Lufthansa und die Klimavergiftung:Eine CO2-Rechnung mit Unbekannten

Wie stark trägt der Luftverkehr zu den Treibhausgasemissionen bei? Die Lufthansa versucht, die Klimadebatte mit für Experten überraschenden Zahlen für sich zu entscheiden.

Thorsten Denkler, Berlin

Bei Zahlen - so wichtig sie sind - kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Zum Beispiel wenn es darum geht, den Anteil des weltweiten Luftverkehrs an den von Menschen gemachten Treibhausgasen zu ermitteln.

Die Lufthansa, Deutschlands größte Fluglinie, hat darauf eine - wie Experten sagen - recht eigenwillige Antwort gefunden: Es seien 1,6 Prozent. Diese Zahl wird seit kurzem in großformatigen Anzeigen bundesweit von der Lufthansa kommuniziert. Mit der Millionen Euro teuren Kampagne wolle die Airline mehr "Sachlichkeit in die Debatte" bringen, sagt ein Konzernsprecher. Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber wird in der Anzeige so zitiert: "Wir brauchen keinen Ökopopulismus, weiter hilft uns allein Ökorationalismus."

Zum Ökorationalismus der Lufthansa gehört eben auch die Aussage der Anzeige, der Anteil des Luftverkehrs an den globalen Treibhausgasemissionen betrage "1,6 Prozent". Damit ist klar, dass die Lufthansa kurzerhand ihre eigenen Zahlen überarbeitet hat.

In dem vor Monaten publizierten Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns heißt es noch, der Anteil der Luftfahrt an den Treibhausgasemissionen werde oft überschätzt: "Er beträgt weltweit drei Prozent." Auch auf den Internetseiten der Lufthansa ist - Stichwort: "Nachhaltigkeit" - von drei Prozent die Rede. Diese Zahl ist relativ unumstritten und wird in vielen Studien bestätigt.

Doch der Lufthansa war die Quote offenbar nicht niedrig genug. Sie hat nach neuen Daten gesucht - und wurde beim World Resources Institute fündig, einem Washingtoner Think-Tank zu Umweltfragen. In der Institutsstudie "Navigating the Numbers" tauchen die 1,6 Prozent in einem Nebensatz in Klammern auf. Die Zahl will den Anteil des Luftverkehrs an allen klimaschädlichen Gasen wie Methan oder Lachgas beschreiben, wie sie im Kyoto-Protokoll festgelegt wurden.

Eine neue Prozentzahl entsteht

Klima- und Verkehrsexperten sehen das als zweifelhafte Grundlage. Für den Sektor Luftverkehr sei allein CO2 die relevante Größe. Für ein anderes Klimagas sei der Luftverkehr nicht verantwortlich, sagt Falk Heinen, der im Umweltbundesamt als Experte für die Klimawirkung des Fliegens arbeitet. Diese Sonderrolle der Luftfahrt sei bisher von niemandem bestritten worden. Die Zahl 1,6 sei jedenfalls, so Heinen, "in der wissenschaftlichen Debatte bisher noch nie aufgetaucht."

Das bestätigt auch Robert Sausen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Er beschäftigt sich intensiv mit den Klimawirkungen des Luftverkehrs. Wissenschaftler Sausen hat den Sonderbericht zum Luftverkehr des Weltklimarates IPCC im Auftrag der Vereinten Nationen verantwortet. "Wenn ich Prozentzahlen in die Welt setze, muss ich sagen, welchen Bezug sie haben", sagt der Mann aus Oberpfaffenhofen.

Die Lufthansa verteidigt ihre neue Zahl: Der Luftverkehr sei der einzige Sektor, bei dem allein CO2 als Bezugsgröße aufgeführt werde. In allen anderen Sektoren werden die im Koyoto-Protokoll festgelegten sechs Gase zur Grundlage gemacht. "Wir wollen lediglich mit gleicher Elle gemessen werden", sagte der Sprecher. Der Effekt: Je mehr Gase einbezogen werden, desto geringer der Anteil eines einzelnen Emittenten am Gesamtaufkommen.

Umweltbundesamt-Experte Heinen will das Argument nicht gelten lassen. Der Luftverkehr habe schon deshalb eine Sonderrolle, weil er CO2 in großen Höhen in die Luft pustet. Daraus würden sich klimaschädliche Sondereffekte ergeben, die eingerechnet werden müssten. Dass hieße, dass "der Anteil des weltweiten Flugverkehrs an den treibhauswirksamen Emissionen heute bei vier bis neun Prozent liegen dürfte", so Heinen.

Die Rechnungen der Lufthansa hängen womöglich mit den aktuellen Verhandlungen in Brüssel zusammen. Dort wird derzeit beraten, wie der Luftverkehr in den europäischen Handel mit Emissionszertifikaten eingebunden werden kann. Bis Ende Juni soll eine Lösung gefunden sein.

Alles eine Lobbyarbeit?

Die Lufthansa wehrt sich gegen den Emissionshandel. Sie will - wenn überhaupt - nur eine internationale Lösung akzeptieren. Weil die USA mauern, ist die aber höchst unwahrscheinlich. Robert Sausen vom Luft- und Raumfahrtszentrum hat den Druck der Lufthansa schon zu spüren bekommen: "Da findet derzeit eine irrsinnige Lobbyarbeit statt."

Experte Heinen meint, die Lufthansa picke sich einfach die niedrigst mögliche Zahl heraus: "Das ist eine bewusste Irreführung der Verbraucher und der Politik, die reinste Schönrechnerei." Das passt auch irgendwie zur Überschrift der Lufthansa-Anzeige: "Wir tun viel - für möglichst wenig CO2-Emissionen."

Sicher ist nur: Wenn im Luftverkehr nichts passiert, wird sich die Lufthansa bald vielleicht über ganz andere Prozentzahlen Gedanken machen müssen. Wenn der Luftverkehr weiter ungebremst wächst wie bisher, auf der anderen Seite aber alle anderen CO2-Emittenten ihre Reduktionsziele erreichen, dann steigt automatisch der Anteil der Fliegerei am Treibhausgasaufkommen.

Die Forscher vom britischen Tyndall-Center kommen - unter diesen Voraussetzungen - in ihrer Prognose bis 2050 auf eine stattliche Zahl: auf mehr als 80 Prozent.

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