Mercedes S55 AMG:Kommunikationszentrale für rastlose Manager

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Allerdings kostet die Luxuslimousine mit allen erdenklichen Finessen mindestens 200 000 Mark - ohne Chauffeur

(SZ vom 23.08.2000) Nein, ein Käppi hat er nicht auf. Und er heißt auch nicht James. Aber heute ist er mein Chauffeur. Denn ich sitze im Fond des Mercedes-Benz S55 AMG und darf mich fühlen wie eine englische Lady - mindestens.

Superlative, so sagte einmal Bismarck, reizten zum Widerspruch. Aber zu Zeiten des Staatsmannes gab es auch den S 55 AMG noch nicht. Denn dieser Prototyp ist eine Kommunikationszentrale auf vier Rädern. Ein mobiler Maßanzug - zugeschnitten bei der Daimler-Chrysler-Tochter Mercedes-AMG im schwäbischen Affalterbach. Er bietet keine Superlative, er ist ein Superlativ für den rastlosen Manager.

Wie in der Royal Albert Hall

Sanft streichelt der Chauffeur das Gaspedal und schon surrt der V8-Motor los. Ob ich ein bestimmtes Ziel wünsche? Nein, manchmal sind auch Ladys wunschlos glücklich, er möge einfach eine kleine Ausfahrt unternehmen. Das Navigationssystem - integriert im Command-System mit postkartengroßem Monitor zur Bedienung von CD-Player, TV-Station, DVD-Video sowie Audio in der Mittelkonsole der multimedialen S-Klasse - hat erst mal Pause. Vielleicht zur Entspannung etwas Musik? Ja, sehr aufmerksam. Was dann folgt, ist ein akustisches Erlebnis, wie man es vielleicht in der Londoner Royal Albert Hall erwarten mag, nicht aber in einem Automobil. Ein digitales Surround-System erzeugt einen Klang, dass mir - mit Verlaub - schlichtweg der Mund offen stehen bleibt. Besorgt schaut der Chauffeur in den Rückspiegel. Ob es zu laut sei? Nein, nein, lauter, möchte alles in mir schreien. Aber so etwas macht man nicht. Verdi aus zwölf Lautsprechern, drei Hochleistungsverstärker, vier Equalizer, ein Klangerlebnis der absoluten Luxusklasse - Luciano Pavarotti hätte seine wahre Freude daran. Vermutlich wird er den mobilen Konzertsaal ohnedies ordern. Platz genug hätte selbst er darin - mit und erst recht ohne Chauffeur. Noch ungetrübteren Genuss seines Tenors würden ihm die speziellen Kopfhörer bereiten, die nach dem Antischallsystem arbeiten.

Eventuelle Umgebungsgeräusche - wie die Anweisungen des Chauffeurs an den Privatpiloten - werden dadurch komplett kompensiert, ungestört könnte sich Pavarotti der Muse hingeben - natürlich auch ohne Chauffeur.

Draußen gleitet lautlos die Landschaft vorbei, vielleicht wäre jetzt etwas visuelle Abwechslung genehm. Der Chauffeur möge doch bitte eine DVD abspielen. Nur 48 Stunden beispielsweise mit Eddie Murphy und Nick Nolte. Oder einfach das Fernsehen einschalten. Vier Farbmonitore - einer in der Sonnenblende vor dem Beifahrersitz und zwei in den beiden Kopfstützen - flimmern um die Wette. Das Display des Command-Systems neben dem Fahrer bleibt während der Fahrt automatisch abgeschaltet, schließlich muss der Herr arbeiten.

Eine unscheinbare Antenne an der Heckscheibe und vier TV-Tuner stellen optimalen Empfang sicher. Natürlich gibt es die aktuellen Nachrichten ebenfalls in Dolby-Surround-Qualität. Es sind ausgesprochen gute News: Der Dow Jones hat erneut deutlich zugelegt, die Kurse entwickeln sich erfreulich. Jetzt gilt es zu handeln. Schließlich muss auch eine Lady Geld verdienen. Besonders eine, die keine englische ist. Der S55 AMG nimmt es gelassen: Er ist nicht nur das Flaggschiff des Konzerns, er ist auch eine Kommandozentrale auf Rädern.

Schreibtisch im Fond

Auf Knopfdruck spuckt die Rückenlehne einen Tisch aus, elektrisch versteht sich, in den ein Computer-Arbeitsplatz integriert ist. Ein 12,1-Zoll-Monitor, Tastatur, CD-ROM-, Floppy-, DVD- oder ZIP-Laufwerke sind in der Tunnelkonsole integriert. Das eigentliche Notebook ist dagegen im Kofferraum angedockt, damit hier jedes beliebige Notebook eingebaut werden kann. Dieses ist aber selbstverständlich mit den anderen Komponenten des mobilen Büros vernetzt.

Zwischen den Sitzen ist ein herausziehbarer Super-VHS-Videorekorder eingebaut. Klappt man die Fond-Armlehne auf, taucht ein Faxgerät mit integriertem Drucker auf. Ein datenfähiges, drittes Mobiltelefon für die Fax-, E-Mail- und Internetkommunikation rundet das Angebot für weltweite Verbindungen ab.

Selbst ohne Chauffeur lässt sich hier trefflich arbeiten. Schnell den Vertrag an die Sekretärin gefaxt mit den wichtigsten Randbemerkungen der Konferenz oder eine E-Mail-Order an den Vertrieb. Das alles lässt sich bekanntlich in Sekundenschnelle von jedem Parkplatz erledigen.

Der Clou des PC-Arbeitsplatzes ist jedoch eine elektronische Minikamera in der Blende des Computer-Monitors. Somit sind im S55 Videokonferenzen möglich. Ein Mikrofon im hinteren Bereich des Dachhimmels und spezielle Lautsprecher in den B-Säulen sorgen für optimale Sendung und Empfang. Wie gern hätte jetzt die Lady ihren Boss mit einem Live-Plauderstündchen überrascht, aber dies wird erst möglich sein, wenn die im D-Netz angekündigte Übertragungsrate von 64 kbit/s Wirklichkeit geworden ist. Der Mercedes S 55 AMG ist dafür bereits jetzt gerüstet.

Viel zu schnell ist die Ausfahrt zu Ende. Auch Ladys holt der Alltag ein.

Von Ina Reckziegel

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