Mobile Senioren:Generation Halbgas

Autofahrende Senioren sehen sich dem Vorurteil ausgesetzt, auf der Straße nur hinderlich, mitunter gefährlich zu sein - ein Kongress beschäftigte sich mit der veränderten Mobilität einer immer älter werdenden Gesellschaft.

Marion Zellner

Das Alter als Abstieg betrachten ist genauso ungehörig, wie in der Jugend nur ein Versprechen zu sehen. Jedes Alter ist einer besonderen Vollkommenheit fähig." Was der französische Schriftsteller André Gide einst in sein Tagebuch schrieb, sieht die heutige Gesellschaft weitgehend anders.

"In Deutschland ist es ein Reflex, negativ über Alte zu reden", sagte Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie von der Uni Zürich. Alt sein werde nicht mit Erfahrung, Vernunft und Gelassenheit assoziiert, sondern mit Vergreisung, Krankheit und Isolation.

Bei den 4. Internationalen Verkehrstagen an der Bergischen Universität Wuppertal beschäftigten sich jetzt Experten mit der Mobilität einer alternden Gesellschaft. Denn der demographische Wandel - immer mehr Alte, immer weniger Kinder - hängt wie ein Damoklesschwert über uns: Jeder will alt werden, doch niemand will alt sein.

Das Auto als letzte Verbindung zur Gesellschaft

An der Mobilität zeigt sich die Brisanz dieses Themas besonders gut, denn vor allem die Fortbewegung mit dem Auto, das in Deutschland einen hohen Stellenwert hat, gilt als Synonym für persönliche Aktivität und damit soziale Zugehörigkeit.

"Am Führerschein festzuhalten, ist oftmals die letzte Möglichkeit, um nicht total von der Gesellschaft und dem Leben ausgeschlossen zu werden", so die Soziologin Gudrun Haindl, die an dem EU-Projekt SIZE mitgearbeitet hat, das in acht EU-Ländern die Lebensqualität von älteren Frauen und Männern im Zusammenhang mit Mobilität untersuchte.

Dabei stellte sich auch heraus, dass selbst die gute Verfügbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln die Senioren nicht dazu bewegen, den Führerschein abzugeben.

Generation Halbgas

Ältere Autofahrer sehen sich dem Vorurteil ausgesetzt, auf der Straße nur hinderlich, mitunter gefährlich zu sein. Die Statistik spricht eine andere Sprache - Senioren treten bei Unfällen nicht markant in Erscheinung.

Doch spektakuläre Unfälle von betagten Autofahrern werden als Grund für die Forderung ins Feld geführt, von einem bestimmten Alter an ihre Leistungsfähigkeit verpflichtend überprüfen zu lassen. Oder - oft an Stammtischen gefordert - die Finger gleich ganz vom Steuer zu lassen.

Die Mobilität wird steigen

Dabei bedenken die meist jüngeren Kritiker nicht, dass genau sie es sind, die in ein paar Jahrzehnten die Alterspyramide auf den Kopf stellen werden. Denn, so Björn Dosch, Leiter des Ressorts Verkehr beim ADAC, im Jahr 2050 wird es mehr als acht Millionen Deutsche geben, die über 80 Jahre alt sind - das sind diejenigen, die heute etwa 40 Jahre alt sind.

Und obwohl es immer weniger Nachwuchs geben wird, also die Bevölkerungszahl gegenüber heute mehr oder minder stagniert, wird die Mobilität laut Dosch eher steigen, denn: "Mehr Menschen, vor allem Frauen, werden einen Führerschein haben, mehr werden ein eigenes Auto besitzen und die meisten sind im Schnitt länger gesund."

Doch was bedeutet diese Entwicklung für die Sicherheit im Straßenverkehr? Jürgen Gerlach, Professor am Fachzentrum Verkehr der Uni Wuppertal, ist fest davon überzeugt, dass Sicherheit für alle Menschen machbar sein muss, denn: "Aufgrund einer Ortsveränderung zu verunglücken, das kann doch nicht sein." Voraussetzung sei allerdings, dass das komplexe System Verkehr "für alle Menschen begreifbar ist".

Und genau hier beginnen die Schwierigkeiten, den jeweiligen Bedürfnissen und individuellen Fähigkeiten aller gerecht zu werden. Jeder Mensch baut im Laufe seines Lebens ab - der eine deutlich früher, der andere wesentlich später.

Und: "Viele Probleme kommen schleichend und werden oft nur schlecht bemerkt", so Bernhard Schlag, Professor für Verkehrspsychologie an der Uni Dresden. So etwa die Fähigkeit, wichtige, für einzelne Verkehrssituationen relevante Dinge in der eigenen Aufmerksamkeit zu bevorzugen, während unwichtige Dinge ausgeblendet werden können.

Bei Älteren lässt diese Fähigkeit nach, was, so Schlag "im Straßenverkehr ganz schlecht ist". Tests haben etwa gezeigt, dass jüngere und ältere Autofahrer ohne Ablenkung, etwa durch ein Telefonat während der Fahrt, gleich gut reagieren. Werde aber telefoniert, schnitten die Senioren bei der Reaktion erkennbar schlechter ab und verlangsamten deutlich ihr Fahrtempo.

Generation Halbgas

Aufgrund der altersbedingten Defizite verursachen ältere Fahrer ganz spezifische Unfälle. "Dabei spielen Knotenpunkte eine wesentliche Rolle", sagt Rainer Wiebusch-Wothge vom Lehrstuhl Verkehrswesen an der Ruhr-Universität Bochum.

Bei einem Forschungsprojekt für die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) zeigte eine Unfallanalyse, dass Vorfahrtsverletzungen im Vordergrund stehen. Besonders deutlich war das Fehlverhalten bei den über 75-Jährigen festzustellen. Aber auch beim Linksabbiegen und -einbiegen "wird der ältere Autofahrer im Unfallbild auffällig".

"Wir werden beeinträchtigt"

Doch nicht immer geht der Konflikt vom älteren Verkehrsteilnehmer aus, auch die Infrastruktur macht es den Menschen schwer, sich sicher zu bewegen. So meinte Jürgen Gerlach: "Wir sind nicht beeinträchtigt, wir werden beeinträchtigt."

Ein wichtiger Part kommt dabei den Verkehrsplanern zu. So berichtete Dirk Boenke vom Fachzentrum Verkehr der Bergischen Universität Wuppertal, dass sich bei einem soeben abgeschlossenen Forschungsprojekt zeigte, dass Senioren klare Vorstellungen zur Verbesserung der Infrastruktur haben.

Die Senioren betonten, dass sie sich mehr Fußgängerampeln und Querungen wünschten und dass die Verkehrsführung durch eindeutige Zeichen und leicht verständliche Schilder verbessert wird. Das gelte auch für öffentliche Plätze wie Bahnhöfe, die viel Licht, große Hinweisschilder und einfach zu bedienende Fahrkartenautomaten haben sollten.

Auch das Auto selbst muss sich wandeln

Da aller Erkenntnis folgend, die künftigen Senioren bevorzugt im Auto unterwegs sein werden, muss auch das Fahrzeug selbst einem Wandel unterzogen werden. So betonte Olivier Lenz vom europäischen Büro der FIA in Brüssel, dem Internationalen Dachverband der Automobilklubs, dass Assistenzsysteme wie Parksensoren, Navigationsgeräte, aber auch Kollisionswarner ebenso hilfreich seien, wie angepasstes Design mit großen Türen, hohe Sitzposition für die Insassen und klar ablesbare Instrumente.

Auch wenn Marketing-Experten der Autohersteller nie den Begriff "Seniorenauto" verwenden würden, so haben viele dieser elektronischen Helfer heute schon im Auto Einzug gehalten.

Wie ein auf die Bedürfnisse Älterer modifizierter Wagen aussehen könnte, zeigte kürzlich die Fachzeitschrift AutoBild mit einem Golf 60 Plus, der am Computer entworfen mit großen elektrischen Schiebetüren, viel Fensterfläche für gute Rundumsicht, schwenkbaren Vordersitzen für erleichterten Einstieg, niedriger Ladekante, verständlichen Instrumenten und Symbolen, Servolenkung und SOS-Notfalltaste rundum auf Komfort und leichte Handhabung ausgerichtet ist.

Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist und heute niemand mit absoluter Sicherheit sagen kann, wie sich die Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten tatsächlich entwickeln wird, so hat Jürgen Gerlach sicher recht, wenn er sagt: "Wir müssen jetzt etwas tun, denn schwach sind wir irgendwann alle."

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