Megaprojekt in Österreich:Wie es mit dem Brenner-Basistunnel vorangeht

Sicherungsarbeiten im Zufahrtstunnel des Brenner-Basistunnels.

Sicherungsarbeiten im Brenner-Basistunnel. Bisher sind erst 59 von insgesamt 230 Tunnelkilometern geschafft.

(Foto: BBT)

Wenn er 2026 fertig ist, wird er der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Doch das Großprojekt hat nicht nur Befürworter. Beobachtungen auf einer Großbaustelle.

Reportage von Marco Völklein

Ganz vorne an der Ortsbrust, dort wo die Arbeiter den Tunnel vorantreiben, ist es warm, laut und dreckig. Die Luft ist beißend, Simon Lochmann kaum zu verstehen. Woher kommt die schlechte Luft? "Vom Sprengen", schreit Lochmann gegen den Lärm an. Er arbeitet für das Unternehmen, das hier den Berg für den Brennerbasistunnel (BBT) aushöhlt. Etwa 300 Meter unter dem Innsbrucker Stadtteil Igls sind die Arbeiter am Werk. Mit Bohrmaschinen treiben sie 130 Löcher ins Gestein, anschließend füllen sie Sprengstoff hinein. Dann Zündung. Kawumm! Und wieder sind die Mineure, wie man die Tunnelbauer nennt, eineinhalb Meter weiter im Berg vorangekommen.

Schritt für Schritt geht das so in diesem Abschnitt des Brennerbasistunnels. Meter für Meter. Im Jahr 2026 soll der BBT fertig sein. Mit einer Länge von 64 Kilometern zwischen Tulfes in Österreich und dem italienischen Franzensfeste wird der längste Eisenbahntunnel der Welt entstehen. Zehn Milliarden Euro wird das Großprojekt am Ende kosten, sagt Lochmann. Und die beiden Großstädte Innsbruck und Bozen näher aneinander rücken lassen. Die Fahrtzeit werde sich nach Inbetriebnahme von heute zwei Stunden auf weniger als die Hälfte verringern, versprechen die Planer.

Zentraler Baustein des europäischen Verkehrskorridors

Vielmehr noch soll der BBT den Verkehrsinfarkt auf der nahen Brennerautobahn verhindern. Dort schieben sich die Lastwagen in langen Kolonnen über die Alpen, in den kommenden Jahren sollen die Warenströme laut Prognosen weiter anwachsen. Mit dem Tunnel sollen von 2026 an mehr und längere Güterzüge schneller und bequemer durch den Berg rauschen und sich den umständlichen Weg oben drüber sparen - dann soll ein Großteil des Warenverkehrs von der Auto- auf die Schienenbahn abwandern, hoffen die Tunnelbefürworter in Österreich, Italien sowie in der EU.

Die Röhren sind zentraler Baustein des europäischen Verkehrskorridors, der sich von Nordeuropa über Deutschland bis Italien zieht. Die EU trägt 40 Prozent der Investitionskosten, den Rest teilen sich Österreich und Italien jeweils hälftig.

Um über den Brenner zu kommen, braucht der Güterzug zwei Loks

Wie mühsam die Güterzugfahrt über den Brennerpass derzeit ist, zeigt sich im Führerstand von Niels Jäger. Der Betriebsleiter des Güterbahnanbieters Lokomotion setzt sich regelmäßig in eine seiner Loks. Zum einen, um seine Fahrlizenz zu erhalten. Zum Zweiten, "um nicht den Kontakt zur Basis zu verlieren", wie er sagt. An diesem Dienstag steuert er den Güterzug mit der Nummer 43129 von München aus über den Brenner. Zielort: Verona. 18 Wagen mit Containern und Lkw-Trailern hängen an der Lok der Baureihe 189. 530 Meter lang ist der Zug, fast 1200 Tonnen schwer. Um kurz vor 15 Uhr geht es los in München.

Bis Kufstein rollt 43129 locker dahin; für die Fahrt über den Brenner, bei der gut 800 Höhenmeter zu überwinden sind, benötigt Jäger allerdings mehr Zugkraft. Im Grenzbahnhof Kufstein spannen er und ein Kollege eine zweite Lok davor. Würde Jäger einen noch schwereren Zug den Brenner hinaufjagen wollen, müsste unter Umständen eine dritte Lokomotive vorne drangehängt werden. Oder eine Schiebelok am Schluss des Wagenwurms mithelfen.

Die Laster sollen runter von der Autobahn

Kurz hinter Innsbruck biegt der Zug in die Bergstrecke ein. Bis zu 29 Promille Steigung sind zu überwinden, Jäger hat den Zugkrafthebel ganz nach vorne gelegt. Die Motoren der E-Loks geben alles. "Das ist eine enorme Leistung, die wir auch modernen Loks hier abverlangen", sagt Jäger. Kurze Zeit später schon steht die Betriebstemperatur der Aggregate bei 110 Grad Celsius. "Bei etwa 220 Grad wird abgeregelt." Nach gut drei Stunden erreicht Jäger den Grenzbahnhof am Brennerscheitel. Italienische Lokführer übernehmen den Zug.

Sollte der BBT wie geplant im Jahr 2026 in Betrieb gehen, dann hat diese Plackerei ein Ende. Zusätzliche Loks für die Bergfahrt? Braucht dann keiner mehr. Aufwendige Zwischenstopps in Kufstein? Gehören der Vergangenheit an. Zumindest für die Züge, die durch eine der beiden BBT-Röhren rauschen. Dort sind knapp sieben Promille als maximale Steigung vorgesehen. Dennoch werden weiterhin auch Züge auf der Bestandsstrecke durch das Wipptal fahren, die in den 1860er-Jahren aufwendig in den Fels gehauen wurde. Das erhöht die Kapazitäten auf der Schiene. Und bringt, so hoffen sie in Österreich und Italien, die Laster runter von der Brennerautobahn.

Bis jetzt sind erst 59 von 230 Kilometern geschafft

Bis es allerdings so weit ist, müssen die Mineure noch oft in den Berg einfahren. Etwa ein Drittel der Strecke wird gesprengt, der Rest mit riesigen Tunnelbohrmaschinen errichtet. Rechnet man zu den beiden Streckenstollen noch den parallel dazu verlaufenden Technik- und Erkundungsstollen sowie die Zufahrts- und Versorgungsröhren hinzu, müssen die BBT-Ingenieure insgesamt 230 Kilometer an Tunnelstrecken in den Berg hauen. Bislang sind gerade einmal 59 Kilometer geschafft.

Im kommenden Jahr soll mit dem Bau der beiden Hauptstollen im Wipptal begonnen werden. Dazu haben die Mineure bereits große Kavernen, unterirdische Gewölbe, ins Innere des Bergs gesprengt. Über einen Zufahrtstunnel werden dann Tieflader die etwa 400 Meter langen Tunnelbohrmaschinen anliefern. Diese kommen in Einzelteilen, die erst im Berg zusammengesetzt werden. Allein die Montage einer Maschine zieht sich zwei, drei Monate hin. Dann können die Bohrgeräte sich sowohl in Richtung Innsbruck wie in Richtung Franzensfeste vortasten - mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40 Metern am Tag.

Tunnelgegner sehen ein "Milliardengrab"

Ein großer Teil des Abraums, der dabei aus dem Berg herausgebrochen wird, landet per Förderband in einem Seitental des Wipptals, im Padastertal. Allein hier werden fast acht Millionen Kubikmeter Schutt abgeladen. Das tief eingeschnittene V-Tal modellieren die Ingenieuren so nach und nach um, am Ende wird ein Tal daraus, das im Querschnitt an ein U erinnern wird. Und wer auf der Brennerautobahn von Italien kommend die Europabrücke überquert, kann links von der Autotrasse eine weitere Abraumhalde sehen. Der graue Berg aus Quarzphyllit wird von Tag zu Tag größer.

Die Tunnelgegner stören sich nicht nur an solchen Eingriffen in die Umwelt. Sie sehen in dem Bauwerk ein "Milliardengrab". Die Annahmen der Planer zum Verkehrszuwachs in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seien viel zu hoch gegriffen, die Kosten eher zu niedrig angesetzt. So rechnet Anton Hofreiter, Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag und seit Jahren BBT-Skeptiker, mit mehr als 20 Milliarden Euro Baukosten - auch wenn die österreichische Seite dies vehement bestreitet.

Lieber neue Verladeterminals und Bahnhöfe als Tunnelröhren

Fachleute der Wiener Wirtschaftsuniversität kamen zu dem Schluss, dass der Tunnel keine nennenswerte Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene bringen wird; zumal die bestehende Brennerstrecke noch Kapazitätsreserven aufweise. Selbst Vertreter der österreichischen Güterverkehrsbranche fanden vor Jahren, dass der Staat das Geld lieber in neue Verladeterminals und den Ausbau von Knotenbahnhöfen stecken sollte statt in die Tunnelröhren.

Die große Frage ist zudem: Wechseln die Güter nach Inbetriebnahme der Röhre tatsächlich von der Straße auf die Schiene? Nicht nur die Gegner sind skeptisch, auch BBT-Befürworter sagen: Um das zu gewährleisten, müssten die Staaten und die EU den Lkw-Verkehr viel restriktiver steuern - etwa über Nachtfahrverbote oder eine höhere Maut. Oder eine Alpentransitbörse, um die Höchstzahl der Lkw über alle Alpenstaaten und -trassen festzulegen.

Die deutschen Planer hinken Jahre hinterher

Jede Menge Streit verursacht der Basistunnel auch auf deutscher Seite. Denn damit zusätzliche Züge durch den Tunnel fahren können, müssen auch die Zulaufstrecken ausgebaut werden. Gerade im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet fürchten Anlieger die zusätzlichen Belastungen durch Lärm und Erschütterungen. Hinzukommt, dass die Planer der Deutschen Bahn (DB) Jahre hinter den Kollegen aus Österreich hinterherhinken. Bis zur Fertigstellung des BBT, heißt es, werden die Zulaufstrecken sicher nicht fertig werden.

Zuletzt hatten DB-Planer erste mögliche Korridore aufgezeichnet, durch die weitere Gleise von Kufstein aus nach Rosenheim und weiter gen Norden führen könnten. In vielen Anrainerorten formierte sich umgehend Widerstand. Bürgermeister versuchen, die Zulaufrouten von ihrer Flur fernzuhalten. Und auch an der bestehenden Strecke von Rosenheim nach München fordern Anwohner mehr Anstrengungen beim Lärmschutz. Politiker wie der örtliche Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer (SPD) versuchen, im Streit zu vermitteln. "Wenn wir Kohlendioxid einsparen wollen, müssen wir Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern", sagt Schurer. Aber es müsse dann eben nicht nur Geld für den Trassenbau, sondern auch für mehr Lärmschutz und leisere Güterzüge zur Verfügung gestellt werden.

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