Süddeutsche Zeitung

Mercedes AMG GT S:Der böse Benz kann auch ganz zahm sein

Der Mercedes AMG GT S kann es mit dem Porsche 911 Turbo aufnehmen. Denn er beherrscht die harte und die zarte Gangart. Erste Eindrücke von einer rasanten Abstimmungsfahrt.

Von Georg Kacher

Das 4,0-Liter-Aggregat startet auf Knopfdruck in der Tiefe des Raumes, holt über lange Ansaugschnorchel vernehmlich Luft und verfällt sogleich in jenen bollernd-brabbelnden Leerlauf, den nur ein V8 beherrscht. Diese durch kein Laderpfeifen getrübte Klangkulisse produziert quadratzentimeterweise Gänsehaut, und sie hält auch, was das akustische Vorspiel verspricht.

Der neue AMG-Mercedes tritt in die breiten Fußstapfen des teureren und schwereren SLS. Ohne Flügeltüren, aber mit mehr Traktion, Ausgewogenheit, Präzision, Tempo. Zwischen vorderer und hinterer Stirnwand ist der weitgehend aus Aluminium gefertigte GT im Prinzip ein SLS. Das alles zum fairen Preis von rund 130 000 Euro für das gut ausgestattete Topmodell mit 510 PS und 650 Nm. Lust auf eine Probefahrt?

Tobias Moers, Ex-Entwicklungsleiter und seit 2013 Mister AMG, stellt sich auf Knopfdruck sein individuelles Fahrprogramm zusammen: ESP aus, Motor und Getriebe in Race, Schaltung in manuell, Dämpfer in Sport, Auspuffsound in Sport+. Die Lieblingsabstimmung kann man in der AMG Drive Unit abspeichern - oder über entsprechende Tasten direkt anwählen.

Der AMG GT braucht keinen Allradantrieb

Der erste Teil der Abnahmefahrt führt durch kleinere Ortschaften und auf Landstraßen rund um das Testgelände in Papenburg. Das verhaltene Wastegate-Pusten beim Gaswegnehmen haben wir als charmant empfunden, den spröden Langsamfahrkomfort der extrabreiten 20-Zöller an der Hinterhand dagegen eher als lästig. "Die Feinabstimmung ist noch nicht abgeschlossen", konstatiert Tobias Moers, Ende der Diskussion. Kein Handlungsbedarf besteht in Bezug auf die Fahrleistungen. Der deutlich unter 1600 Kilo schwere AMG GT soll in 3,85 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigen und 310 km/h schnell sein. Der Normverbrauch liegt mit 9,3 Liter fast vier Liter unter dem SLS.

Porsche 911 GT3 und 911 Turbo. Jaguar F-Type Coupé R. Aston Martin V8 Vantage. Das sind die Gegner des neuen AMG-Mercedes. Der Porsche hat Allradantrieb, der AMG GT nicht. Warum? "Weil er ihn nicht braucht", behauptet der Mann am Dreispeichenlenkrad. "Die Traktion ist top, und von der Transaxle-Bauweise profitiert auch die dynamische Achslastverteilung."

Die Probe aufs Exempel liefert der nächste Ampelstart. Der Mercedes spreizt sich ein, geht ab wie der viel zitierte Flitzebogen, verliert keine Zeit beim Hochschalten, schiebt kontinuierlich mächtig an und bekommt die Kraft tatsächlich auf den Boden. In Kurven kümmert sich im S-Modell ein elektronisch geregeltes Sperrdifferenzial um die Momentenverteilung zwischen den Antriebsrädern.

Unser Vorserienauto hat das knapp 2000 Euro teure Dynamik Plus Paket an Bord. Es beinhaltet vier geregelte Hydrolager für den Antriebsstrang, eine sportlichere Fahrwerksabstimmung, leichtere Räder und gelb skalierte Instrumente. Serienmäßig eingebaut sind die besonders rasch und exakt ansprechenden Verstelldämpfer des englischen F1-Zulieferers Multimatic. Zu den Extras gehören Performance-Sitze mit mehr Seitenhalt, das getönte Glasdach, Karbon-Keramikbremsen und spezielle Michelin-Pilot-Supersport-Gummis (265/35 R19 vorne, 295/30 R20 hinten).

Höchste Zeit für einen Abstecher auf die Rennstrecke. Hier, wo niedrige Reibwerte und hohe Fliehkräfte im Clinch liegen, verdient sich der AMG GT eine Eins mit Stern. "Maximaler Komfort, maximale Attacke, freut sich Herr Moers und lässt das Coupé fliegen. Der Passagier kramt in der Erinnerung und zieht erste vorsichtige Vergleiche. Der SLS war brachialer und brutaler, der GT schiebt noch unnachgiebiger, hält viel besser die Spur, lenkt williger ein und scheint unter Last besser kontrollierbar. Klar kommt irgendwann das Heck, aber der Drift ist tendenziell rauchfrei, fast immer spielerisch-elegant und damit eine wichtige Vertrauen bildende Maßnahme, die selbst bei 120 km/h im dritten Gang noch greift, Küsschen Scheitelpunkt links, Küsschen Scheitelpunkt rechts, und dann ab durch die Mitte.

Komfort musste AMG erst lernen

Nach vier Aufwärmrunden macht der Herr des Hauses Ernst. Plötzlich liegt der Bremspunkt eine halbe Wagenlänge hinter dem Hütchen, wird das Coupé schon beim Einlenken leicht angestellt, fährt der Chef die wirklich schnellen Ecken im größeren Gang. An den nicht vorhandenen Kerbs gehen die ersten Kiesel fliegen, und doch bleibt alles im Fluss. "Wir haben schon immer gewusst, was Sportlichkeit ist", sagt Tobias Moers. "Aber was Komfort ist, haben wir erst lernen müssen. Das hat nicht nur etwas mit Federn und Dämpfern zu tun. Sondern auch mit Eigenschaften wie Ausgewogenheit, Präzision und Geschmeidigkeit."

Dass der AMG GT mit den Schnellsten im Lande mithalten kann, wissen wir jetzt. Neu ist die Erkenntnis, dass man kein Schaltpaddel-Genie mehr sein muss, um wirklich schnelle Runden auf den Asphalt zu knallen. Denn ab sofort beherrscht selbst das Automatikprogramm im Race-Modus das Zusammenspiel aus Hochschalten, Zurückschalten und nicht schalten super-cool und absolut taktgenau.

In Schlagdistanz zum 911 Turbo

Doch es geht auch ganz anders - ohne wilde Einpeitsch-Schaltrucke, Kickback-Proteste auf Querfugen und elektronisch indiziertes Dazwischenbellen der zweiflutigen Auspuffanlage. Im Comfort-Programm gibt sich der große böse Benz plötzlich lammfromm und uneilig, tanzt im entspannten Walzertakt um die Ecken, voll Empathie und trotzdem wunderbar ausbalanciert.

Der Elfer ist nach wie vor Benchmark, keine Frage. Aber während der GT3 seine Hardcore-Ambitionen pflegt, kostet der Turbo richtig Geld. Wir haben den AMG GT als vergleichbar kompetenten und verbindlichen Sportwagen erlebt, weniger variantenreich als die 911-Familie aber mit viel Potenzial, das vom unvermeidlichen Black-Series-Überflieger bis zur denkbaren Roadstervariante reicht und das weder einen Plug-in-Hybrid ausschließt noch einen Leichtbau-Racer oder eine günstigere Einstiegsmotorisierung.

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Quelle:
SZ vom 13.09.2014/harl
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