebensmodelle variantenreich. Die Zahl der Patchworkfamilien wächst. Das heißt aber, dass es neben dem innerfamiliären Leben eines gibt, das durch die Bezüge zu Vätern oder Müttern der Herkunftsfamilie entsteht. Dies betrifft die Scheidungskinder, also etwa 150 000 in Deutschland. Eine andere Lebensform sind die LAT's (Living apart together). Etwa jede siebte Partnerschaft ist so organisiert, sie stellt eine bedeutende Teilgruppe der zum Wochenende fahrenden Fernpendler.
Auch die Zahl der Personen die in Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, stieg in den letzten Jahren enorm an. Derzeit arbeiten etwa 7,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so. Wer aber einen Minijob hat, geht vermutlich noch anderen Beschäftigungen nach. Zugleich steigt die Zahl der in befristeten und/oder teilzeitlichen Arbeitsverhältnissen Beschäftigten. Wer aber einer befristeten Tätigkeit nachgeht, kann wiederum keinen langfristigen Kreditvertrag für den Autokauf abschließen. Und wer zum Wochenende mal schnell 400 oder 600 Kilometer pendelt, wird die Reise nicht zwingend mit dem Personenwagen zurücklegen - nicht zuletzt aus Kostengründen.