Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Wettlauf über den Wolken

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Vor hundert Jahren begann das Rennen zwischen Luftschiff und Flugzeug auf der Nordatlantikroute. Hatten zunächst die Zeppeline noch die Nase vorn, blieben sie letztlich auf der Strecke - aus diversen Gründen.

Von Marco Völklein

Einmal quer über den Nordatlantik, von Schottland nach New York - und das in nur 108 Stunden? Für die Menschen im Jahr 1919 war das nahezu undenkbar. Mit einem Schiff dauerte die Überfahrt im besten Fall sechs Tage. Und dennoch wagten 30 Männer aus Großbritannien im Juli 1919 die Überfahrt in ihrem Luftschiff R34. Den Treibstoff hatten sie extra großzügig gebunkert, schließlich kann das Wetter über dem Atlantik rau sein, die Winde sind mitunter tückisch. Ein blinder Passagier hatte sich an Bord geschmuggelt, erst mitten über dem Ozean gab er sich zu erkennen. Auch eine Katze hatte sich in die Mannschaftsmesse gemogelt. Immer wieder mussten die Maschinisten die Motoren abschalten, um sie nicht zu überlasten. Und am Ende der Reise, berichtet Jürgen Bleibler vom Zeppelin-Museum in Friedrichshafen, war nur noch Sprit für gut 40 Minuten an Bord, sodass der geplante Rundflug über New York ausfallen musste. Alle waren nur noch froh, heil angekommen zu sein auf Long Island.

Es war die erste Fahrt mit einem Luftschiff über den Nordatlantik. Kurz zuvor hatten die Briten John Alcock und Arthur Whitten Brown in einer zweimotorigen Vickers Vimy den ersten Nonstop-Flug mit einem Flugzeug absolviert, allerdings auf der meteorologisch weniger anspruchsvollen West-Ost-Route von Neufundland nach Irland. R34 hingegen hatte die Strecke in umgekehrter Richtung bezwungen in, wie gesagt, 108 Stunden. Für den Rückflug, den die Crew nach nur vier Tagen Pause antrat, benötigte sie 75 Stunden.

Mit einer Sonderausstellung erinnert das Zeppelin-Museum nun an diese Pioniertat vor 100 Jahren. In einem aufwendigen Schnittmodell haben die Ausstellungsmacher um Bleibler das Luftschiff nachbauen lassen, zahlreiche Details - vom blinden Passagier bis zur LuftschiffkatzeWopsie - sind zu erkennen. Außerdem haben sich Bleibler und seine Leute eine Motorkanzel des deutschen Marineluftschiffs L30 aus einem belgischen Armeemuseum ausgeliehen. Diese zeigt, wie rasant sich die Luftschifftechnik zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte - und wie der Erste Weltkrieg diese beeinflusste.

Denn technisch führend im Luftschiffbau waren noch während der Kriegsjahre die deutschen Ingenieure um den Grafen Zeppelin in Friedrichshafen. Doch abgeschossene Zeppeline und Reparationsleistungen, zu denen die alliierten Sieger die Deutschen nach dem Krieg verpflichteten, ermöglichten rasch einen Techniktransfer, von dem die britischen Luftschiffer profitieren sollten. So wurde das deutsche Marineluftschiff L30 nach dem Krieg Belgien als Reparationsleistung zugesprochen. Es war, sagt Bleibler, praktisch baugleich mit dem britischen Luftschiff R34.

Die Ausstellung beschränkt sich aber nicht nur auf die Pionierfahrt der Luftschiffer - vielmehr weitet sie den Blick und arbeitet heraus, wie sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Wettlauf entwickelte zwischen den neuen Verkehrsträgern Flugzeug und Luftschiff, insbesondere auf der wirtschaftlich hoch interessanten und stark frequentierten Nordatlantikroute zwischen Europa und Nordamerika. "Es war damals lange noch nicht ausgemacht", sagt Bleibler, "welche Technologie sich auf der Langstrecke durchsetzen wird." Insbesondere bei Reichweite und Nutzlast hatte das Luftschiff die Nase vorn. Auch deshalb zählte Großbritannien (neben Deutschland) lange zu den großen Luftschiffnationen. Die Briten träumten davon, mit Luftschiffen (etwa nach Indien, Kanada oder Singapur) ihr damals weltumspannendes Kolonialreich zu vernetzen.

Diese Pläne endeten abrupt, als 1930 das Luftschiff R101 auf der Erstfahrt von England nach Indien in Nordfrankreich abstürzte. 48 Menschen kamen ums Leben; es war "die verlustreichste zivile Luftschiffkatastrophe", sagt Bleibler. Nur dass dieses Unglück, anders als der Absturz der Hindenburg 1937 in Lakehurst, von keiner Kamera festgehalten wurde, die es im kollektiven Gedächtnis verankert hätte. Von da an jedenfalls setzte die britische Luftverkehrspolitik voll auf das Flugzeug.

Deutsche Luftschiffer hingegen absolvierten weitere Pionierfahrten: 1924 wurde LZ126, eine Reparationsleistung für die USA, auf dem Luftweg nach Lakehurst überführt, im Sommer 1929 umrundete LZ127 Graf Zeppelin mit nur vier Zwischenstopps den Globus. 1931 nahm das Luftschiff den Linienbetrieb von Europa nach Südamerika auf, 1936 schließlich startete das viel größere und komfortablere Luftschiff LZ129 Hindenburg auf der Nordatlantikroute. Nur ein Jahr später endete auch diese Ära mit dem Feuerinferno über dem Luftwaffenstützpunkt Lakehurst.

Nahezu parallel dazu kam der Luftverkehr mit Flugzeugen in Gang, 1939 flogen erstmals Flugboote Passagiere über den Atlantik. Nach 1945 setzte sich Stück für Stück das Flugzeug durch, auch gegen die Schifffahrt, die in den Fünfzigern noch einen Marktanteil von 50 Prozent auf der Nordatlantikroute hatte. Während des Krieges war die Fliegerei technisch weiterentwickelt worden: neue Antriebe, größere Maschinen (für Bomben- und Truppentransporte), Verbesserungen bei Funk und Navigation - all das half, dass Fliegen billiger wurde und das Flugzeug spätestens seit den Siebzigerjahren den Transatlantikverkehr übernahm. Heute verkehren laut Bleibler 2000 bis 3000 Flugzeuge zwischen Europa und Nordamerika - pro Tag!

Die Ausstellung "Vernetzung der Welt - Pionierflüge und Luftverkehr über den Atlantik" läuft bis zum 3. Mai 2020 im Zeppelin-Museum Friedrichshafen. Infos unter www.zeppelin-museum.de

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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