Süddeutsche Zeitung

Mercedes EQA im Test:Entschleunigung im Zwei-Tonnen-Stromer

Der Mercedes EQA dürfte aktive Fahrerinnen und Fahrer weniger ansprechen. Dafür diejenigen, die Wert auf Entspannung und Effizienz legen.

Von Georg Kacher

Wie fast jede Vorabfahrt dient auch diese als Amuse-Gueule, als Appetitanreger für das, was kommen wird, wenn der neue Mercedes EQA in ein paar Wochen beim Händler steht. Der Testwagen ist zwar noch leicht getarnt, aber technisch auf dem letzten Stand. Auf die Schlüsselübergabe von Maskenmann zu Maskenmann folgt die Bitte, die Reichweiten- und Verbrauchsangaben nicht auf die Goldwaage zu legen - das Auto hatte an diesem Tag schon zweimal den Fahrer gewechselt und kam gerade frisch von der Ladesäule.

Ein kurzer Blick auf die EQ-Demokachel zeigt, dass die Batterie zu 80 Prozent voll ist und erst nach gut 300 Kilometer wieder ein Boxenstopp fällig wäre. Gemäß WLTP-Norm nennt Mercedes für den EQA einen Durchschnittsverbrauch von 17,7 Kilowattstunden und eine maximale Reichweite von 426 Kilometer. Der 190 PS starke Elektromotor treibt über eine stufenlose Automatik die Vorderräder an.

Größere Batterien und Allradantrieb sollen bald folgen

Zum Verkaufsstart steht ein Lithium-Ionen-Akku mit einem Energieinhalt von 66,5 Kilowattstunden und einer maximalen Ladeleistung von 100 Kilowatt zur Verfügung, dessen Spannung 420 Volt beträgt. Größere Batterien, kräftigere Motorisierungen und vier angetriebene Räder sollen nicht lange auf sich warten lassen. Dann also mal los zur ersten Ausfahrt mit dem Mercedes EQA.

Startknopf drücken, zum Gang einlegen kurz den Lenkstockhebel antippen, und ab geht's. Alles wie immer? Nicht ganz. Weil das geballte Drehmoment von 375 Newtonmeter ansatzlos anliegt, reicht schon ein vorsichtiger Tritt aufs Gaspedal, um den Stromer unter Vollspannung zu setzen. Die Bremse wirkt dagegen tiefenentspannt und will speziell auf den letzten Metern bis zum Stillstand mit Nachdruck betätigt werden. Keine Frage - beim Verzögern macht sich das stattliche Leergewicht von 2040 Kilogramm deutlicher bemerkbar als beim Beschleunigen.

Geräuschkulisse im Niedrigfrequenzbereich

Ein Erlebnis für sich ist die in niedrigfrequenten Molltönen gehaltene Geräuschkulisse. Bis zu einem Tempo von 25 Kilometer pro Stunde dominiert das in Watte gepackte Fußgängerschutz-Annäherungssummen, doch bei höherem Tempo bestimmen dezente Brummtöne und der Fahrtwind die Dezibel-Impressionen. Wer Vollgas gibt, löst ein sonores Grollen aus, aber Vollgas ist ein Sakrileg in den Augen vieler Elektroauto-Fahrerinnen und -Fahrer, die lieber ihren eigenen Reichweitenrekord brechen und dabei nur beiläufig erleben, mit welcher Leichtigkeit der Mercedes EQA seinen durch keinen Hochschalt-Ruck getrübten Bewegungsfluss dynamisiert. Der allerdings endet dann bereits bei 160 Stundenkilometer.

Jeder, der schon mal mit einem Elektroauto unterwegs war, kennt sie, die Reichweitenangst und die Furcht davor, nicht rechtzeitig eine freie (und funktionstüchtige) Ladesäule zu finden. Selbst wenn kein konkreter Zwischenfall die Erinnerung trübt, geistern Bilder von Liegenbleibern und saftlosen Ladekabeln durch die Hinterköpfe mancher Fahrer. Der Mercedes EQA versucht, diese Bedenken zu entkräften, indem er unter idealen Bedingungen nur eine halbe Stunde braucht, um die Batterie von zehn auf 80 Prozent aufzuladen.

Das Laden zu Hause braucht seine Zeit

An der Steckdose in der heimischen Garage dauert das Prozedere freilich von der "Tagesschau" an Tag eins bis zu den "Tagesthemen" an Tag zwei. Mercedes verweist in diesem Zusammenhang auf die 175 000 Schnellladestationen, die europaweit zur Verfügung stehen und an denen ohne bürokratische Kriechströme Strom gebunkert und bezahlt werden kann. Weil aber nicht jede Säule Grünstrom vorhält, speist der Hersteller als Kompensation Energie aus erneuerbaren Quellen ins Netz ein. Den ewigen Interessenkonflikt zwischen Verbrauch und Reichweite bemüht sich der EQA unter anderem mittels dynamischer Navigation, dem multi-taskenden Eco-Assistenten und intelligenten Algorithmen in den Griff zu bekommen.

Obwohl wir erst am Anfang der E-volution stehen, wird bereits heftig über die ideale Auslegung der Energierückgewinnung diskutiert. Während die einen das One-Pedal-Feeling bevorzugen, das durch starkes Rekuperieren die Bremse praktisch in Frührente schickt, favorisieren andere das Segeln in allen möglichen Formen. Der zweite Elektro-Mercedes nach den EQC will es beiden Fraktionen recht machen: Gestartet wird im Fahrmodus "D auto" und dem Eco-Assistenten in Habachtstellung. Das passt für defensive Gleiter, nicht aber für aktive Fahrer.

Aktive Fahrer nutzen besser den "D+"-Modus

Die sind mit dem Modus "D+" besser bedient, denn nur im Segelmodus lässt sich der Dreiklang aus Gewicht, Masse und Schwung individuell modulieren. Am Ende des Tages mag diese Freilauf-Philosophie ein oder zwei Kilowattstündchen extra kosten, doch die teilautonome Entschleunigung, wie sie von der stärksten Rekuperationsstufe zwischenzeitlich immer wieder vorweggenommen wird, ereilt uns noch früh genug. Außerdem muss die abgeschöpfte Energie ein paar Herzschläge später wieder neues Moment aufbauen.

Mit 47 540 Euro spielt der 190 PS starke EQA preislich in der gleichen Liga wie der einfachste Ford Mustang Mach-E (269 PS), das günstigste Tesla Model 3 (325 PS) und der VW ID.4 (204 PS). Da der Nettolistenpreis unter 40 000 Euro liegt, kann der Kunde zudem bis auf Weiteres den staatlichen Förderbonus von 9000 Euro abgreifen. Der Mercedes, der sich für den Spurt von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde 8,9 Sekunden Zeit lässt, tut sich erwartungsgemäß schwer damit, den Rivalen in puncto Fahrleistungen Paroli zu bieten.

Doch was in der Verbrennerwelt noch den ein oder anderen Kunden kostete, ist im Hochvolt-Kosmos kein Beinbruch mehr: Denn das E auf dem Kennzeichen steht für Fahrvergnügen durch Entspannung, Entschleunigung und Effizienz. Elektro-Jünger lieben nämlich nicht nur den Instant-Drehmomentkick, sondern auch den souveränen Flow und die herrlich sozialverträgliche, weil akustisch kaum wahrnehmbare Samtpfotigkeit. Wer selbst in diesem auf lässiges Gleiten gepolten Kokon aggressive Verhaltensmuster ausleben muss, dem ist nicht zu helfen.

Das Interieur indes besteht stilistisch zu vier Fünftel aus Mercedes GLA und zu einem Fünftel aus EQA. Statt dem Drehzahlmesser informiert eine horizontal geteilte Anzeige über die abgerufene Leistung sowie die zurückgeführte Energiemenge. Die Lichtinszenierung variiert mit der Fahrsituation: Boosten wird weiß hinterlegt, eine kritische Restreichweite taucht die Anzeige in helles Rot. Beim Durchblättern der digitalen Ausstattungsliste kann man sich den Daumen wundswipen.

Zu empfehlen: das Urban-Guard-Plus-System

Dabei steht das Energizing-Plus-Paket auf der Skala der Verführungen relativ weit oben, denn hier wird der Körper hinter dem Steuer gekonnt massiert, es wird die dazu passende Musik eingespielt, das Licht gedimmt, Puls und Blutdruck werden per Smartwatch überwacht. Und wenn es sein muss, schickt einen der Müdigkeitssensor zum Nickerchen auf den nächsten Parkplatz. Neben dem Basismodell bietet Mercedes den EQA auch mit AMG-Optik an, als Edition-1-Version mit rotgoldenen Akzenten und in einer esoterisch angehauchten Electric-Art-Variante.

Vielleicht aber empfiehlt sich besser eine Investition in das besonders für Laternenparker interessante Urban-Guard-Plus-System. Darin enthalten sind Einbruchwarnanlage, Diebstahlschutz, Innenraumüberwachung und Parkkollisionserkennung. Wenn's gescheppert hat, wird der Nutzer über die Mercedes-me-App über die Art und den Bereich des Parkschadens informiert beziehungsweise das entwendete Fahrzeug geortet. Auch Big Brother hat offensichtlich dazugelernt.

Hinweis der Redaktion

Ein Teil der vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.

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