London:"Tod einer Ikone"

Der klassische Doppeldecker-Bus tritt seine endgültig letzte Fahrt an. Der Abschied dürfte ziemlich traurig ausfallen.

Big Ben wird sich nicht vom Fleck rühren. Auch der Bobby vor Downing Street 10 wird sich nichts anmerken lassen. Die Horse Guards Ihrer Majestät zucken sowieso nie mit der Wimper. Und Lord Nelson dürfte kaum von seiner Säule am Trafalgar Square herabsteigen, wenn am 9. Dezember der letzte der klassischen Londoner Doppeldecker-Busse im Linienverkehr an diesen Wahrzeichen der Themse-Metropole vorbeituckert.

routemaster 159; dpa

Auf seiner letzten Fahrt: Routemaster, Linie 159

(Foto: Foto: dpa)

Hunderte, wenn nicht Tausende werden versuchen, die letzte Fahrt mitzumachen - oder wenigstens am Straßenrand stehen und winken.

Und die BBC plant eine Sondersendung. Sie dürfte traurig ausfallen. Von diesem Samstag an werden auf der Linie 159 - der letzten, auf der die betagten Busse mit dem Namen Routemaster noch im Einsatz waren - moderne Fahrzeuge aus Deutschland dominieren. Der einstöckige Mercedes-Benz Citaro gehört laut Firmenwerbung zur "erfolgreichsten Niederflurlinienbus-Familie in Europa".

Ruf nach Routemaster-Baby

Das kann viele Londoner nicht über den "Tod einer Ikone" hinwegtrösten, wie britische Zeitungen das Dienstende des berühmtesten Doppeldeckers der Welt nannten. Nach Umfragen der Forschungsgruppe Policy Exchange hätten 90 Prozent der Londoner es lieber gesehen, wenn ein Nachfolgemodell, ein "Routemaster Baby", den Traditionsbus ersetzt hätte.

Millionenfach haben Touristen ihn mit nach Hause genommen. Als Modell in diversen Größen oder als Abbild auf Postkarten und T-Shirts, auf Teepackungen, Socken oder Eierbechern.

Vor gut einem halben Jahrhundert wurde der erste Routemaster montiert. Er blieb der letzte Bus, der noch eigens für London, von Londonern und in London gebaut wurde. "Er war das einzige Fahrzeug des öffentlichen Nahverkehrs, das wir, Hand aus Herz, jemals wirklich geliebt haben", sagt Travis Elborough, der Autor des gerade erschienen Bestsellers "The Bus We Loved" (Der Bus, den wir liebten).

"Tod einer Ikone"

"Heute sofort verboten"

Wer einen alten Londoner bittet, das "Lebensgefühl Routemaster" zu beschreiben, kann Antworten wie diese bekommen: "Es war wunderbar, hinten auf der offenen Plattform zu stehen, den Wind im Gesicht. Und diese Freiheit, aus- oder einsteigen zu können, wo er gerade hielt."

Ganz ungefährlich war das nicht. Vor einem Jahr erlitt ein Amerikaner beim Sturz aus einem Routemaster eine Gehirnerschütterung. Er verklagte London auf drei Millionen Pfund (4,5 Millionen Euro). Routemaster und Zigaretten, kommentierte ein Radiomoderator, hätten eines gemein: "Wären sie heute erfunden worden, hätte man sie sofort verboten."

Mitschuld am "Verbot" des alten Doppeldeckers tragen für Londoner die EU-Bürokraten. Der Bus-Klassiker war mit seinem einzigen Ein- und Ausgang über Treppen an der Heckplattform nicht Rollstuhl geeignet. Mit diesem Verstoß gegen die Behinderten-Richtlinie der EU begründete Bürgermeister Ken Livingstone die rote Karte für den roten Routemaster, dessen Rettung er einst im Wahlkampf noch vollmundig versprochen hatte.

Aus für ganze Berufsgruppe

Dabei muss die EU-Vorschrift erst bis 2017 umgesetzt sein. Boulevardblätter witterten sofort eine Verschwörung des Stadtoberhaupts mit Brüsseler Eurokraten und deutschen Busherstellern, die bislang rund 400 der ebenso effizienten wie charakterlosen Citaros nach London verkauften.

Seriösere Zeitungen wiesen darauf hin, dass es wohl eher um die Einsparungen von Lohnkosten gegangen sei. Mit dem rollenden Klassiker verschwindet nämlich nun auch in London eine ganze Berufsgruppe, die des Bus-Schaffners.

Die rollenden Riesen, die nur bis 1968 gebaut wurden, waren so konstruiert, dass der Chauffeur keinen Zugang zum Passagierraum hatte. Ohne Schaffner ging es nicht. Schwarzfahrer hassten das. Artig zahlende Bürger hingegen schätzten die "Busbegleiter" nicht nur, weil sie Wechselgeld bereit hielten, sondern auch als Beschützer vor Rowdys und Dieben.

Abgesehen von Rollstuhlfahrern, die sich zu Recht ärgerten, würden viele andere Behinderte die Routemaster vermissen, argumentierte der konservative Daily Telegraph. Schließlich seien die Schaffner für blinde und auch für geistig gestörte Menschen ebenso eine Hilfe gewesen wie für Alte oder Kinder.

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