Unterwegs mit dem Daimler-Chef:Luxus emotionalisieren

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"Wir müssen die ursprüngliche Erfindung neu erfinden," sagt Daimler-Chef Källenius und meint damit das Auto. Nur wie? (Foto: Patrick Scheiber/imago images)

Daimler-Chef Ola Källenius muss vor allem eines: Das Unternehmen verschlanken, um es fit zu machen für die Zukunft. Dabei soll die sportliche Submarke AMG eine besondere Rolle spielen.

Von Georg Kacher

Kurz vor dem Start wechselt Ola Källenius vom blauen Sakko in den bequemen Pullover - ein Signal dafür, dass ab sofort Gleiten statt Hetzen angesagt ist. Weil er stets die elektrische Restreichweite des S 580 e im Blick hat, hält sich der 51-jährige Daimler-Chef auf der A 81 Richtung Singen stoisch an die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Dabei hat der gelernte Betriebswirt drei Jahre lang die sportliche Submarke AMG geleitet, ehe er zum Vertriebsvorstand und wenig später zum obersten Entwickler berufen wurde. Im Mai 2019 übernahm er von Dieter Zetsche den Vorstandsvorsitz der Daimler AG, 17 Monate später präsentierte er seine Strategie 2025. Was außer sparen, kürzen, verschlanken und abbauen hat die neue Nummer Eins vor? Die Antwort kommt rasch und präzise: "Aus Covid lernen, wie die neue digitale Normalität aussehen könnte. Technologien mit Potenzial heben und schnell einführen. Die Zukunft des modernen Luxus aktiv gestalten und durch wegweisende Inhalte emotionalisieren."

Der Chef schwärmt von den Innovationen

Zwischen zwei Gedanken überkommt den Herrn über 300 000 Beschäftigte plötzlich der Spieltrieb - Komfortsitze mit zehn verschiedenen Massagefunktionen, Scheinwerfer mit 2,6 Millionen Lichtpixeln, ein Soundsystem mit 31 Lautsprechern, da muss man doch ins Schwärmen kommen. Auch wenn nicht alles Gold ist, was in der Nachmittagssonne glänzt und glitzert. Die Van-Sparte steckt immer noch tief in den roten Zahlen, Überkapazitäten und Absatzschwächen untergraben das Verhältnis von Aufwand und Ertrag, die alte Schule hat so ihre Probleme mit der neuen Auto-Welt. Beispiel gefällig? Der Startschuss für die vollelektrische EVA 2-Architektur (sie bedient zunächst vier verschiedene Modelle) fiel 2014, die heiße Phase der Entwicklung begann 2017, der Serienanlauf ist für 2021 terminiert. Sieben Jahre Vorlauf für sieben Jahre Laufzeit bei Technologiesprüngen im 24- bis 36-Monate-Rhythmus, wie soll das funktionieren? "Stimmt, die Innovationsschritte werden immer kürzer. Deshalb müssen wir die Variabilität der Komponenten und Schnittstellen erhöhen."

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Themenwechsel. Auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Mercedes-Formel 1-Engagements gibt Källenius sofort Kontra: "Ein Rückzug ist für uns aktuell keine Option. Der Medienwert und die Reichweite bei den sozialen Medien ist unschlagbar, keine andere Fangruppe wächst ähnlich schnell. Für uns ist die Formel 1 keine profane Kostenstelle, sondern ein Vermögenswert mit Zugewinnpotenzial und Abstrahleffekt auf die ab 2021 elektrifizierte AMG-Palette." Für den Daimler-Chef sind solche Abstrahleffekte wichtig, wenn es um die künftige Pole Position in der Königsklasse geht. Beim Ausbau der Submarken soll vor allem AMG von der Rennerei profitieren. Den Anfang macht hier das Project One Hypercar, dem ein batteriebetriebener Project Two Super Stromer folgen könnte. Am Formel E-Engagement wollen die Stuttgarter trotzdem festhalten.

Weil Mercedes mit kompakten und relativ günstigen Autos nicht genug Geld verdient, stehen die A-Klasse-Limousine, die B-Klasse und der CLA Shooting Break auf der Abschussliste des Vorstands. Gleichzeitig werden die Markenwelten von Maybach, G, EQ und AMG massiv aufgerüstet, wobei jede einzelne Submarke ihren eigenen Chef bekommt. Da sind Grabenkriege geradezu programmiert, denn das Budget soll in Summe gedeckelt werden, und die Kernmarke Mercedes hat per se Priorität. Entsprechend hoch ist die Anspannung in den für Portfolio und Produktion, Architekturen und Aggregaten zuständigen Steuerungsgremien. Wer darf was und wer entscheidet, wer koordiniert und filtert, wer definiert und implementiert übergreifende Stellschrauben wie Software, Batterietechnik und die nächste Evolutionsstufe des Baukastenprinzips? Der Vorstandsvorsitzende gibt sich entspannt und verweist auf die bis 2025 leicht reduzierten, aber im Premiumbereich immer noch konkurrenzlos hohen Investitionen von geschätzt zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Auf die Bitte, das Submarkenkonzept im Detail zu erläutern, folgt eine längere Denkpause ohne O-Ton.

Der neue Chef in seinem Element: Auf der Automesse IAA im vergangenen Jahr präsentiert Ola Källenius den Vision EQS. (Foto: Boris Roessler/dpa)

"Mercedes ist gut vorbereitet. Fast alle Verbrenner sind neu; die Kosten der Weiterentwicklung sind überschaubar. Die Submarken müssen vor allem über die Rendite wachsen, weniger über das Volumen. Drei Beispiele: Maybach bekommt neben der Limousine auch ein GLS-Derivat. AMG bekommt seine eigene Elektro-Architektur. G bekommt mit dem vollelektrischen EQG ein zweites Standbein."

Fünf eigenständige AMG-Modelle?

Doch selbiges scheint zu hinken, denn die elektrische Reichweite des Schwergewichts wird mit bescheidenen 200 Kilometer kolportiert. Offen auf dem Tisch liegen die Detailplanungen der Satelliten nicht, aber wer sich hinter den Kulissen umhört, erfährt einiges. Demnach stellt AMG den SL und den GT-Nachfolger zeitnah auf eine gemeinsame Alu-Plattform, arbeitet gemeinsam mit Rimac an hochwirksamen Rundzellen-Akkus mit bis zu 125 kWh Leistung, will zwei oder drei 250 kW starke E-Motoren verbauen und denkt über nicht weniger als fünf eigenständige AMG-Modelle nach - die Fantasie des Affalterbacher Think Tank reicht vom Elektro-SUV bis zum emissionsfreien Sportwagen. Källenius will dazu nichts sagen. Man solle sich überraschen lassen. Der Daimler-Chef sieht AMG mittelfristig auf Augenhöhe mit Porsche.

In einer Zeit, in der auch im Luxussegment Nachhaltigkeit propagiert wird, müsste sich die Marke Maybach, die sich ganz offen der Opulenz verschrieben hat, eigentlich schwertun. Doch weil Europa nicht mehr das Maß aller Dinge ist, verkaufen sich die mit viel Bling dekorierten Dickschiffe in China und Amerika hervorragend, soziale Akzeptanz hin oder her. Während Källenius hinter den kolportierten Maybach auf Basis der langen E-Klasse ein Fragezeichen setzt, würden ein viersitziges Cabrio, ein coupéartiger XL-SUV und ein edler Crossover mit Limousinensilhouette wohl durchaus ins Konzept passen. In Sachen G hat Mercedes mit dem EQC 4x4² kürzlich eine interessante Studie vorgestellt, die auch eine Nummer größer auf EQE-Basis einen betont zeitgeistigen Kontrapunkt zum kantigen Klassiker setzen könnte. Alternativ dazu wird ein kompakter G auf Basis der künftigen kompakten MMA 1 Modul-Matrix diskutiert, der mit drei Antriebsvarianten (Benziner, vollelektrisch, Plug-in-Hybrid) für alle Eventualitäten gerüstet wäre.

Welche Rolle spielt Aston Martin in der Mercedes-Zukunftsplanung? "Wir sind Partner, Zulieferer und Anteilseigner", erklärt Källenius und wechselt ausnahmsweise auf die Überholspur. "Den Deal habe ich damals noch bei AMG eingefädelt. Mit Tobias Moers leitet jetzt ein Top-Mann das Unternehmen, das im Rahmen des geplanten Technologie-Tranfers profitabel wachsen kann. Aber wir streben weder eine Aktienmehrheit noch die industrielle Führung an." Auch bei Smart üben sich die Deutschen in vornehmer Zurückhaltung. Das Werk in Hambach soll an das britische SUV-Start-up Ineos verkauft werden, die Kooperation mit Renault hat ein klares Verfallsdatum, die gesamte Smart-Produktion wird nach China verlegt, wo Geely das von Mercedes vorgegebene Konzept entwicklungs- und produktionstechnisch umsetzt. Zu Geely gibt sich Källenius wie erwartet wortkarg. Zum einen ist der Multi aus Fernost ein Element der potenziell instabilen Daimler-Aktionärsstruktur, und zum anderen haben die Chinesen mit Volvo, Polestar, Lotus und Geometry bereits diverse konkurrierende Eisen im Feuer. Trotzdem denken beide Unternehmen über weitere Kooperationen nach, Stichwort Vierzylinder-Weltmotor, kostengünstige E-Module, gemeinsame Zulieferkette. Die drei neuen, emissionfreien Smarties starten übrigens fast gleichzeitig mit den rivalisierenden E-Minis made in China.

Auf der Landstraße geht es in gemäßigtem Tempo weiter Richtung Immendingen, wo der Zeitplan wieder eng getaktet ist. Doch Källenius lässt sich nicht stressen. Stattdessen erlaubt er sich einen kleinen Exkurs ins Philosophische. "In meiner Position bist du nie wirklich am Ziel - auch weil manche Ziele noch in Bewegung sind oder neu anvisiert werden müssen." Der Schwede hat gelernt, nicht jeden Preiskampf anzunehmen, nicht jede Nische zu besetzen, nicht auf jeden Schachzug der Wettbewerber zu reagieren. Stattdessen stehen plötzlich Begriffe wie Laufzeitverlängerung, Höherpositionierung und Portfolio-Ausdünnung im Raum.

Die V-Klasse nutzt ihr Potenzial noch nicht aus

Von drei Coupés und drei Cabrios bleiben deshalb nur jeweils eines übrig (beide auf Basis E-Klasse), bei den Crossovern könnte ein kantiger und gerne vollelektrischer CLG dem G-Klasse-Thema eine dritte Karosserievariante entlocken, die V-Klasse nutzt ihr Potenzial noch nicht voll aus. Und was ist geworden aus dem viel zitierten "Sexy Space" für Premium-Kunden, aus der Vision eines Midsize Sports Tourer als Neuerfindung des SUV, dem nie realisierten Nachfolger der R-Klasse? Källenius überlegt, nickt, denkt weiter nach, antwortet. "Das mit der R-Klasse hat damals tatsächlich nicht funktioniert. Wir hätten das Konzept vielleicht neu erfinden müssen, aber das Ergebnis durfte nicht aussehen wie ein Minivan." Das gesamte höherpreisige sogenannte People Movement Segment ist für Källenius ein "offenes Spielfeld". "Das sollten wir uns vielleicht noch mal ansehen."

Normalerweise sitzt Källenius im rollenden Büro rechts hinten, aber wenn es um die elektrische Reichweite des neuesten PHEV geht oder um die Feinabstimmung des künftigen EQS, dann setzt sich der Chef gern selbst ans Steuer. Autonomes Fahren ist für ihn nicht Kür, sondern Pflicht, wobei Sicherheit und Komfort eine Synthese bilden müssen. "Wir werden die Trendwende mitgestalten," sagt Källenius.

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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