Süddeutsche Zeitung

Mercedes Concept IAA im Fahrbericht:Neuerfindung des Spoilers

Mit intelligenter Aerodynamik, dem Bediensystem der nächsten E-Klasse und dem Look künftiger Elektroautos: Die Stromlinien-Limousine Concept IAA weist Mercedes die Zukunft.

Von Georg Kacher

Flughafen Siegerland an einem stürmischen Novembertag. Früher wurden hier regionale Sportwagenrennen ausgetragen. Heute geht es dagegen deutlich leiser und gemächlicher zu. Die silberne Windsbraut, die im Hangar I an der gelben Nabelschnur des Stromversorgers hängt, ist nämlich ein millionenschweres Einzelstück, das mit Samthandschuhen angefasst werden will. Kein Vollgas, nicht über 100 km/h, kein harter Tempowechsel beim Aus- und Einfahren der Verspoilerung, Vorsicht auf der welligen Rollbahn, beim Bremsen und beim Einlenken. Die 13 Mann und die Dame, die vor den bedampften Seitenscheiben Aufstellung genommen haben, schauen ausgesprochen skeptisch auf das Hightech-Ross und seinen erwartungsfrohen Reiter.

Die Spoiler bringen sich in Stellung

Bereit? Bereit! Ein Druck am Automatik-Wählhebel und wir fahren an, rollen fast ohne zu beschleunigen, zucken kurz als sich der Verbrenner mit einem Ruck einschaltet und gleich wieder verabschiedet. Schöne neue Autowelt - filigran und sensibel, aber auch sehr spannend. Die Landebahn entpuppt sich als fast zwei Kilometer langer sanfter Anstieg. Zu steil für den Stromer, der in gleicher Form im C350e Dienst tut. Deshalb hakt sich schon bei 30 km/h der 2,0-Liter-Turbobenziner unter und treibt die Systemleistung auf akademische 279 PS.

Bei Tempo 80 unterlegt für gefühlte fünf Sekunden ein mechanisches Surren die Fahrgeräusche. Urheber sind die acht Luftleit-Elelemente, die gemeinsam ausfahren und so das Kammheck um 390 Millimeter verlängern. Gleichzeitig bringen zwei E-Motoren die beweglichen Front-Flaps in Stellung und optimieren die Umströmung der vorderen Radhäuser. Um die Verwirbelung entlang des Wagenbodens besser in den Griff zu bekommen, beruhigt ein schmaler beweglicher Bugspoiler den Luftstrom. Als dritte Maßnahme haben die Designer dem Silberfisch ganz besondere Felgen spendiert. Die im Stand 55 Millimeter tief geschüsselte Kontur des Rades wird in Bewegung über fünf federgesteuerte Elemente in eine flächenbündige Form gebracht - clever, aber leider ebenfalls sehr teuer.

Zeigen, was machbar ist

Der Effekt dieser konzertierten Windkanal-Aktion ist ein um sechs Punkte auf 0,19 verbesserter Luftwiderstands-Beiwert. Das merkt man beim Nachtanken und Aufladen, weil sich die CO₂-Emissionen im Aerodynamikmodus von 31 auf 28g/km verringern. Das spürt man rein subjektiv aber auch beim Fahren, wenn die Studie im Segelmodus bei aktivem Flügelwerk deutlich länger das Tempo hält und entsprechend später ausrollt. Auf dem Papier erhöht sich dadurch die elektrische Reichweite von 62 auf 66 Kilometer. Ein C350e schafft nur knapp die Hälfte und braucht auch deutlich mehr.

Doch solche Werte sind bekanntlich wenig praxisnah. Wie serientauglich sind die beweglichen Helferlein? "Sie zeigen, was machbar ist, wenn schon der Grundkörper auf maximale Windschlüpfigkeit getrimmt ist", erklärt der Chefdesigner Gorden Wagener. "In unserem Fall unterstützen diese Elemente ganz gezielt die aerodynamisch ideale Tropfenform. Leider zieht der Gesetzgeber hier nur bedingt mit, wobei es uns schon helfen würde, wenn wir statt der sperrigen Rückspiegel kleine Kameras verwenden dürften."

Deutlich dichter an der Realität präsentiert sich das Cockpit des Viertürers. Das Bedienkonzept werden wir in kaum veränderter Form in der neuen E-Klasse wiederfinden, die im Januar Premiere feiert. Gestensteuerung? Fehlanzeige. Touchscreen? Gibt's nicht. Selbst den Command-Controller, der seit 17 Jahren die Mittelkonsole der Sternenträger ziert, sucht man vergebens. Nur das Trackpad auf dem Getriebetunnel hat in leicht abgewandelter Form überlebt. Doch selbst die verbesserte Sprachsteuerung und das abermals erweiterte Head-up-Display verraten noch nichts über die Quintessenz der Ergonomie-Revolution, die in zwei kleinen unscheinbaren schwarzen Vierecken in den Lenkradspeichen zu Tage tritt.

Dahinter verbirg sich die Optische Finger Navigation (OFN) - eine Reise per Daumen durch die Menüs und Submenüs. Sie können über ein Touchpad in alle Richtungen scrollen, so eine bestimmte Funktion auswählen und diese per Knopfdruck bestätigen. Falsche Eingabe? Ein kurzes Antippen der silbernen Return-Taste genügt, und der Prozess kann von vorne beginnen.

Nur am Mercedes-Stern wird nicht gerüttelt

Die Bewegungen des rechten Daumens werden vom rechten Monitor abgebildet, der sich um Infotainment, Navigation und Telefonie kümmert. Alle fahrzeugbezogenen Daten werden im linken Display dargestellt und mit dem linken Daumen dirigiert. Klingt komplex, erweist sich aber als praktisch. Die Mercedes-Bedienphilosophie "Hände am Lenkrad, Augen auf der Straße" wird per OFN rundum überzeugend umgesetzt.

Das dritte Geheimnis des Concept IAA erschließt sich vorläufig nur Insidern. Man könnte es als das Gesicht und die Formensprache von Eva umschreiben. Hinter dieser Abkürzung steckt die Electric Vehicle Architecture, die in drei Schüben auf den Markt kommen soll. Den Anfang macht 2018 der ELC auf GLC-Basis, danach folgen 2020 und 2022 zwei emissionsfreie Neuentwicklungen, die jeweils als Limousine und Crossover das Segment der Premium-Stromer aufmischen dürften.

Design-Ähnlichkeiten zwischen der Studie und künftigen Serienmodellen wird es bei der weiterentwickelte Aerodynamik, dem stark eingezogenen und hart abgeschnittenen Heck und der Front mit den übereinander platzierten Lichtleitern geben. Eine entsprechende Leuchtengrafik soll im Heck Akzente setzen. Nur am Mercedes-Stern wird nicht gerüttelt - Ikonen haben bekanntlich Bestandsschutz.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015/harl
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